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Das Leder des Sattels knirschte vernehmlich, und der Junge fuhr herum. Er sah voller Entsetzen die Gestalt auf dem Rücken des Schimmels und hielt den Dolch wie ein Breitschwert vor sich. Die Spitze wies auf Jodokus, doch zitterte sie kaum weniger als die Knie des Kleinen.

»Wer da?« rief er aus.

»Ein Freund des Königs«, gab Jodokus zurück. Das war vielleicht nicht ganz die Wahrheit: ›Ein Freund der Schwester des Königs‹ wäre wohl richtiger gewesen, doch für solche Haarspaltereien blieb jetzt keine Zeit.

»Ich sehe nur einen Pferdedieb!« rief der Junge mit schwankender Stimme.

»Mag schon sein«, erwiderte Jodokus und spornte den Schimmel an. Sogleich stürmte das Tier nach vorne. Die weiße Mähne wehte im Wind, und Jodokus war überwältigt von der zügellosen Kraft im Leib dieses Pferdes. Ein wunderbares Tier, einer Prinzessin, gar einem König nur zu würdig! In gewisser Weise vielleicht auch einem fahrenden Sänger. In gewisser Weise...

Der Junge schrie auf, als ihn das schwarze Roß im Schlepptau des Schimmels beinahe in den Boden stampfte. Er sprang gerade noch schnell genug zur Seite, um den mächtigen Hufen zu entgehen. Dabei verlor er den Dolch. Die Waffe fiel prompt ins Feuer. Tränen schossen dem Jungen in die Augen, als er seinen Widerwillen bezwang und trotz der Flammen nach der Waffe griff. Sie hatte nicht lange genug in der Glut gelegen, um sich zu erhitzen, dennoch versengte der Junge sich am Feuer die Finger.

Als er wütend aufschaute und wild mit der Waffe um sich hieb, waren Jodokus und die Pferde längst fort. Der Junge hörte nur noch, wie sie gen Osten davongaloppierten.

Jodokus schaute zurück und sah den Umriß des Kleinen vor dem Feuer. Der Junge tat ihm aufrichtig leid. Hagen würde das Kind bestrafen, sobald er von dem Diebstahl erfuhr. Jodokus selbst wollte möglichst weit fort sein, wenn der Zorn dieses Mannes zum Ausbruch kam.

Er war noch nicht lange durch die Dunkelheit geritten, als sich vor ihm etwas regte.

»Heh!« rief jemand, gerade laut genug, um den Lärm der Hufe zu übertönen.

Eine weibliche Stimme.

Jodokus zügelte den Schimmel mit einem kräftigen Ruck. Es war zu dunkel, um ein Gesicht auszumachen.

»Mir scheint, das ist mein Pferd, auf dem Ihr sitzt, fremder Recke!« sagte Kriemhild und plötzlich prustete sie vor Lachen. »Welche Anmaßung!«

Jodokus war überhaupt nicht zum Lachen zumute. »Wo kommst du her?«

»Ich sagte doch, wir machen es auf meine Art.«

»Deine -«, begann er lautstark, ehe ihm einfiel, daß dies nicht der rechte Zeitpunkt für einen neuerlichen Disput war.

»Laß mich auf Lavendel reiten«, sagte Kriemhild. »Du kannst Hagens Pferd nehmen.«

»Aber wo ist -«

»Hagen? Der dürfte mich ein ganzes Stück weiter nördlich suchen. Wenigstens hoffe ich, daß ich ihn abgehängt habe.«

»Du hoffst

»Ein Narr, wer sich im Umgang mit Hagen von Tronje in Sicherheit wiegt.« Sie lachte leise. »Nun komm schon runter.«

Jodokus gehorchte, ohne nachzudenken, so verwirrt war er. Erst als er am Boden stand und Kriemhild sich in den Sattel des Schimmels zog, dämmerte ihm, daß sie tatsächlich von ihm verlangte, auf dem schwarzen Teufelsgaul zu reiten.

Widerwillig näherte er sich dem Roß.

»Tritt nie von hinten an ein Pferd heran«, erklärte Kriemhild schmunzelnd, »besonders nicht an dieses.«

»Vielen Dank«, knurrte er düster. Zaghaft legte er eine Hand auf den Sattel und schob einen Fuß in den Steigbügel. Mit klopfendem Herzen erwartete er, daß das Tier mit ihm durchgehen würde. Doch dann saß er sicher auf dem Rücken des Rosses und schlang sich die Zügel um die rechte Hand.

»Ho!« spornte Kriemhild ihren Schimmel an. Es war ein großartiges Gefühl, Lavendel wieder unter sich zu spüren. Plötzlich fühlte sie sich vollkommen frei und siegessicher. Nichts mehr konnte sich jetzt noch zwischen sie und Berenike stellen.

Auch Jodokus trieb sein Pferd voran, wenn auch weniger nachdrücklich und immer darauf bedacht, das gewaltige Schlachtroß nicht zu verärgern. Ein wenig fühlte er sich, als versuche er, einen Lindwurm aus den alten Legenden zu zähmen, unberechenbar und zu jeder Zeit bereit, sich gegen den eigenen Meister zu wenden. Freilich war dies nicht das erste Pferd, das er in seinem Leben gestohlen hatte, aber es war ganz sicher das allererste, dem er solchen Respekt zollte. Er fragte sich, ob es wirklich eine weise Entscheidung war, das letzte Stück der Reise auf solch einem Ungetüm anzutreten.

Lavendel war in rasenden Galopp verfallen, als ein gellender Pfiff über die nächtlichen Hügel schrillte. Kriemhild blickte sich nach Jodokus um und sah gerade noch, wie das schwarze Roß von einem Herzschlag zum anderen stehenblieb, als sei es mit allen vieren am Boden festgewachsen. Der Sänger schrie auf und flog in hohem Bogen über Hals und Schädel des Pferdes hinweg, strampelte wild mit Armen und Beinen, um dann mit einem dumpfen Laut ins Gras zu fallen.

Kriemhild riß Lavendel herum und ritt in einem engen Bogen zurück. Besorgt schaute sie auf Jodokus herab, der sich mit einer Grimasse das rechte Bein hielt. Wie es aussah, hatte er Glück, daß er sich nicht das Genick gebrochen hatte.

»Kriemhild!« gellte eine Stimme über die nachtdunkle Landschaft. »Du solltest dir anhören, was ich zu sagen habe!«

Aufgebracht blickte sie sich um, erkannte aber nichts als den welligen Horizont vor dem sternenklaren Nachthimmel. Entfernung und Tiefe waren wie aufgehoben; alles zwischen ihr und der Hügellinie versank in formlosem, undurchschaubarem Schwarz.

Sie beugte sich zur Seite und streckte Jodokus die Hand entgegen. »Los, hoch mit dir!«

Der Sänger hatte Mühe, überhaupt auf die Beine zu kommen, doch schließlich packte er Kriemhilds Hand und zog sich mit ihrer Hilfe in den Sattel.

»Prinzessin!« rief Hagen erneut, und diesmal klang es schon sehr viel näher. »Geh nicht zu Berenike! Du weißt nicht, was dich erwartet!«

Sie gab keine Antwort. Statt dessen raunte sie Jodokus zu: »Halt dich an mir fest!« Er hatte kaum seine Arme von hinten um ihre Taille geschlungen, da sprang Lavendel auch schon los, trug sie fort von Hagens tückischem Roß und aus der unmittelbaren Gefahr, abermals aufgehalten zu werden.

Hagen rief wieder ihren Namen und noch etwas anderes hinterher, aber beides ging im Donnern der Hufe unter.

Nach einer Weile sagte Jodokus: »Er wird uns einholen. Sein Pferd muß nur einen Reiter tragen, es ist auf alle Fälle schneller. Es sei denn...«

»Was?«

»Der Junge. Er wird ihn nicht allein zurücklassen, oder?«

»Das weiß nur Hagen selbst.«

Allmählich begannen sie auf dem galoppierenden Roß zu frieren.

Jodokus fragte: »Hast du eine Ahnung, wovor er dich warnen wollte?«

»Vor Berenike, nehme ich an.«

»Woher weiß er, daß du zu ihr willst?«

»Ich habe ihm von ihr erzählt, damals, als sie in Worms war.«

»Du hast was?« Ungläubig starrte er ihren Hinterkopf an. Ihr wehendes Haar kitzelte seine Nase.

»Hagen ist ein sonderbarer Mann. Man kann ihm Dinge anvertrauen, ohne daß er zu jemandem darüber spricht.«

»O ja, gewiß.«

»Hagen ist verschwiegener als jeder andere am Hof. Er schweigt ohnehin die meiste Zeit.«

»Trotzdem wirkt er so...« Jodokus verstummte, als ihm nicht das richtige Wort einfiel.

»Böse?« fragte sie. »Aber nein. Vertraue ihm ein Geheimnis an, und der einzige, der es gegen dich verwenden könnte, ist er selbst. Niemand sonst wird je davon erfahren.« Sie zögerte einen Moment. »Und er ist geradezu besessen von seiner Treue zur königlichen Familie.«

»Du glaubst allen Ernstes, er hat niemandem erzählt, wo du hin willst?«

»Niemandem.«

»Keine Soldaten, die ihm in einigem Abstand folgen? Keine Krieger der königlichen Leibwache?«