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Ich bin glücklich darüber, daß in diesem Augenblick die Große Mutter den Kampf gewonnen hat. Ein Mann wurde vom Krebs errettet, ein anderer hat jetzt seine sexuellen Neigungen akzeptiert, ein Dritter nimmt jetzt keine Schlafmittel mehr. Alles, weil Athena den Rhythmus durchbrochen hat, indem sie den Wagen bremste, der gerade mit Höchstgeschwindigkeit fuhr, und damit alles durcheinanderbrachte.

Aber zurück zu meiner Strickarbeit: Bis es mir gelang, diese Gegenwart ohne einen Kunstgriff herbeizurufen, habe ich eine Zeitlang das Stricken dazu benutzt. Aber später kannte ich sie ja und hatte mich an sie gewöhnt. Mit Athena ist das Gleiche geschehen – haben wir erst einmal erfahren, wo die Pforten der Wahrnehmung sind, ist es sehr leicht, sie zu öffnen und zu schließen, sofern wir uns an unser >seltsames< Verhalten gewöhnen.

Und eines muß ich noch dazu anmerken: Ich stricke seither schneller und besser, und so tanzt auch Athena mit immer mehr Seele und Rhythmus, seit sie gewagt hat, jene Barrieren zu durchbrechen.

Andrea McCain, Schauspielerin

Die Geschichte verbreitete sich in Windeseile: Am nächsten Montag – das Theater ist montags immer geschlossen – war Athenas Wohnung rappelvoll. Wir hatten alle Freunde mitgebracht. Sie wiederholte das Ritual vom letzten Mal, verlangte von uns, ohne Rhythmus zu tanzen, als brauchte sie die kollektive Energie, um zu Hagia Sophia zu gelangen. Viorel war wieder anwesend, und ich beobachtete ihn. Als er sich auf das Sofa setzte, wurde die Musik ausgestellt, und die Trance begann.

Und die Befragungen. Wie zu erwarten war, ging es in den ersten drei Fragen um Liebe

– bleibt Soundso weiter bei mir, liebt Soundso mich, werde ich betrogen? Athena sagte

nichts. Die vierte Person, die keine Antwort erhielt, beschwerte sich:

»Was ist denn nun, werde ich betrogen?«

»Ich bin Hagia Sophia, die universelle Weisheit. Ich habe die Welt mit niemand anderem geschaffen als der Liebe. Ich bin der Anfang von allem, und vor mir ist das Chaos.

Wenn also jemand von euch die Kräfte kontrollieren will, die das Chaos beherrschen, dann befrage er Hagia Sophia nicht. Die Liebe füllt alles. Sie kann nicht Inhalt eines Wunsches sein – weil sie in sich ein Ziel ist. Sie kann nicht betrügen, da sie nicht mit Besitz verbunden ist. Sie kann nicht gefangengehalten werden, weil sie wie ein Fluß ist und die Barrieren überfluten wird. Wer versucht, die Liebe in Gefangenschaft zu halten, der muß die Quelle abschneiden, die sie nährt, und in diesem Fall wird das Wasser, das du aufgestaut hast, verfaulen.«

Hagias Blicke schweiften über die Gruppe – viele waren zum ersten Mal hier –, und sie sprach von Dingen, die sie sah: drohenden Krankheiten, Problemen am Arbeitsplatz, Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern, Sexualität, ungenutzten Potentialen. Ich erinnere mich daran, daß sie sich an eine etwa dreißigjährige Frau wandte:

»Dein Vater hat dir gesagt, wie die Dinge zu sein haben, und wie eine Frau sich zu benehmen hat. Du hast dein Leben lang gegen deine Träume gekämpft, und das >Wollen< hat sich nie gezeigt. Es wurde von >Sollen< oder >Warten< oder >Müssen< ersetzt. Aber du bist eine großartige Sängerin. Ein Jahr Übung, und du wirst in deiner Arbeit eine große Veränderung erreichen.«

»Ich habe einen Sohn und einen Mann.«

»Athena hat auch einen Sohn. Dein Mann wird anfangs negativ reagieren, aber er wird es am Ende akzeptieren. Man muß nicht Hagia Sophia sein, um das zu wissen.«

»Vielleicht bin ich ja zu alt.«

»Du weigerst dich zu akzeptieren, wer du bist. Aber das ist nicht mehr mein Problem, ich habe alles gesagt, was ich zu sagen habe.«

Alle, die sich in diesem kleinen Zimmer aufhielten, in dem sie sich wegen fehlender Sitzgelegenheiten nicht setzen konnten, die schwitzten, obwohl der Winter gerade erst zu Ende ging, die sich lächerlich vorkamen, weil sie zu einem derartigen Ereignis gegangen waren, wurden einer nach dem anderen aufgerufen, um Ratschläge von Hagia Sophia zu erhalten.

Die Letzte war ich.

»Du bleibst, wenn du aufhören willst, zwei zu sein, und du wirst nur eine sein.«

Diesmal hatte ich nicht Viorel auf dem Schoß. Athenas Sohn war bei allem dabei, und es sah so aus, als hätte das, was sie ihm bei der ersten Versammlung gesagt hatte, genügt, um ihm die Angst zu nehmen.

Ich nickte. Im Unterschied zur letzten Versammlung, bei der die Leute gegangen waren, weil Athena mit Viorel allein sein wollte, hielt diesmal Hagia Sophia eine Predigt, bevor sie das Ritual beendete.

»Ihr seid nicht hier, um eindeutige Antworten zu erhalten. Meine Mission ist, euch zu provozieren. In der Vergangenheit gingen Herrscher und Beherrschte zu Orakeln, damit diese ihnen die Zukunft vorhersagten. Die Zukunft aber ist launisch, denn sie wird durch in der Gegenwart getroffene Entscheidungen bestimmt. Haltet das Fahrrad in Fahrt, denn wenn die Bewegung aufhört, werdet ihr stürzen.

Denjenigen, die jetzt auf dem Boden sitzen und die nur hergekommen sind, um Hagia Sophia kennenzulernen und sich von ihr die Wahrheit bestätigen zu lassen, die sie sich wünschen, denen sage ich: Kommt bitte nicht wieder. Oder fangt an zu tanzen, und bringt eure Mitmenschen auch dazu.

Das Schicksal wird mit denjenigen unerbittlich umgehen, die in einem Universum leben wollen, das bereits zu Ende ist. Die neue Welt ist die der Großen Mutter, die zusammen mit der Liebe gekommen ist, um die Himmel vom Wasser zu trennen. Wer glaubt, er habe versagt, wird immer versagen. Derjenige, für den es beschlossene Sache ist, daß er nicht anders handeln kann, wird von der Routine zerstört werden. Derjenige, für den es beschlossene Sache ist, daß er Veränderungen verhindern muß, wird zu Staub werden. Verflucht seien diejenigen, die nicht tanzen und andere daran hindern zu tanzen! «

Ihre Augen sprühten Feuer.

»Ihr könnt gehen.«

Alle gingen hinaus, die meisten wirkten verwirrt. Sie waren gekommen, um Trost zu erhalten, und waren auf Provokation gestoßen. Sie waren gekommen, um zu hören, daß man Liebe kontrollieren kann, und hatten zu hören bekommen, daß die alles verschlingende Flamme nie aufhören wird, alles zu entzünden. Sie wollten Gewißheit darüber erlangen, daß ihre Entscheidungen richtig waren – sie ihre Ehemänner, Ehefrauen, Chefs zufriedengestellt hatten –, und hatten nur Worte gehört, die sie verunsicherten.

Einige jedoch lächelten. Sie hatten die Bedeutung des Tanzens begriffen und würden bestimmt zulassen, daß ihr Körper und ihre Seele von diesem Abend an schwebten – auch wenn sie dafür, was unausweichlich war, einen Preis zahlen mußten.

Im Raum blieben nur Viorel, Hagia Sophia, Heron und ich zurück.

»Ich will, daß nur Andrea dableibt.«

Wortlos nahm Heron seinen Mantel und ging.

Hagia Sophia blickte mich an. Und ganz allmählich sah ich, wie sie sich in Athena zurückverwandelte. Ich kann diesen Wandel nur beschreiben, indem ich sie mit einem Kind vergleiche. Wenn es ärgerlich ist und weint, können wir den Ärger in seinen Augen sehen, aber dann vergißt es ihn schnell. Ist aber der Ärger verflogen, dann ist das Kind nicht mehr das Kind, das eben noch geweint hat. Ein >Etwas<, wenn wir es so nennen wollen, scheint sich in Luft aufgelöst zu haben, sobald sich dessen Werkzeug nicht mehr darauf konzentriert.

Ich stand vor Athena, die erschöpft zu sein schien. »Mach mir einen Tee!« Sie erteilte mir Befehle! Und sie war nicht mehr die universelle Weisheit, sondern die Frau, an der mein Partner interessiert oder in die er verliebt war. Wohin würde uns beide diese Verbindung führen?