Die Königin erschauerte.»Diese Tiere haben etwas Unnatürliches an sich«, sagte sie.»Sie sind gefährlich. Ich werde nicht zulassen, daß sie mit uns in den Süden kommen.«
Jaime sagte:»Es dürfte dir schwerfallen, sie daran zu hindern, Schwester. Sie folgen diesen Mädchen überallhin.«
Tyrion machte sich an seinen Fisch.»Dann wollte ihr bald abreisen?«
«Leider nicht bald genug«, antwortete Cersei. Dann sah sie ihn skeptisch an.»Wollen wir abreisen?«fragte sie.»Was ist mit dir? Bei allen Göttern, sag nicht, daß du hierbleiben willst!«
Tyrion zuckte mit den Schultern.»Benjen Stark kehrt mit dem Bastard seines Bruders zur Nachtwache zurück. Ich denke daran, mit ihnen zu gehen und mir diese Mauer anzusehen, von der wir schon so viel gehört haben.«
Jaime lächelte.»Ich hoffe, du hast nicht vor, den Schwarzen Rock uns vorzuziehen, lieber Bruder.«
Tyrion lachte.»Was ich, ins Zölibat? Die Huren von Dorne bis Casterly Rock brächte es an den Bettelstab. Nein, ich will nur auf der Mauer stehen und über den Rand der Welt pissen.«
Abrupt stand Cersei auf.»Die Kinder müssen diesen Schmutz nicht hören. Tommen, Myrcella, kommt. «Barsch stolzierte sie aus dem Damenzimmer, ihr Gefolge und ihre Brut im Schlepptau.
Jaime Lannister betrachtete seinen Bruder nachdenklich mit seinen kühlen, grünen Augen.»Stark wird sich niemals bereit erklären, Winterfell zu verlassen, solange über seinem Sohn der Schatten des Todes liegt.«
«Er wird es tun, wenn Robert es befiehlt«, erwiderte Tyrion.»Und Robert wird es befehlen. Es gibt ohnehin nichts, was Lord Eddard für den Jungen tun könnte.«
«Er könnte seine Qualen beenden«, sagte Jaime.»Ich würde es tun, wenn er mein Sohn wäre. Es wäre ein Gnadenakt.«
«Ich rate dir, Lord Eddard diesen Vorschlag nicht zu unterbreiten, lieber Bruder«, sagte Tyrion.»Er würde es nicht wohlwollend aufnehmen.«
«Selbst wenn der Junge überlebt, wird er ein Krüppel bleiben. Eine Absurdität. Da lobe ich mir einen schönen, sauberen Tod.«
Tyrion antwortete mit einem Achselzucken, das die Verkrümmung seiner Schultern hervorhob.»Wenn wir von Absurditäten sprechen«, sagte er,»erlaube ich mir, anderer Meinung zu sein. Der Tod ist grausam endgültig, während das Leben voller Möglichkeiten bleibt.«
Jaime lächelte.»Du bist ein perverser kleiner Gnom, nicht?«»Oh, ja«, gab Tyrion zu.»Ich hoffe, der Junge erwacht wieder. Es würde mich sehr interessieren, was er vielleicht zu erzählen haben könnte.«
Das Lächeln seines Bruders erstarrte wie saure Milch.»Tyrion, mein lieber Bruder«, sagte er finster,»es gibt Zeiten, in denen du mir Anlaß gibst, mich zu fragen, auf wessen Seite du eigentlich stehst.«
Tyrions Mund war voller Brot und Fisch. Er nahm einen Schluck von dem starken, schwarzen Bier, um alles
herunterzuspülen, und grinste Jaime wölfisch an.»Aber, Jaime, mein lieber Bruder«, sagte er.»Du verletzt mich. Du weißt, wie sehr ich meine Familie liebe.«
Jon
Langsam stieg Jon die Treppe hinauf und versuchte, nicht daran zu denken, daß es vielleicht das letzte Mal sein mochte. Schweigend tappte Ghost neben ihm her. Draußen wirbelte Schnee durch die Burgtore, und der Hof war von Lärm und Chaos erfüllt, doch innerhalb der dicken Steinmauern war es noch warm und still. Zu still für Jons Geschmack.
Er kam an den Treppenabsatz und blieb einen langen Augenblick dort stehen, fürchtete sich. Ghost schmiegte sich an seine Hand. Das machte ihm Mut. Er richtete sich auf und trat in das Zimmer.
Lady Stark saß dort neben dem Bett. Bei Tag und Nacht war sie dort gewesen, seit nunmehr fast zwei Wochen. Keinen Moment lang war sie von Brans Seite gewichen. Sie hatte sich die Mahlzeiten dorthin bringen lassen, und auch das Nachtgeschirr und ein kleines, hartes Bett, auf dem sie schlafen konnte, obwohl es hieß, sie schliefe überhaupt kaum. Sie fütterte ihn eigenhändig mit Honig und Wasser und Kräutern, die ihn am Leben hielten. Kein einziges Mal verließ sie das Zimmer. Also hatte sich Jon ferngehalten.
Doch jetzt war keine Zeit mehr.
Einen Moment lang stand er in der Tür, wagte nicht zu sprechen, wagte nicht, sich zu nähern. Das Fenster war offen. Unten heulte ein Wolf. Ghost hörte ihn und hob den Kopf.
Lady Stark sah herüber. Einen Augenblick lang schien es, als erkenne sie ihn gar nicht. Schließlich blinzelte sie.»Was tust du hier?«fragte sie mit seltsam ausdrucksloser Stimme.
«Ich komme, um Bran zu sehen«, sagte Jon.»Um mich zu verabschieden.«
Ihre Miene veränderte sich nicht. Ihr langes, kastanienbraunes Haar war matt und verworren. Sie sah aus, als wäre sie um zwanzig Jahre gealtert.»Du hast ihn gesehen. Nun geh.«
Ein Teil von ihm wollte nur entfliehen, doch wußte er, wenn er es täte, würde er Bran vielleicht nie wiedersehen. Er tat einen unsicheren Schritt ins Zimmer.»Bitte«, sagte er.
Etwas Kaltes rührte sich in ihren Augen.»Ich habe gesagt, du sollst gehen«, sagte sie.»Wir wollen dich hier nicht.«
Früher einmal hätte es ihn in die Flucht geschlagen. Früher einmal hätte es ihn vielleicht sogar zum Weinen gebracht. Nun machte es ihn nur wütend. Bald schon würde er ein Bruder der Nachtwache sein und sich weit schlimmeren Bedrohungen als Catelyn Tully Stark stellen müssen.»Er ist mein Bruder«, sagte er.
«Soll ich die Wache rufen?«
«Ruft sie«, gab Jon trotzig zurück.»Ihr könnt mich nicht daran hindern, ihn zu besuchen. «Er ging quer durch das Zimmer, ließ das Bett zwischen ihnen und sah auf Bran herab, der dort lag.
Sie hielt seine Hand. Sie sah aus wie eine Klaue. Das war nicht der Bran, an den er sich erinnerte. Alles Fleisch war von ihm gefallen. Seine Haut spannte sich straff über Knochen, die wie Zweige waren. Unter der Decke spreizten sich die Beine auf eine Art und Weise ab, daß Jon ganz übel wurde. Seine Augen waren in tiefen, schwarzen Löchern versunken, offen, doch leer. Der Sturz hatte ihn irgendwie schrumpfen lassen. Halb sah er wie ein Blatt aus, das der erste harte Windhauch ins Grab wehen könnte.
Doch unter dem zerbrechlichen Korb dieser zertrümmerten Rippen hob und senkte sich seine Brust mit jedem flachen Atemzug.
«Bran«, sagte er,»es tut mir leid, weil ich nicht früher gekommen bin. Ich hatte Angst davor. «Er fühlte, daß ihm
Tränen über die Wangen liefen. Das war Jon jetzt egal.»Stirb nicht, Bran. Bitte. Wir alle warten, daß du wieder aufwachst. Ich und Robb und die Mädchen, alle… «
Lady Stark beobachtete ihn. Sie hatte die Wache nicht gerufen. Jon verstand es als Einwilligung. Draußen vor dem Fenster heulte wieder der Schattenwolf. Der Wolf, dem Bran noch keinen Namen gegeben hatte.
«Ich muß jetzt gehen«, fuhr Jon fort.»Onkel Benjen wartet. Ich gehe in den Norden an die Mauer. Wir müssen heute noch aufbrechen, bevor der Schnee kommt. «Er dachte daran, wie aufgeregt Bran über die Aussicht auf seine Reise gewesen war. Das war mehr, als er ertragen konnte, der Gedanke daran, ihn so zurücklassen zu müssen. Jon wischte seine Tränen fort, beugte sich vor und küßte seinen Bruder leicht auf die Lippen.
«Ich wollte, daß er hier bei mir bleibt«, sagte Lady Stark sanft.
Jon betrachtete sie argwöhnisch. Sie sah ihn nicht einmal an. Sie sprach mit ihm, doch es war, als wäre ein Teil von ihr nicht einmal in diesem Raum.
«Ich habe darum gebetet«, sagte sie müde.»Er war mein Liebling. Ich war in der Septe und habe siebenmal zu den Sieben Gesichtern Gottes gebetet, daß Ned es sich noch einmal überlegt und ihn hier bei mir läßt. Manchmal werden Gebete erhört.«
Jon wußte nicht, was er sagen sollte.»Es war nicht Eure Schuld«, brachte er nach drückendem Schweigen hervor.
Ihre Augen suchten ihn. Sie waren voller Gift.»Ich brauche deine Absolution nicht, Bastard.«
Jon senkte seinen Blick. Sie hielt eine von Brans Händen. Er nahm die andere und drückte sie. Finger kalt wie Vogelknochen.»Leb wohl«, sagte er.