»Ich dachte, du glaubst nicht an sie«, murmelte Gilla. Sie hielt immer noch Lalos Hand. Behutsam öffnete sie die Finger und legte die Hand zur anderen in den Schoß. Lalo war noch bewußtlos, aber er atmete bereits schneller. Gleich wird er aufwachen, dachte sie, was dann?
Die S’danzo rieb sich die Stirn. »Im Augenblick glaube ich an alles, was uns helfen könnte. Ich habe dem Umzug gelauscht – er hat die Stadt umrundet und dürfte inzwischen wieder bei den Tempelruinen angelangt sein. Wir haben nicht mehr viel Zeit.« Sie hob den Kopf und blickte Gilla eindringlich an. »Wird es uns helfen? Ihr wart beide plötzlich erloschen, wie ausgeblasene Kerzen. Habt ihr geschlafen, oder seid ihr wirklich an einem anderen Ort gewesen?«
Lalo schauderte und öffnete die Augen. »Wir sind dort gewesen. Wir haben die Göttin gesehen – eine Göttin…« Wieder schauderte er. »Sie ist erzürnt. Sie will kein Opfer! Sie will, daß Shu-sea und Kittycat heiraten!« Er fing zu lachen an und war der Hysterie so nahe, daß Gilla sofort aufsprang und ihn an sich drückte, bis er aufhörte, am ganzen Leib zu zittern. Schließlich vergrub er das Gesicht an ihrem üppigen Busen und stöhnte. »Wir haben versagt!« flüsterte er. »Wir haben versagt!«
Gilla hielt ihn ganz fest und blickte über seinen Kopf. Vor ihrem inneren Auge sah sie den prächtigen jungen Mann, mit dem sie durch die andere Welt geschritten war. Er war so schön gewesen wie ein Prinz. Da erinnerte sie sich, wie leicht sie sich gefühlt hatte, daß sie fast geschwebt war neben ihm, und plötzlich fragte sie sich: Wie hat er wohl mich gesehen?
Gleich darauf richtete sie den Blick auf das stille Figürchen im Bett, dann wieder auf Illyra. »Wie ist es Latilla gegangen?«
Tränen glänzten in den Augen der S’danzo. »Sie hat das ruhelose Stadium des Fiebers hinter sich. Ihr Schlaf ist jetzt tiefer, als Eurer war. Ich habe versucht, das Fieber zu senken, aber die nassen Umschläge trocknen von ihrer Glut, kaum daß ich sie ihr auflege. Ich habe es versucht, Gilla. Ich habe es versucht!« Sie beugte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht.
»Das weiß ich, Illyra«, sagte Gilla sanft. »Doch jetzt muß ich dich bitten, es ein Weilchen länger zu versuchen, während ich etwas noch Schwierigeres tun werde. Ich muß versuchen, die Göttin schön zu machen.«
Lalo wich zur Seite und verfolgte Gilla mit staunendem Blick, während sie ans Bett trat und ihre kleine Tochter sanft auf die Stirn küßte. Dann schritt sie majestätisch zur Tür und rief nach der Besitzerin des Etablissements.
Myrtis’ Augen weiteten sich, als sie Gillas Wünsche vernahm, doch dann nickte sie, und ihre Augen leuchteten. »Ja, das stimmt, doch es gibt kaum eine ehrbare Frau in Freistatt, die verstehen würde, was Ihr meint. Von Euch hätte ich gewiß nie erwartet, daß Ihr…« Als Gilla sie anfunkelte, schluckte Myrtis den Rest des Satzes hinunter und wandte sich ab, um ihren Mädchen Anweisungen zu erteilen.
Ich selbst hätte auch nie gedacht, daß ich so was tun würde, dachte Gilla. Sie strich mit den Händen über den üppigen Busen und die gewaltige Rundung ihrer Hüfte. Aber bei den Brüsten der Göttin, ich werde es versuchen!
Während kichernde Sklavinnen sich ihrer im Bad annahmen, fand Gilla ihren Einfall lächerlich. Sie hatte erwachsene Kinder, ihr Blut hatte schon vor zwei Jahren aufgehört, dem Ruf des Mondes zu folgen, und Lalo war nur noch selten mehr als angenehme, wärmende Gesellschaft in ihrem Bett. Als sie in das marmorne Badebecken gestiegen war, hatte ihre Masse das duftende Wasser in einer wahren Flutwelle über die Seiten gespült.
Sie versuchte sich vorzustellen, wie die Mädchen in dem anderen Becken Lalos erkahlenden Kopf und dürre Beine schrubbten, und dachte, daß er in all dem Luxus noch ungewohnter aussehen mußte als sie. Sie fragte sich, weshalb im Namen der Götter er sich einverstanden erklärt hatte. Aber natürlich, das war der Grund – wegen der Gottheiten und wegen eines Bildes, dessen Modell sie, Gilla, gewesen war, wie er ihr geschworen hatte.
Dann steckte sie in einem wundervollen, weich fließenden Gewand aus durchsichtiger seegrüner Seide, ein Kranz aus süßduftenden Gartenkräutern krönte ihr feuchtes Haar, und singende Mädchen geleiteten sie zu einem Gemach, wo der Duft brennenden Sandelholzes den Rauchgestank ferner Feuer überlagerte.
Das Gemach war mit Zedernholz getäfelt, und die Fenster hinter den feinen Vorhängen waren mit Marmorgitterwerk geschützt. Was an Bodenfläche von dem Bett nicht eingenommen wurde, bedeckte ein dicker Teppich, auf dem Seidenkissen lagen. Es gab auch ein Rosenholztischchen, auf dem eine Karaffe und zwei goldene Kelche standen. Doch natürlich war das Bett der Mittelpunkt, und Lalo wartete bereits davor. Er trug mit majestätischerer Haltung, als sie für möglich gehalten hätte, einen langen Kaftan aus jadegrün-goldenem Brokat. Er sah aus, als studiere er das Teppichmuster. Gilla dachte: Wenn er mich auslacht, bring’ ich ihn um!
Da hob er den Kopf, und die Augen in seinem abgespannten Gesicht leuchteten auf wie in der anderen Welt, als er sie angeblickt hatte. Hinter sich konnte Gilla das Rascheln von Seide hören und ein wie abgeschnittenes Kichern, als die Sklavinnen das Gemach verließen und die Tür hinter sich schlossen.
»Auf deine Gesundheit, mein Gemahl und Gebieter.« Gillas Stimme zitterte nur ganz leicht, als sie diese Worte sagte.
Lalo benetzte die trockenen Lippen, während er vorsichtig zu dem Tischchen trat und Wein einschenkte. Er reichte ihr einen Kelch. »Auf deine Gesundheit«, erwiderte er und hob den anderen Kelch an die Lippen, »meine Gemahlin und Königin.«
Sie stießen an, und die Kelche klingelten. Gilla spürte, wie das süße Feuer des Weines durch ihre Kehle hinab zu ihrem Magen brannte, und eine andere Art von Feuer entfachte in ihrem Körper, als sie Lalo in die Augen blickte.
»Auf die Gesundheit des ganzen Landes«, flüsterte sie, »und das heilende Feuer der Liebe…«
Fackeln färbten den Schutt von Dyareelas Tempel mit ihrem roten Schein und vertieften das Rot der blutbespritzten Roben der Priester und des abgetrennten Schädels des Opfers. Der süßliche, Geruch von Blut hing schwer in der Luft, und die Soldaten des Kordons beobachteten wachsam die betende, murmelnde Menschenmenge, die sich in die Ruine gedrängt hatte, damit ihr nichts entgehe. Die Priester beteten nun und blickten angespannt zu der dunklen Wolken- oder Rauchdecke hinauf, welche die Sterne verbarg.
»Was immer sie auch erwarten, es wird Zeit, daß es anfängt«, sagte einer vom 3. Kommando. »Ihr Gebrabbel wird diesen Mob nicht lange halten können. Die Leute haben Blut gerochen und wollen bald mehr!«
Sein Kamerad zur Rechten nickte. »Dumm von Kittycat, daß er es zugelassen hat – jeder konnte doch sehen, wohin es führen…« Er verstummte hastig, als Syncs strenger Blick den Kordon entlangwanderte, aber dann fügte er so leise hinzu, daß nur sein Kamerad es zu hören vermochte – der sein Vertrauen unter den Umständen rührend fand –, »das hätte nicht passieren können, wenn Tempus hier wäre!«
»Dyareela, Dyareela, erhöre uns! Erhöre uns!« rief die Menge, und die Echos hallten von beschädigten Säulen und Wänden. »Erbarme dich!« Ein Zittern der Erwartung rann durch die Menge, und die Soldaten erstarrten, denn sie wußten, was nun folgen würde.
Fackeln flackerten wild in einem gewaltigen Windstoß, einem feuchten Wind, der vom Meer her kam. Stärker brauste der Wind herbei, und es wurde dunkler in der Ruine, denn er blies viele der Fackeln aus. Ein Priester haschte hilflos nach seinem davonstürmenden Kopfputz, und der Mob vergaß abrupt seinen Blutdurst in einer Balgerei um Goldfaden und Edelsteine. Dann grollte draußen über dem Meer Donner, und die ersten heftigen Regentropfen löschten die letzten Fackeln.