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Später töpferte Maester Luwin die Figur eines kleinen Jungen, zog ihr Brans Kleider über und warf sie von der Mauer hinunter auf den Hof, um zu demonstrieren, was geschah, falls Bran einmal fallen sollte. Das hatte Spaß gemacht, doch danach hatte Bran den Maester nur angesehen und gesagt:»Ich bin nicht aus Lehm. Und außerdem falle ich nicht herunter.«

Dann jagten ihn die Wachen eine Weile jedesmal, wenn sie ihn auf den Dächern sahen, und versuchten, ihn herunterzuholen. Das war die allerbeste Zeit. Es war, als spielte man mit seinen Brüdern ein Spiel, nur daß Bran hierbei stets gewann. Keiner der Wachmänner konnte so gut klettern wie Bran, nicht einmal Jory. Die meiste Zeit sahen sie ihn ohnehin nicht. Die Menschen sehen nicht nach oben. Das war noch etwas, das ihm am Klettern so gefiel. Fast war es, als wäre man unsichtbar.

Er mochte auch, wie es sich anfühlte, wenn er sich Stein für Stein an einer Mauer hochzog und sich Finger und Zehen hart in die kleinen Spalten dazwischen gruben. Stets zog er seine Stiefel aus und ging barfuß, wenn er kletterte, denn es gab ihm das Gefühl, als besäße er vier Hände statt zwei. Er mochte den tiefen, süßen Schmerz, der danach in den Muskeln zurückblieb. Er mochte es, wie die Luft dort oben roch, süß und kalt wie ein Winterpfirsich. Er mochte die Vögeclass="underline" die Krähen in der Turmruine, die winzig kleinen Spatzen, die in den Spalten zwischen den Steinen nisteten, die alte Eule, die auf dem staubigen Dachboden über der alten Waffenkammer schlief. Bran kannte sie alle.

Vor allem aber suchte er gern Orte auf, die keinem anderen zugänglich waren, und von dort aus betrachtete er das graue Winterfell, wie niemand sonst es sah. Dadurch wurde die ganze Burg zu Brans geheimem Ort.

Am liebsten war ihm die Turmruine. Einst war sie ein Wachturm gewesen, der höchste von ganz Winterfell. Vor langer Zeit, hundert Jahre bevor selbst sein Vater geboren worden war, hatte ein Blitzschlag den Turm in Brand gesetzt. Das obere Drittel des Baus war innerlich in sich zusammengestürzt und der Turm nie mehr neu errichtet worden. Manchmal schickte sein Vater Rattenfänger in den Keller des Turmes, um die Nester auszuräumen, die sich ständig zwischen den heruntergestürzten Steinen und verkohlten und vermoderten Balken fanden. Doch niemand kam mehr zur zerklüfteten Spitze des Turmes, niemand außer Bran und den Krähen.

Zwei Wege wußte er dorthin. Man konnte direkt an der Seite des Turmes selbst hinaufklettern, doch die Steine waren lose, denn der Mörtel, der sie einst gehalten hatte, war lange schon zu Asche verbrannt, und Bran mochte ihnen nie so recht sein

ganzes Gewicht anvertrauen.

Das Beste war es, vom Götterhain auszugehen, den großen Wachbaum hinaufzuklettern, quer über die Waffenkammer und den Wachsaal zu laufen und von Dach zu Dach zu springen, barfuß, damit die Wachen einen nicht über sich hörten. Das führte einen zur blinden Seite des Bergfrieds, dem ältesten Teil der Burg, einer dicken, viereckigen Festungsanlage, die höher war, als sie aussah. Inzwischen lebten dort nur noch Ratten und Spinnen, doch die alten Steine waren zum Klettern noch immer gut. Von dort aus konnte man direkt hinauf, wo die Wasserspeier sich blindlings in den leeren Raum lehnten, und sich von einem Wasserspeier zum nächsten hangeln, Hand über Hand, um die Nordseite herum. Hier nun mußte man sich richtig strecken und sich mit langen Armen zur Turmruine ziehen, wo diese sich herüberneigte. Dann blieb nur noch, die verrußten Steine hinauf zum Horst zu klettern, nicht mehr als zehn Schritte weit, und schon kamen die Krähen, um zu sehen, ob er ihnen wieder Körner brachte.

Bran hangelte sich gerade mit der Leichtigkeit langjähriger Erfahrung von einem Wasserspeier zum nächsten, als er Stimmen hörte. Er war derart erschrocken, daß er beinah den Halt verlor. Sein Leben lang war der Bergfried verlassen gewesen.

«Es gefällt mir nicht«, sagte eine Frau. Eine Reihe von Fenstern lag unter ihm, und die Stimme kam aus dem letzten Fenster auf der ihm zugewandten Seite.»DU solltest die Hand sein.«

«Mögen die Götter es mir ersparen«, erwiderte der Mann träge.»Es ist keine Ehre, die ich mir wünsche. Zuviel Arbeit ist damit verbunden.«

Bran hing da, lauschte, fürchtete sich plötzlich, weiterzuklettern. Vielleicht würden sie seine Füße sehen, wenn er sich vorbeischwang.

«Siehst du denn nicht die Gefahr, in die es uns bringt?«sagte die Frau.»Robert liebt diesen Mann wie einen Bruder.«

«Robert kann seine Brüder kaum ertragen. Nicht, daß ich es ihm verdenken würde. Stannis würde jedem Magenbeschwerden bereiten.«

«Spiel nicht den Dummkopf. Stannis und Renly sind die eine Sache, und Eddard Stark ganz sicher eine andere. Robert wird auf Stark hören. Verdammt sollen sie beide sein. Ich hätte darauf bestehen sollen, daß er dich ernennt, aber ich war mir sicher, Stark würde ablehnen.«

«Wir sollten uns glücklich schätzen«, sagte der Mann.»Der König hätte ebensogut einen seiner Brüder ernennen können, oder — bei allen Göttern — sogar Littlefinger. Man gebe mir lieber ehrenhafte Feinde als ehrgeizige, damit ich nachts ruhiger schlafen kann.«

Sie sprachen von seinem Vater, das wußte Bran. Er wollte noch mehr hören. Nur noch ein Stück… doch würden sie ihn sehen, wenn er sich am Fenster vorbeihangelte.

«Wir werden uns sorgsam um ihn kümmern müssen«, sagte die Frau.

«Lieber würde ich mich nur um dich kümmern«, sagte dar Mann. Er klang gelangweilt.»Komm her zu mir.«,

«Lord Eddard hat sich nie für irgend etwas interessiert, das südlich des Necks vor sich ging«, sagte die Frau.»Niemals. Ich sage dir, er will gegen uns ziehen. Warum sonst sollte er den Sitz seiner Macht verlassen?«

«Aus hundert Gründen. Pflicht. Ehre. Er sehnt sich danach, seinen Namen in Großbuchstaben ins Buch der Geschichte einzutragen, um von seiner Frau wegzukommen, oder beides. Vielleicht will er einfach nur, daß ihm einmal im Leben warm wird.«

«Seine Frau ist Lady Arryns Schwester. Es ist ein Wunder, daß Lysa nicht hier war, um uns mit ihren Anschuldigungen zu empfangen.«

Bran sah hinunter. Dort war ein schmaler Sims unter dem Fenster, nur ein paar Finger breit. Er versuchte, sich darauf herunterzulassen. Zu weit. Er konnte ihn nicht erreichen.

«Du machst dir zuviel Sorgen. Lysa Arryn ist eine schreckhafte Kuh.«

«Diese schreckhafte Kuh hat mit Jon Arryn das Bett geteilt.«

«Falls sie etwas wüßte, wäre sie zu Robert gegangen, bevor sie aus King's Landing geflohen ist.«

«Als er schon eingewilligt hatte, ihren Schwächling von einem Sohn auf Casterly Rock unterzubringen? Ich glaube nicht. Sie wußte, wie sehr das Leben ihres Jungen von ihrem Schweigen ab hinge. Sie könnte kühner werden, jetzt, da sie sicher oben auf der Eyrie sitzt.«

«Mütter. «Der Mann sprach das Wort aus wie einen Fluch.»Ich glaube, der Vorgang des Gebärens macht etwas mit eurem Verstand. Ihr habt doch alle den Verstand verloren. «Er lachte. Es war ein bitteres Lachen.»Soll Lady Arryn so kühn werden, wie sie will. Was immer sie auch weiß, was immer sie zu wissen glaubt, sie hat keinen Beweis. «Er machte eine kurze Pause.»Oder doch?«

«Glaubst du, der König brauchte einen Beweis?«sagte die Frau.»Ich sage dir, er liebt mich nicht.«

«Und wessen Schuld ist es, geliebtes Schwesterlein?«

Bran betrachtete den Sims. Er könnte sich hinunterfallen lassen. Das Sims war zu schmal, um darauf zu landen, aber wenn er sich im Vorbeifallen festhielt, sich dann hochzog… nur daß es vielleicht Lärm machen, sie ans Fenster locken würde. Er war nicht sicher, was er mit anhörte, aber er wußte, daß es nicht für seine Ohren bestimmt war.