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Es kostete große Mühe, aus dieser Trance wieder herauszukommen, die mich, obwohl sie mich keine Götter, Auren oder Geister hatte sehen lassen, in einem Zustand der Gnade hielt, den ich so sehr brauchte.

Ich konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart, auf die junge Frau neben mir, auf das

Ritual, das ich durchführen mußte.

»Wie geht es mit deiner Schülerin?«, fragte ich.

»Es ist schwierig. Aber wäre es nicht so, würde ich vielleicht nicht lernen, was ich brauche.«

»Und entwickelt sie ihre Kraft ?«

»Sie redet mit Wesen aus der Parallelwelt.«

»So wie du mit Hagia Sophia redest?«

»Nein. Du weißt, daß Hagia Sophia die Große Mutter ist, die sich in mir offenbart. Meine Schülerin redet mit unsichtbaren Wesen.«

Ich hatte es längst verstanden, mußte aber Gewißheit erlangen. Athena war schweigsamer als sonst. Ich wußte nicht, ob sie mit Andrea über die Ereignisse in London gesprochen hatte, aber das war jetzt nicht wichtig. Ich erhob mich, öffnete meine Tasche, zog daraus eine Handvoll eigens ausgewählte Kräuter hervor und warf sie in die Flammen.

»Das Holz hat begonnen zu sprechen«, sagte Athena, als wäre das etwas vollkommen Normales, und das war gut so, die Wunder gehörten jetzt zu ihrem Leben.

»Was sagt es ?«

»Im Augenblick nichts. Es macht nur Geräusche.«

Und ein paar Minuten später hörte sie ein Lied, das aus dem Feuer kam.

»Das ist wunderbar!«

Das hatte das Mädchen gesagt, nicht die Frau oder die Mutter.

»Bleib einfach so sitzen. Versuche nicht, dich zu konzentrieren oder meinen Schritten zu folgen oder zu begreifen, was ich sage. Entspanne dich, fühle dich wohl. Manchmal können wir vom Leben nicht mehr erwarten!«

Ich kniete nieder, zog einen glühenden Zweig aus dem Feuer und zeichnete dann damit einen Kreis um Athena herum, in dem ich eine kleine Öffnung ließ, durch die ich eintreten konnte. Ich hörte dieselbe Musik wie sie, tanzte um sie herum und rief damit die Vereinigung des männlichen Feuers mit der Erde herbei, die das alles läuternde Feuer empfing. Ich tanzte, solange die Melodie des Feuers erklang, und machte zu der lächelnd im Kreis sitzenden jungen Frau hin Gesten, die sie schützen sollten.

Als die Flammen erloschen waren, nahm ich etwas Asche und streute sie auf Athenas Kopf. Dann verwischte ich mit den Füßen den Kreis, den ich um sie gezogen hatte.

»Vielen Dank«, sagte sie. »Ich habe mich angenommen, geliebt, beschützt gefühlt.«

»Du solltest dich in schwierigen Augenblicken daran erinnern.«

»Jetzt, wo ich meinen Weg gefunden habe, wird es keine schwierigen Augenblicke mehr geben. Ich glaube, daß ich eine Mission zu erfüllen habe, das stimmt doch, oder ?«

»Ja, wir alle haben eine Mission zu erfüllen.«

Sie wurde unsicher.

»Du hast nichts zu den schwierigen Augenblicken gesagt.«

»Das ist keine gute Frage. Erinnere dich an das, was ich davor gesagt habe: Du wirst geliebt, bist angenommen, bist beschützt.«

»Ich werde mein Möglichstes tun.«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Athena hatte meine Antwort verstanden.

Samira R. Khalil, Hausfrau

»Mein Enkel! Was hat mein Enkel damit zu tun? In was für einer Welt leben wir denn, mein Gott? Leben wir noch im Mittelalter und verfolgen Hexen?«

Ich lief zu ihm. Der Junge hatte eine blutige Nase, aber ihn schien meine Verzweiflung nicht zu kümmern, und er schob mich sofort weg.

»Ich kann mich selber wehren. Und das habe ich.«

Ich kenne Kinderherzen, obwohl ich nie selbst ein Kind geboren habe. Ich sorgte mich sehr viel mehr um Athena als um Viorel – dies war lediglich einer der vielen Kämpfe gewesen, die er in seinem Leben würde ausfechten müssen, und im Blick aus seinen geschwollenen Augen lag durchaus ein gewisser Stolz.

»Ein paar Jungen in der Schule haben gesagt, meine Mutter sei eine Teufelsanbeterin.«

Kurz darauf kam Sherine. Sie sah Viorels blutige Nase und machte einen wahren Aufstand. Sie wollte sofort in die Schule gehen und mit dem Direktor reden, aber ich nahm sie in den Arm. Ich ließ sie sich ausweinen, ihre Frustration herauslassen – und konnte in diesem Augenblick selber nur schweigen und versuchen, ihr wortlos zu vermitteln, wie sehr ich sie liebte.

Als Sherine sich etwas beruhigt hatte, sagte ich ihr behutsam, daß sie wieder bei uns wohnen könnte, wir würden uns um alles kümmern. Ihr Vater hatte mit ein paar Anwälten gesprochen, nachdem er in der Zeitung etwas über das Verfahren gelesen hatte. Wir würden alles in unserer Macht Stehende tun, um ihr zu helfen, wir würden das Gerede der Nachbarn ertragen, die ironischen Blicke unserer Bekannten, die geheuchelte Solidarität angeblicher Freunde.

Es gab für mich auf der Welt nichts Wichtigeres als das Glück meiner Tochter. Allerdings habe ich nie verstanden, wieso sie immer so schwierige, leidvolle Wege einschlug. Aber eine Mutter muß nicht alles verstehen – sie muß nur lieben und beschützen.

Und stolz sein. Obwohl Sherine wußte, daß wir ihr fast alles geben konnten, ist sie früh aus dem Haus gegangen, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen. Sie ist gestrauchelt, gescheitert, hat aber immer darauf bestanden, alle Turbulenzen allein durchzustehen. Jetzt aber war sie zu mir gekommen, weil sie wußte, in welcher Gefahr sie war. Das hat sie uns wieder nähergebracht. Mir war klar, daß sie keinen meiner Ratschläge je befolgt hatte – ein Studium abzuschließen, zu heiraten, die Schwierigkeiten eines Ehelebens klaglos hinzunehmen und nicht mehr zu wollen, als die Gesellschaft ihr zugestand.

Und was war dabei herausgekommen?

Indem ich meiner Tochter beistand, bin ich zu einem besseren Menschen geworden. Selbstverständlich verstand ich nicht, was es mit dieser Mutter-Göttin auf sich hatte. Mir war ihre Manie unbegreiflich, immer fremde Leute um sich zu versammeln und sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was sie durch eigene harte Arbeit erreicht hatte.

Aber im Grunde genommen wäre ich gerne wie sie gewesen, obwohl es jetzt schon zu spät ist, an so etwas zu denken.

Ich wollte gerade aufstehen und etwas zu essen machen, aber Sherine hielt mich zurück.

»Ich möchte noch ein wenig so an dich gelehnt sitzen bleiben. Das ist alles, was ich brauche. – Viorel, kannst du einen Moment in dein Zimmer spielen gehen, ich möchte mit deiner Großmutter reden.«

Der Junge gehorchte.

»Du hast es mit mir oft nicht leicht gehabt, Mama.« »Ach was, du und dein Sohn, ihr seid unsere ganze Freude, unser wichtigster Lebensinhalt.«

»Aber ich habe doch nicht …«

»Es war gut, so wie es war. Heute kann ich es dir beichten: Es hat Augenblicke gegeben, in denen ich dich gehaßt habe, und manchmal habe ich es bitter bereut, daß ich nicht dem Rat der Adoptionsbeauftragten gefolgt bin und ein anderes Kind adoptiert habe. Gleichzeitig fragte ich mich ständig: >Wie kann eine Mutter bloß ihr eigenes Kind hassen?< Ich nahm Beruhigungsmittel, ging mit Freundinnen Bridge spielen, kaufte zwanghaft ein, um zu kompensieren, daß die Liebe, die ich dir gab, nicht erwidert wurde, wie ich damals glaubte.

Vor ein paar Monaten, als du wieder einmal eine Arbeit aufgegeben hast, die dir Geld und Ansehen verlieh, war ich verzweifelt. Ich ging in die Kirche in der Nähe unseres Hauses. Ich wollte ein Gelübde ablegen, die Heilige Jungfrau bitten, dafür zu sorgen, daß du die Realität wahrnimmst, dein Leben veränderst, die Chancen nutzt und sie nicht verstreichen läßt. Ich war zu allem bereit, wenn sie mir nur half.

Ich schaute die Statue der Heiligen Jungfrau an, die mit ihrem Kind auf dem Arm dastand, und sagte zu ihr: >Du bist auch Mutter, du weißt, was ich durchmache. Verlange von mir, was du willst, nur, bitte, rette meine Tochter, denn ich glaube, sie ist dabei, sich selbst zu zerstören.<«

Ich spürte, wie Sherines Arme mich drückten. Sie begann wieder zu weinen, diesmal aber anders. Ich tat alles, um meine Gefühle im Griff zu behalten.