Выбрать главу

»Ich werde nicht für jemanden singen, der meine Kunst nicht zu würdigen weiß.« Pikiert fügte er hinzu: »Außerdem, wer beweist mir denn, daß du eine Dame bist?«

»Du selbst hast es gesagt.«

»Auch Sänger täuschen sich.«

So ging es weiter, den ganzen Vormittag über. Sie hänselten und stritten sich, mal verspielt, mal wirklich zornig, und doch gewann keiner die Oberhand. Jodokus sang keine einzige Zeile, und Kriemhild verriet ihm nichts von ihrer Herkunft. Am Ende, als beiden die Argumente ausgingen, kamen sie überein, daß ihr Streit im großen und ganzen ein Zeitvertreib gewesen sei und man ihn als solchen abtun solle; sie bekräftigten diesen Beschluß mit einem Handschlag und lautem Gelächter.

Hätte jemand sie so dahinziehen sehen, kichernd und scherzend auf der Straße durchs Land der Toten, so hätte er sie vielleicht für verrückt gehalten - vielleicht aber auch nur für zwei junge Leute, die das Leid, das sie umgab, nicht wahrhaben wollten und mit ihren eigenen niederen Nöten überspielten.

Wie hätte der Wanderer, der sie aus der Ferne sah, auch ahnen können, daß diese Nöte weder klein noch allein ihre eigenen waren?

»Was ist das?«

Jodokus Stimme riß Kriemhild aus dem eintönigen Trott, der sich von ihrem Pferd auf sie selbst übertragen hatte.

»Hm?« Sie schaute sich verwundert um. »Was meinst du?«

Der Junge zerrte an den Zügeln. »Horch! Hörst du es nicht?«

Sie hatten die Straße eine Weile zuvor verlassen und waren in südliche Richtung eingeschwenkt, um Würzburg in weitem Bogen zu umgehen. Der Pfad, auf dem sie sich bewegten, war kaum mehr als solcher zu bezeichnen: ein natürlicher Hohlweg zwischen dichten, weit vornübergebeugten Buchen und Eichenbäumen, ein dunkelgrüner Tunnel, den ein verworrenes Geflecht aus Wurzelsträngen überwucherte. Die Pferde hatten Mühe, zwischen den steinharten Ranken Raum für ihre Hufe zu finden, und Kriemhild betete in Gedanken zu Gott, daß sich keines der Tiere die Läufe brach. Wenn sie eines vermeiden wollte, dann war es, mit Jodokus im selben Sattel sitzen zu müssen.

»Was sollte ich denn hören?«

Jodokus’ Blick war in die Richtung gewandt, aus der sie gekommen waren - offenbar ertönten die Geräusche, die er zu hören glaubte, von hinten. Als er wieder herumfuhr, waren seine Augen geweitet, sein Gesicht aschfahl. »Komm!« zischte er Kriemhild zu. »Wir müssen runter von diesem Weg.«

Sie hätte gerne gewußt, was ihn so verstört hatte, und die Ungewißheit verstärkte nur das unheilvolle Rumoren in ihrem Bauch. Seine Geheimnistuerei ärgerte sie, aber mehr noch steckte sie seine Furcht an, und sie spürte unwillkürlich, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt war, seine fehlende Mitteilsamkeit zu bemängeln.

Kriemhild trieb ihr Pferd zur Eile, wußte aber zugleich, daß sie kaum schneller als bisher vorankommen würden: Das Wurzelgeflecht war gar zu hinderlich, und die Seiten des Hohlwegs zu verfilzt und verwoben, als daß sie nach rechts oder links hätten ausweichen können. Sie hatten keine andere Wahl, als weiter geradeaus zu reiten, ganz gleich, was sich ihnen von hinten nähern mochte.

»Beeil dich!« preßte Jodokus hervor, der auf Armlänge hinter ihr ritt.

Sie verzichtete auf eine Erwiderung und blickte starr nach vorne. Irgendwo in der Ferne schwebte ein grauer Fleck, das Ende des Hohlwegs. Noch mindestens zweihundert Schritte.

Einmal schaute sie kurz über ihre Schulter nach hinten, doch alles, was sie sah, war Jodokus’ gehetztes Gesicht über der strähnigen Mähne seines Pferdes; sein Körper verwehrte jede Sicht auf das, was sich hinter ihm befinden mochte, und insgeheim war Kriemhild froh darüber. Der Junge, der angeblich den Tod nicht fürchtete, sah aus, als säße ihm der Leibhaftige selbst im Nacken.

Holpernd stürmten die Pferde den Weg entlang, drohten im dichten Netzwerk der Wurzelstränge steckenzubleiben, stolperten und scheuten. Immer wieder stieß Jodokus Rufe aus, um die Tiere anzutreiben, doch alles, was sie bewirkten, war, daß Kriemhilds Sorge ins Unermeßliche wuchs. Sie versuchte, über das Chaos der hämmernden Hufe, das Pferdewiehern und Gebrüll des Sängers etwas zu hören, das auf die Natur ihrer Verfolger schließen ließ, doch ihre Mühen waren vergeblich. Ebensogut hätten sie vor leerer Luft davonlaufen können.

Da kam Kriemhild ein Gedanke: Was, wenn es genau das war? Wenn sie vor Luft, vor nichts, vor einem Hirngespinst flohen? Etwas, das nur im Kopf des Sängers existierte? So wie der Dichtermet, so wie die Götter, die ihn angeblich verfolgten?

Kriemhild traf Hals über Kopf eine Entscheidung. Mit einem Ruck riß sie an den Zügeln und brachte ihr Pferd zum Stehen. Mit verkrampften Fingern machte sie sich bereit für den Aufprall, falls Jodokus’ Roß gegen das ihre preschen würde.

Doch der Zusammenstoß blieb aus. Die beiden Pferde hatten zu lange gemeinsam auf einer Weide gestanden, zu oft den selben Karren gezogen. In jenem Augenblick, da das vordere stehenblieb, tat das hintere das gleiche, egal wie laut Jodokus fluchen mochte.

Kriemhild wandte sich atemlos um und blickte hinter sich. Der Sänger starrte sie an, als wollte er ihr mit bloßen Händen die Kehle zerfleischen.

»Was tust du?« kreischte er fassungslos.

Sie nahm all ihre Kraft zusammen und sagte: »Ich bleibe stehen, das siehst du doch.«

Seine Augen ruckten herum, schauten zurück. Kriemhild ließ ihr Pferd einen Schritt zur Seite treten und blickte an Jodokus vorbei zum hinteren Ende des Hohlwegs.

Da war nichts. Nur Dunkelheit, die Schatten der Bäume und das Dämmerlicht, das spärlich durchs Blätterdach fiel. Eine felsenschwere Last wich von Kriemhilds Herzen.

Jodokus aber war keineswegs erleichtert. Im Gegenteiclass="underline" Seine Panik schraubte sich höher und höher.

»Weiter!« kommandierte er mit überschnappender Stimme. »Wir müssen weiter!« Und schon drängte er sein Pferd an ihr vorbei und hieb ihm die Fersen mit so viel Kraft in die Seiten, daß es sich schmerzerfüllt aufbäumte.

»Jodokus!« schrie sie ihn an. »Jodokus, komm zu dir!«

»Ich...«

»Da ist niemand!« Sie streckte die Hand aus, als wollte sie nach ihm greifen, obwohl er längst einige Schritte entfernt war. »Wir sind allein. Es ist niemand hier. Was immer du gehört hast, es war nicht wirklich.«

»Nicht wirklich?« Er zügelte sein Pferd und wandte sich im Sattel herum. In seinen Augen loderte etwas, das Wahnsinn gefährlich nahekam. »Nicht... wirklich?« stammelte er noch einmal.

»Nein, Jodokus. Es gibt keine Gefahr. Nicht hier.«

Ein irres Lachen flackerte wie der Widerschein eines Scheiterhaufens über seine Züge. »Du weißt ja nicht, wovon du sprichst. Nichts weißt du!«

»Sind es die Götter, Jodokus? Glaubst du wirklich, sie wären hinter dir her? Jetzt, in diesem Augenblick?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich bleibe nicht hier. Komm mit mir oder laß es, aber ich bleibe nicht!«

Sie ahnte, daß ihr die Argumente ausgehen würden, wenn er sich auf das eine, das einzige nicht einließ. Dennoch versuchte sie es erneut: »Auf diesem Weg, in diesem ganzen Wald ist niemand! Keiner will uns etwas Böses antun! Herrgott, schau doch hin - es ist niemand zu sehen!«

Zu ihrem Erstaunen verharrte er einen Moment lang wie versteinert, dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem bösen Grinsen. »Niemand zu sehen«, wiederholte er ihre Worte. »Natürlich nicht. Aber ich höre sie, begreifst du? Ich kann sie hören!«

Und als wollte die Natur seine Worte unterstreichen, ging plötzlich ein Beben durch die laue Luft der Abenddämmerung. Tatsächlich war es nichts, das man mit menschlichen Augen hätte wahrnehmen können. Kriemhild spürte es nur, sie fühlte, wie etwas in ihrem Inneren in Regung geriet, zu zittern begann, Alarm schlug wie eine Glocke auf dem höchsten Turm einer Fluchtburg.