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Aber einen Tee zuzubereiten, würde die Situation nicht noch komplizierter machen: Ich ging in die Küche, erhitzte Wasser, tat getrocknete Kamillenblüten hinein und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Viorel war auf ihrem Schoß eingeschlafen.

»Du magst mich nicht.«

Ich sagte dazu nichts.

»Und ich mag dich auch nicht«, fuhr sie fort. »Du bist hübsch, elegant, eine ausgezeichnete Schauspielerin, du bist sehr viel gebildeter als ich, obwohl meine Familie auch viel in meine Ausbildung investiert hat. Aber du bist unsicher, arrogant, mißtrauisch. Wie Hagia Sophia gesagt hat: Du bist zwei, obwohl du nur eine sein könntest.«

»Ich wußte nicht, daß du dich an das erinnern kannst, was du in Trance sagst, denn dann bist du auch zwei: Athena und Hagia Sophia.«

»Ich habe zwar zwei Namen, bin aber nur eine – oder ich bin alle Menschen der Welt. Und genau darauf will ich hinaus: Da ich eine und alle zugleich bin, gibt mir der Funken, der auftaucht, wenn ich in Trance gerate, genaue Anweisungen. Selbstverständlich bin ich die ganze Zeit bei halbem Bewußtsein, sage aber Dinge, die aus einem unbekannten Winkel meiner selbst kommen. Als würde mich die Milch der Großen Mutter nähren, diese Milch, die in unser aller Seelen fließt und die das Wissen der Welt in sich trägt.

Seit vergangener Woche, als ich das erste Mal in Verbindung mit dieser neuen Form trat,

erschien mir das Erste, was mir gesagt wurde, zuerst als unsinnig: Ich sollte dich lehren.«

Sie machte eine Pause.

»Selbstverständlich dachte ich damals, ich halluzinierte, denn ich empfand keinerlei Sympathie für dich.«

Sie machte noch eine Pause, diesmal länger als vorher. »Aber heute hat die Quelle weiter darauf bestanden. Und ich stelle dich nun vor die Wahl.«

»Warum nennst du sie Hagia Sophia?«

»Ich habe sie so getauft. Es ist der Name einer Moschee, die ich in einem Buch gesehen habe und die ich sehr schön fand.

Du wirst meine Schülerin sein, wenn du es willst. Mein Leben hat eine neue Wendung genommen, ich habe Hagia Sophia in mir entdeckt, und es war kein Zufall, daß du eines Tages bei mir zur Tür hereinkamst und sagtest: >Ich mache Theater, und wir wollen ein Stück über das weibliche Antlitz Gottes aufführen. Ein Freund, der Journalist ist, hat mir erzählt, daß Sie in der Wüste gelebt, eine Zeitlang in den Karpaten bei den Zigeunern verbracht haben und einiges über dieses Thema wissen.«<

»Wirst du mir alles beibringen, was du weißt?«

»Alles, was ich nicht weiß. Ich werde mit dir zusammen lernen, wie ich es dir schon bei unserer ersten Begegnung gesagt habe. Und ich sage es jetzt noch einmal. Wenn ich alles gelernt habe, was ich brauche, gehen wir getrennte Wege.«

»Kannst du jemanden etwas lehren, den du nicht magst ?«

»Ich kann jemanden, den ich nicht mag, trotzdem lieben und achten. Die beiden Male, in denen ich in Trance war, konnte ich deine Aura sehen – mir ist im Leben noch keine begegnet, die weiter entwickelt gewesen wäre. Du kannst etwas in dieser Welt verändern, wenn du mein Angebot annimmst. «

»Wirst du mir beibringen, Auren zu sehen?«

»Ich wußte selber nicht, daß ich dazu in der Lage war, bis ich zum ersten Mal eine gesehen habe. Du wirst auf deinem Weg am Ende auch das lernen.«

Ich verstand, daß man jemand lieben kann, den man nicht mag. Ich willigte ein.

»Dann laß uns diese Einwilligung in ein Ritual verwandeln. Ein Ritual wirft uns in eine unbekannte Welt, aber wir wissen, daß wir mit den Dingen, die es dort gibt, nicht spielen dürfen. Es reicht nicht, einfach nur ja zu sagen. Man muß sein Leben aufs Spiel setzen Und ohne lange darüber nachzudenken. Wenn du die Frau bist, für die ich dich halte, dann wirst du nicht sagen: >Ich muß es mir noch überlegen.< Du wirst sagen: >Ich bin bereit. Laß uns das Ritual vollziehen. Wo hast du dieses Ritual gelernt?<

Ich werde es jetzt lernen. Ich brauche nicht mehr meinen Rhythmus aufzugeben, um mit dem Funken der Großen Mutter in Verbindung zu treten, denn wenn sie sich einmal in dir niedergelassen hat, dann ist es einfach, ihr wieder zu begegnen. Ich kenne jetzt die Tür, die ich öffnen muß, auch wenn sie zwischen vielen Ein-und Ausgängen verborgen ist. Ich brauche nur einen Augenblick Stille.«

Wieder Stille!

Wir saßen beide da, starrten einander aus weit aufgerissenen Augen an, als ginge es darum, ein tödliches Duell zu beginnen. Rituale! Ich hatte schon an einigen teilgenommen, bevor ich das erste Mal an Athenas Tür geklingelt hatte. Mit dem Ergebnis, daß ich mich benutzt und herabgewürdigt fühlte, weil ich vor einer Tür stand, die ich immer vor Augen hatte, aber niemals öffnen konnte. Rituale!

Athena trank nur einen Schluck von dem Tee, den ich zubereitet hatte.

»Das Ritual ist beendet. Ich habe dich gebeten, etwas für mich zu tun. Du hast es getan. Ich habe es angenommen. Nun bist du an der Reihe, mich um etwas zu bitten.«

Ich dachte sofort an Heron. Aber das war jetzt nicht der richtige Augenblick.

»Zieh dich aus.«

Sie fragte nicht nach dem Grund. Sie schaute zu Viorel, vergewisserte sich, daß er schlief, und zog dann den Pullover aus.

»Du brauchst es nicht zu tun«, sagte ich. »Ich weiß nicht, warum ich dich darum gebeten habe.«

Aber sie fuhr fort, sich auszuziehen. Die Bluse, die Jeans, den Büstenhalter – ich sah ihre Brüste an, die schönsten, die ich je gesehen hatte. Dann zog sie den Slip aus. Da stand sie und bot mir ihre Nacktheit dar.

»Segne mich«, sagte Athena.

Meine >Meisterin< segnen? Aber ich hatte den ersten Schritt getan, ich konnte nicht auf halber Strecke aufhören – und ich tunkte meine Finger in die Teetasse und besprengte ihren Körper mit ein paar Tropfen.

»Ich segne dich, so wie diese Pflanze gesegnet wurde, als sie, mit Wasser vermischt, zu einem Getränk wurde. Und ich bitte die Große Mutter, die Quelle, aus der dieses Wasser stammt, möge nie versiegen, und die Erde, aus der diese Pflanze stammt, möge immer fruchtbar und großzügig sein.«

Ich war über meine eigenen Worte überrascht. Sie stammten weder von mir noch von etwas, das außerhalb von mir lag. Mir war so, als würde ich sie seit jeher kennen und als hätte ich diesen Segen schon unzählige Male gesprochen.

»Du bist gesegnet, du kannst dich anziehen.«

Aber sie blieb nackt, hatte ein Lächeln auf den Lippen. Was wollte sie? Wenn Hagia Sophia imstande war, Auren zu sehen, mußte sie wissen, daß ich nicht den geringsten Wunsch hatte, Sex mit einer Frau zu haben.

»Einen Augenblick.«

Sie hob Viorel auf den Arm, trug ihn in sein Zimmer und kam wieder zurück.

»Zieh dich auch aus.«

Um was bat sie mich da? Hagia Sophia, die mir von meinem Potential erzählt und gesagt hatte, ich sei die perfekte Schülerin? Oder Athena, die ich nicht gut kannte, die zu allem imstande zu sein schien, eine Frau, der das Leben beigebracht hatte, ihre Grenzen zu überschreiten, jede Neugier zu befriedigen?

Wir befanden uns nun in einer Art Gegenüberstellung, die keinen Rückzug erlaubte. Ich entkleidete mich genauso locker, mit dem gleichen Lächeln und dem gleichen Blick.

Sie nahm meine Hand, und wir setzten uns beide auf das Sofa.

In der nun folgenden halben Stunde sprachen Athena und Hagia Sophia mit mir. Sie wollten wissen, welches meine nächsten Schritte sein würden. Während die beiden mich befragten, sah ich, daß tatsächlich alles deutlich vor meinen Augen geschrieben stand, die Türen immer verschlossen gewesen waren, weil ich nicht begriffen hatte, daß ich der einzige Mensch auf der Welt war, dem es erlaubt war, sie zu öffnen.

Heron Ryan, Journalist

Der Redaktionsleiter gab mir ein Video, und wir gingen in den Vorführraum, um es anzusehen.

Das Video war am Morgen des 26. April 1986 aufgenommen worden und zeigte eine Alltagsszene in einer ganz normalen Stadt. Ein Mann sitzt in einem Cafe. Eine Mutter geht mit ihrem Baby durch die Straße. Die Leute sind geschäftig, gehen zur Arbeit, zwei Männer warten an der Bushaltestelle. Ein Mann liest Zeitung auf einer Bank auf einem Platz.