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»Ein guter König, du liebe Güte!« Ihr Tonfall war verächtlich, obgleich sie keinen Haß auf Hagen empfand. Er war ebenso ein Opfer des Königshofes wie sie selbst. Mit dem Unterschied, daß er Opfer und Vollstrecker in einer Person war. »Wann wird mein Bruder in deinen Augen wohl ein guter König sein, Hagen von Tronje? Wenn du dich endgültig an ihn verkauft hast und genauso denkst wie er? Oder aber wenn er so kalt und gefühllos geworden ist wie du?«

Langsam kam er näher, ein unwirklicher Scherenschnitt vor dem fahlen Abendhimmel. Er sagte kein Wort, nur sein Kragen aus Rabenfedern knisterte leise im Wind. Plötzlich führte er beide Hände zum Helm und hob ihn vom Kopf. Darunter kamen ausgezehrte Züge zum Vorschein, kurzes, dunkles Haar, und eine schwarze Binde, die sein erblindetes linkes Auge bedeckte.

Jodokus beugte sich an Kriemhilds Ohr. »Mußt du nun auch noch mit ihm Streit anfangen?« flüsterte er verzagt.

Kriemhild ließ Hagen nicht aus den Augen. Noch fünfzehn Schritte. »Irgendwelche Vorschläge?« zischte sie Jodokus zu.

»Du hast doch nicht etwa vor -«

»Einverstanden«, unterbrach sie ihn lakonisch. »Dann machen wir es auf meine Art.«

Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da brach sie schon nach links aus, sprang von der Straße und rannte über die Wiese nach Norden.

Jodokus öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch da war sie schon fort. Zugleich geriet auch der schwarze Hüne in Bewegung. Wortlos ließ er den Helm fallen und machte sich an die Verfolgung der Prinzessin, ohne Jodokus eines einzigen Blickes zu würdigen.

Der Sänger stand mit hängenden Schultern auf der Straße und fühlte sich elend. »Du hast mir nicht gesagt, was du unter ›meine Art‹ verstehst!« Aber er flüsterte nur und kam sich dabei äußerst hilflos vor.

Kriemhild war bereits jenseits einer Hügelkuppe im Norden verschwunden, und Hagen von Tronje folgte ihr mit riesigen Sätzen. Mit Rüstzeug und Mantel hätte er niemals so flink sein dürfen. Jodokus hegte wenig Hoffnung für die Prinzessin.

Dann machen wir es auf meine Art.

Das machte ihn wirklich wütend. Was dachte sie sich nur dabei? Einen Moment lang erwog er, den beiden zu folgen, doch gegen Hagen konnte er ohnehin nichts ausrichten.

Jodokus fühlte sich nichtsnutzig und verloren, als er plötzlich so ganz allein dastand. Jäger und Gejagte waren auf und davon. Und er? Zornig zupfte er unter seinem Wams die Bänder zurecht, die den Weinschlauch hielten, dann wandte er sich wieder nach Osten. Er passierte Hagens Helm und erwog, ihn aufzuheben, ließ ihn dann aber doch lieber liegen. Er wollte nicht, daß es hieß, er hätte versucht, einen Vertrauten des Königs zu bestehlen; o nein, ganz gewiß nicht! Sollte sich all das edle Königsvolk doch kreuz und quer über die Hügel jagen! Ihn würde das nicht mehr belasten! Ihn nicht!

Aber natürlich konnte er in Wahrheit an nichts anderes denken, und Kriemhilds Schicksal berührte ihn längst viel mehr als sein eigenes.

Von finsteren Gedanken erfüllt stieg er den Hügel hinauf, über den Hagen ihnen entgegengekommen war. Auch von hier oben konnte er die Prinzessin und ihren Gegner nirgends entdecken. Es war tatsächlich, als hätte sich der Boden aufgetan und beide in die Tiefe gerissen. Ein seltsamer Friede lag über dem Land, der Jodokus’ Neid weckte, war ihm selbst doch alles andere als friedlich zumute.

Als er die Ostflanke des Hügels hinabblickte, dem weiteren Verlauf der Straße nach, entdeckte er in einer dunklen Bodensenke ein Lagerfeuer. Die Sonne war jetzt gänzlich untergegangen, und der Einschnitt zwischen den Hügeln lag in völliger Dunkelheit. Nur das Feuer leuchtete Jodokus wie ein gefallener Stern entgegen. Aus der Ferne war nicht zu erkennen, wer dort lagerte, aber das war auch nicht nötig. Jodokus ahnte es auch so.

Eilig lief er die Straße bergab, verließ sie etwa hundert Schritte vor dem Feuer und pirschte vorsichtig näher heran. Seine Ahnung bestätigte sich. Unweit der Flammen hockte der kleine Junge im Gras, einen Dolch in der Hand, und ängstigte sich augenscheinlich fast zu Tode. Seine Augen zuckten aufgeregt hin und her, und er hatte Mühe, die Beine stillzuhalten. Die beiden Pferde standen ganz in seiner Nähe.

Mit Genugtuung, aber auch voller Sorge um Kriemhild, erkannte Jodokus, daß Hagen noch nicht zurückgekehrt war. Mochte der Teufel wissen, wohin es ihn und die Prinzessin verschlagen hatte. Wenn sie weiter mit dieser Geschwindigkeit nach Norden liefen, würden sie irgendwann ins Meer fallen.

Auf meine Art. Pah! Jodokus faßte einen Entschluß und dachte dabei, daß es allein seine eigene Art und Weise war, von der alles weitere abhing.

Obwohl Kriemhild es anzweifeln mochte, wußte er gut mit seiner Stimme umzugehen. Jetzt stellte er es unter Beweis, indem er das Heulen eines hungrigen Wolfes ausstieß, leise, als sei das Tier noch weit entfernt. Sogleich schrak der Kleine am Feuer angstvoll zusammen und spähte mit verkniffenen Augen in Jodokus’ Richtung. In der Dunkelheit aber vermochte er nichts zu erkennen, und so wuchs seine Furcht nur noch weiter.

Das Ganze begann dem Sänger allmählich Spaß zu bereiten, vor allem, da er selbst sich unsichtbar fühlte, der Junge aber weithin zu sehen war. Dennoch, so rief er sich selbst zur Vernunft, war er nicht hier, um Streiche zu spielen. Er war sicher, daß der Junge das Feuer gegen die ausdrückliche Anweisung seines Begleiters entfacht hatte, wahrscheinlich erst, als Hagen nach Anbruch der Nacht nicht zurückgekehrt war. Ein Glück für Jodokus.

Lautlos schlich er heran, achtete aber darauf, nicht in den Lichtkreis der Flammen zu geraten. Kriemhild hatte ihm erzählt, daß der Schimmel ihr gehörte, und der Sänger vertraute darauf, daß das Tier den Geruch der Prinzessin an seiner Kleidung wahrnahm. Freilich, er hätte einfach auf den Jungen zugehen, sich auf ein Handgemenge mit ihm einlassen und ihm eins überziehen können. Lieber aber wollte er versuchen, die Pferde zu stehlen, ohne daß der Kleine es bemerkte. Erst das war eine wahre Herausforderung!

Jodokus umrundete das Lager so weit, bis sich die Tiere genau zwischen ihm und dem Jungen befanden. Dann erst pirschte er näher heran. Im hohen Gras verursachten seine Sohlen nicht mehr als ein sanftes Rascheln, und selbst das ging unter im Säuseln der Nachtwinde, die über die Hügel strichen. Er erreichte den Schimmel und ließ dem Tier ausreichend Zeit, sich an seine Nähe zu gewöhnen. Tatsächlich schien das Pferd Kriemhilds Gerüche wiederzuerkennen und ließ ohne einen Laut geschehen, daß der Sänger das Seil löste, mit dem es an einem niedrigen Strauch gebunden war.

Wieder warf Jodokus einen Blick zu dem Jungen hinüber, diesmal zwischen den Beinen der Tiere hindurch. Der Kleine klammerte sich an den Dolch, als wollte er eine ganze Armee damit zur Strecke bringen. Sein Blick aber war nach Norden gerichtet, weit abgewandt von Jodokus und den beiden Pferden.

Der Sänger lächelte still vor sich hin, richtete sich wieder auf und näherte sich dem zweiten Roß. Hier mochte die Angelegenheit schwieriger werden. Erstens stand Hagens Pferd näher am Feuer, zum zweiten mochte es auf seine Weise genauso gefährlich sein wie sein Reiter. Einen Pferdebiß oder einen Tritt mit dem Huf konnte Jodokus jetzt am allerwenigsten gebrauchen.

Er machte einen Bogen um alle bedrohlichen Teile des Tieres und löste den Knoten seiner Fessel. Das Roß hielt still, doch seine Augen schienen jede Regung des Sängers genau zu beobachten, als wartete es nur darauf, daß er in seine Reichweite kam; spätestens dann würde es zustoßen wie eine Schlange. Die Vorstellung steigerte nicht gerade die des Sängers Zuneigung für das Tier.

Blitzschnell huschte er mit dem Seil zurück zu Kriemhilds Schimmel. Er befestigte das Ende des Stricks am Sattel, bis beide Pferde fest miteinander verbunden waren. Zuletzt schwang er sich auf den Rücken der weißen Stute.