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Tempus, der die Stiefsöhne gegründet und in den Krieg geführt hatte, bot ein Stillhalteabkommen an, während ein Ultimatum erwartet worden war.

Es schwang etwas Ungewohntes aus der Stimme des Jungen, als er antwortete: »Ja, eine Woche. Ich kann nur versprechen, daß die VFBF es versuchen wird – ich kann nicht für die anderen reden. Es muß genügen. Oder…«

Tempus unterbrach ihn rasch. »Es genügt für dich und die Deinen. Was sie säen, werden sie ernten. Es kann dir mehr bringen, als du erwartest, Zip – einen kaiserlichen Pardon, vielleicht einen Beruf, und du kannst tun, was du am besten kannst, zum Wohl der Stadt, die du liebst.«

»Ich würde sterben für sie, so oder so«, murmelte Zip, denn er hatte verstanden, was Tempus sagte und was ungesagt geblieben war, als ihre Blicke sich getroffen hatten; und er wollte, daß der Geheimnisvolle das wußte. Dann winkte er seine Männer zurück.

Es dauerte nur Augenblicke, bis die Kreuzung Töpfer- und Westtorstraße scheinbar wieder verlassen war. Es dauerte auch nicht länger, auf das Trospferd aufzusitzen und Richtung Echsengasse hinaufzureiten.

Während das Tros an einem Abfallhaufen vorbeitrottete, hinter dem zweifellos einer der kriegerischen Jungen lauerte, dachte Tempus, daß das, was Zip vielleicht bekommen würde, wenn er das Unmögliche möglich machte – eine Koalition der Rebellenkräfte, ja vielleicht sogar eine Aussöhnung –, mehr war, als er auch nur zu träumen wagte: ein Zuhause.

Es gab keine Ablösung für die Stiefsöhne und das 3. Kommando. Die rankanische Garnison war das, was ihr Name sagte: rankanisch. Die Stiefsohnkaserne, die vor fünf Jahren unter schweren Opfern eingenommen worden war, würde leerstehen; die Arbeit der Heiligen Trupps ungetan bleiben. Nur eine Handvoll Höllenhunde würden gegen Therons Bataillon, beysibische Unterdrücker und die Verbrecherkönige der Stadt stehen.

Wenn Zip es nur zuließe, würde Tempus eine Reihe von Problemen lösen, die noch vor Minuten unlösbar ausgesehen hatten, und dem Jungen den einzigen Gefallen tun, den ein Mann einem anderen tun kann: ihm eine Starthilfe bei der Lösung seiner eigenen Probleme geben, einen eigenen Stand, eine Welt zu gewinnen – einen Neuanfang.

Wenn Tempus seine eigenen Leute davon abhalten konnte, den charismatischen jungen Rebellenführer in der Zwischenzeit zu töten. Und wenn Zip sich in Freistatt, wo Haß und Furcht als Respekt angesehen wurden, nicht so viele Feinde geschaffen hatte, daß ein Anschlag auf ihn, egal was Tempus tat, so sicher war wie der nächste Donner von Sturmbringers Begrüßungswetter.

Als dieser Donner krachte, kanterte Tempus bereits durch die Echsengasse, auf dem Weg zum Wilden Einhorn, wo ein Dämon namens Schnapper Jo hinter dem Schanktisch bediente und von wo aus sich Gerüchte so rasch wie Lauffeuer verbreiten ließen.

Schnapper Jo war ein Dämon mit grauer, warziger Haut und gelblichen Zahnstummeln. Sein orangefarbenes buschiges Haar stand in alle Richtungen, und seine Augen blickten in beide Richtungen gleichzeitig, was bestimmte Gäste in Verzweiflung bringen konnte, weil sie nicht wußten, auf welches sie sich konzentrieren sollten, wenn sie ihn anflehten, doch einmal anzuschreiben.

Schnappers Job, tagsüber den Schankwirt im Wilden Einhorn zu machen, war die Leistung, auf die er sehr stolz war – und stolz war er darauf, daß er seine Freiheit errungen hatte.

Roxane, die Nisibisihexe, auch Todeskönigin genannt, hatte ihn als ihren Diener beschworen. Aber seine Gebieterin hatte ihn freigegeben, auf ihre Art – das heißt, sie war in letzter Zeit zumindest nicht mehr gekommen, um ihm diese oder jene abscheuliche Untat zu befehlen.

Daß Schnapper sein früheres Dasein als Diener einer Hexe als unwürdig ansah, war bezeichnend für des Dämons neue Lebensanschauung. Hier unter den Windern, Bettlern und Dirnen bemühte er sich verzweifelt um Anerkennung.

Und er schaffte es. Niemand zog ihn seines Aussehens wegen auf oder zuckte furchterfüllt vor ihm zurück. Sie waren höflich, wie Menschen es waren, und sie behandelten ihn als Gleichgestellten, jedenfalls soweit hier irgend jemand irgend jemand anderen so behandelte.

Und aus tiefstem Herzen wünschte Schnapper Jo sich, von den Menschen anerkannt zu werden – vielleicht eines Tages sogar als Mensch. Denn war Menschlichkeit nicht etwas im Herzen und nicht an der Oberfläche?

Das wollte Schnapper Jo glauben, hier in dieser verrufenen Schenke, wo glotzäugige Beysiber noch ein bißchen verhaßter waren als blonde und gutaussehende Rankaner; wo dunkle Haut und krumme Glieder und Zahnstummel keine Verunstaltung waren; wo jeder gleichermaßen von den Hexern der Magiergilde und den Priestern der Oberstadt tyrannisiert wurde.

Als der hochgewachsene heroische Mann mit dem furchteinflößenden Gesicht hereinkam, dem Blut aus jeder Pore zu sickern schien, mit rauher Stimme sagte: »Schnapper, tut mir einen Gefallen«, richtete der Tagesschankwirt sich zur vollen Größe auf und erwiderte: »Jeden, hoher Herr – außer Kredit.«

Auch das gehörte zum Menschsein: sich etwas aus kleinen geprägten Scheiben aus Kupfer, Silber oder Gold zu machen, obwohl ihr Wert nur so groß war wie das Verlangen der Menschen, die um sie kämpften oder ihretwegens starben.

Doch dieser große Mensch wollte nur Auskunft, und er war deshalb extra zu Schnapper Jo gekommen.

Während zu beiden Seiten neben ihm mindestens eine Mannslänge Platz gemacht wurde, sich hinter ihm bestimmte Gäste in das Unwetter hinausstahlen und zwei Schankmaiden auf Zehenspitzen in die Hinterstube hasteten, sagte der Fremde: »Ich muß etwas über Eure frühere Herrin wissen – ist es Roxane gelungen, aus Tasfalens Haus in der Oberstadt zu kommen? Hat irgend jemand sie gesehen? Ihr von allen müßtet wissen, ob sie in der Gegend ist.«

»Nein, Freund«, antwortete Schnapper, der sich des Wortes Freund zu gern bediente, seit er vor kurzem seine Bedeutung erfahren hatte. »Seit die Feuersäule gelöscht wurde, hat niemand sie mehr gesehen oder von ihr gehört.«

Der große Mann nickte und lehnte sich über den Schanktisch.

Schnapper lehnte sich ihm entgegen. Er fühlte sich als etwas Besonderes, weil dieser so respekteinflößende Mensch ihn vor allen Gästen des Einhorns mit einem Gespräch auszeichnete. Als sie sich gegenüberstanden, fiel ihm durch sein nach rechts blickendes Auge so allerlei Bekanntes an diesem Mann auf: die zusammengekniffenen Augen, die ihn durchdringend beobachteten, der wie ein Schlitz geöffnete Mund, dessen Lippen leicht zu einem verstohlenen Lächeln verzogen waren. Dann fragte der Mann: »Und Ischade, die Vampirfrau – geht es ihr gut? Unten am Schlachthof? Hält sie hof unter ihren Schatten?«

»Es…« Eine Erinnerung fügte sich an die andere, und eine Gänsehaut umwogte Schnapper Jos Warzen. Das war der Schlaflose! Der legendäre Krieger, gegen den seine ehemalige Gebieterin so lange gekämpft hatte. »Es – es geht ihr gut, hoher Herr. Ischade – geht es gut. Es wird ihr immer gutgehen…«

Schnapper Jo hatte Freunde unter den Einsttoten, den im Nichts Harrenden. Ischade gehörte nicht zu ihnen, genausowenig wie dieser Mann, von dem er nun wußte, wer er war.

Jetzt wußte er auch, weshalb die Gäste sich zurückgezogen hatten, dieser Pöbel, der die Drahtzieher eines Spieles kannte, in dem sie nur als Figuren bewegt wurden, ohne die Freiheit einer eigenen Entscheidung zu haben.

Schnapper versuchte, seine Angst nicht zu zeigen, doch ohne sein Zutun barsten ihm Worte über die Lippen: »Mord und Totschlag, oh, überall wird es zum Blutvergießen kommen, aber Schnapper Jo ist doch so glücklich, wenn es friedlich ist…«

»Wenn das nächste Mal ein Stiefsohn oder jemand vom 3. Kommando hierherkommt, dann sagt ihm, er soll mich in der Söldnerherberge aufsuchen. Und vergeßt es nicht!« Der Mann, der auch Tempus genannt wurde, legte Münzen auf den Schanktisch.