Tyrion nickte.
Jon Snow preßte seine Lippen grimmig zusammen.»Wenn es so ist, dann ist es eben so.«
Tyrion grinste ihn an.»Das ist gut, Bastard. Die meisten Menschen würden eine schwere Wahrheit eher leugnen, als sich ihr zu stellen.«
«Die meisten Menschen«, sagte der Junge.»Nur Ihr nicht.«
«Nein«, gab Tyrion zu,»ich nicht. Ich träume auch nur noch selten von Drachen. Es gibt keine Drachen. «Er sammelte das heruntergefallene Bärenfell auf.»Komm, wir sollten besser im Lager sein, bevor dein Onkel zu den Fahnen ruft.«
Der Weg war nur kurz, doch der Boden war uneben, und als sie ankamen, hatte Tyrion schwere Krämpfe in den Beinen. Jon Snow bot ihm eine Hand an, um ihm über ein dichtes Gewirr von Wurzeln zu helfen, doch Tyrion lehnte ab. Er wollte seinen Weg allein gehen, wie er es sein Leben lang getan hatte. Dennoch war ihm das Lager ein willkommener Anblick. Die Unterstände waren an der baufälligen Wand einer lange verlassenen Festung errichtet worden. Die Pferde waren gefüttert, und ein Feuer brannte. Yoren saß auf einem Stein und häutete ein Eichhörnchen. Der würzige Duft von Eintopf zog in Tyrions Nase. Er schleppte sich zu seinem Leibdiener Morrec, der im Topf rührte. Wortlos reichte Morrec ihm die Schöpfkelle.»Mehr Pfeffer«, sagte er.
Benjen Stark trat aus dem Unterstand, den er sich mit seinem Neffen teilte.»Da bist du ja, Jon, verdammt noch mal, du solltest nicht allein losgehen. Ich dachte schon, die Anderen hätten dich geholt.«
«Es waren die Grumkins«, erklärte Tyrion lachend. Jon Snow lächelte. Stark warf Yoren einen verdutzten Blick zu. Der alte Mann brummte, zuckte mit den Achseln und machte sich wieder an sein blutiges Werk.
Das Eichhörnchen brachte etwas Fleisch in den Eintopf, und den aßen sie an diesem Abend mit schwarzem Brot und hartem
Käse, während sie um das Feuer saßen. Tyrion ließ seinen Weinschlauch herumgehen, bis selbst Yoren milder gestimmt war. Einer nach dem anderen zog sich zum Schlafen in seinen Unterstand zurück, alle bis auf Jon Snow, der die erste Wache der Nacht gezogen hatte.
Tyrion zog sich als letzter zurück, wie stets. Als er den Unterstand, den seine Männer für ihn errichtet hatten, betrat, hielt er kurz inne und sah sich nach Jon Snow um. Der Junge stand am Feuer, mit stiller, harter Miene, und blickte starr in die Flammen.
Tyrion Lannister lächelte traurig und ging zu Bett.
Catelyn
Ned war seit acht Tagen mit den Mädchen fort, als Maester Luwin eines Abends zu ihr in Brans Krankenzimmer kam, mit einer Leselampe und den Rechnungsbüchern.»Es wird höchste Zeit, daß wir die Zahlen durchgehen, Mylady«, sagte er,»Ihr werdet wissen wollen, was uns der Besuch des Königs gekostet hat.«
Catelyn blickte Bran auf seinem Krankenbett an und strich ihm das Haar aus der Stirn. Es war lang geworden, fiel ihr auf. Sie würde es bald schneiden müssen.»Ich muß mir die Zahlen nicht ansehen, Maester Luwin«, erklärte sie, ohne sich von Bran abzuwenden.»Ich weiß, was uns der Besuch gekostet hat. Nehmt die Bücher wieder mit.«
«Mylady, das Gefolge des Königs hatte einen gesunden Appetit. Wir müssen unsere Vorratskammern füllen, bevor…«
Sie schnitt ihm das Wort ab.»Ich sagte, nehmt die Bücher wieder mit. Der Haushofmeister wird sich darum kümmern.«
«Wir haben keinen Haushofmeister«, brachte Maester Luwin ihr in Erinnerung. Wie eine kleine, graue Ratte, so dachte sie, wollte er nicht loslassen.»Poole ist gen Süden gezogen, um Lord Eddards Haushalt in King's Landing einzurichten.«
Catelyn nickte abwesend.»Oh, ja, Ihr habt recht. «Bran sah so blaß aus. Sie überlegte, ob sie sein Bett ans Fenster stellen sollte, damit er ein wenig Morgensonne bekam.
Maester Luwin stellte die Lampe in eine Nische bei der Tür und fingerte an ihrem Docht herum.»Es stehen mehrere Ernennungen an, Mylady. Neben dem Haushofmeister brauchen wir einen Hauptmann der Garde, der an Jorys Stelle tritt, einen neuen Stallmeister…«
Ihr Blick fuhr herum und fand ihn.»Einen Stallmeister?«
Ihre Stimme war wie eine Peitsche.
Der Maester war erschüttert.»Ja, Mylady. Hüllen ist mit Lord Eddard in den Süden geritten, um…«
«Mein Sohn liegt hier mit gebrochenen Gliedern im Sterben, und Ihr wollt über einen neuen Stallmeister sprechen? Glaubt Ihr, es interessiert mich, was in den Ställen vor sich geht? Glaubt Ihr, es wäre für mich von irgendeinem Belang? Gern würde ich sämtliche Pferde auf Winterfell eigenhändig schlachten, wenn sich damit Brans Augen öffnen ließen, versteht Ihr mich? Versteht Ihr?«
Er verneigte sich.»Ja, Mylady, aber die Ernennungen…«»Ich werde die Ernennungen vornehmen«, sagte Robb. Catelyn hatte nicht gehört, wie er hereingekommen war, doch da stand er in der Tür und sah sie an. Sie hatte geschrien, das bemerkte sie nun mit einem plötzlichen Anflug von Scham. Was geschah mit ihr? Sie war so müde, und ihr Kopf schmerzte ohne Unterlaß.
Maester Luwin blickte von Catelyn zu ihrem Sohn.»Ich habe eine Liste derer angelegt, die wir für die offenen Ämter vielleicht ins Auge fassen könnten«, sagte er und reichte Robb ein Blatt Papier, das er aus dem Ärmel gezückt hatte.
Ihr Sohn sah sich die Namen an. Er war von draußen hereingekommen, wie Catelyn sah. Seine Wangen waren rot von der Kälte, sein Haar struppig und vom Wind zerzaust.»Gute Männer«, befand er.»Wir werden uns morgen darüber unterhalten. «Er gab ihm die Namensliste zurück.
«Sehr wohl, Mylord. «Das Papier verschwand in seinem Ärmel.
«Laßt uns nun allein«, forderte Robb ihn auf. Maester Luwin verbeugte sich und ging. Robb schloß die Tür hinter ihm und wandte sich ihr zu. Er trug ein Schwert, wie sie sah.»Mutter, was tust du?«
Stets hatte Catelyn gedacht, Robb sähe aus wie sie, wie Bran und Rickon und Sansa, er hätte die Farben der Tullys, das kastanienbraune Haar, die blauen Augen. Doch nun entdeckte sie zum ersten Mal einen Zug von Eddard Stark in seinem Gesicht, etwas so Strenges und Hartes wie der Norden.»Was ich tue?«wiederholte sie verwundert.»Wie kannst du das fragen? Was glaubst du, was ich tue? Ich kümmere mich um deinen Bruder. Ich kümmere mich um Bran.«
«So nennst du es? Du hast dieses Zimmer nicht verlassen, seit Bran gestürzt ist. Du bist nicht einmal zum Tor gekommen, als Vater und die Mädchen gen Süden gezogen sind.«
«Ich habe hier von ihnen Abschied genommen und von diesem Fenster aus gesehen, wie sie hinausgeritten sind. «Sie hatte Ned angefleht, nicht zu gehen, nicht jetzt, nicht nach allem, was geschehen war. Alles hatte sich verändert, konnte er das nicht sehen? Doch vergeblich. Er hatte keine Wahl, das hatte er ihr erklärt, und dann war er gegangen, hatte seine Wahl getroffen.»Ich kann ihn nicht allein lassen, nicht einmal für einen Augenblick, nicht wenn jeder Augenblick sein letzter sein könnte. Ich muß bei ihm sein, falls… falls…«Sie nahm die schlaffe Hand ihres Sohnes, ließ seine Finger durch die ihren gleiten. Er war so dünn und zerbrechlich, ohne Kraft in seiner Hand, doch konnte sie noch immer die Wärme des Lebens unter seiner Haut fühlen.
Robbs Stimme wurde milder.»Er wird nicht sterben, Mutter. Maester Luwin sagt, die Zeit der größten Gefahr ist vorüber.«
«Und was ist, wenn Maester Luwin sich täuscht? Was ist, wenn Bran mich braucht und ich nicht da bin?«
«Rickon braucht dich«, sagte Robb scharf.»Er ist erst drei, er versteht noch nicht, was vor sich geht. Er glaubt, alle hätten ihn verlassen, also läuft er mir den ganzen Tag hinterher, klammert sich an mein Bein und weint. Ich weiß nicht, was ich mit ihm tun soll. «Er machte eine kurze Pause, nagte an seiner Unterlippe, wie er es als kleiner Junge getan hatte.»Mutter, ich brauche dich auch. Ich gebe mir Mühe, aber ich kann nicht… ich kann nicht alles allein schaffen. «Seine Stimme versagte vor plötzlichen Gefühlen, und Catelyn fiel ein, daß er erst vierzehn war. Sie wollte aufstehen und zu ihm gehen, doch Bran hielt ihre Hand, und so konnte sie sich nicht rühren.