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»Sagt jetzt nichts«, flüsterte Etzel, »sondern hört mir nur zu.«

Kriemhild fuhr mit einem Ruck herum. »Nichts sagen?« Sie deutete mit bebender Hand auf den Weidenmann. »Und Ihr wagt es, Eure Krieger mit denen des Burgundenreichs zu vergleichen? Ihr wagt es, mir eine Rede darüber zu halten, daß im Krieg alle gleich sind?« Sie spie ihm voller Verachtung ins Gesicht. »Großer Gott, ich hätte Euch beinahe geglaubt!«

»Und weise wäret Ihr gewesen, hättet Ihr es getan«, sagte er und wischte sich achtlos ihren Speichel von der Wange. »Was dort geschieht, geschieht nicht auf meinen Wunsch hin.«

Sie lachte ihm voller Hohn entgegen. »Wollt Ihr damit sagen, Eure Männer hätten gegen Euch gemeutert?«

»Nein, natürlich nicht. Sie gehorchen mir aufs Wort.«

»Dann macht dem ein Ende!«

»Das kann ich nicht.«

»Ihr seid erbärmlich in Euren Widersprüchen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Denkt über mich, wie Ihr wollt. Und dennoch bitte ich Euch, mir zuzuhören.« Während er sprach, trat einer der Hunnen vor und vollführte mit geschlossenen Augen heidnische Gesten vor dem Käfig. Er trug lange Gewänder, sein Gesicht war mit bizarren Zeichen bemalt. Ein Priester, der seinen Göttern ein Opfer weihte.

»Der Sturm auf diese Festung hat viele meiner Männer das Leben gekostet«, sagte Etzel und blickte Kriemhild dabei fest in die Augen. »Wir wußten nicht, was uns hier erwartet. Mein Vater sandte uns als Spähtrupp in diesen Teil Eures Reiches, und wir glaubten, diese Burg sei aufgrund ihrer abgelegenen Lage ein guter Ausgangspunkt für verborgene Vorstöße in Eure Ländereien. Wir kamen nicht, um Krieg zu führen, sondern nur um zu beobachten, zu horchen und das Erfahrene heim zum Hof meines Vaters zu tragen.« Er seufzte leise. »Ich gestehe, wir wußten nicht, auf was wir uns einließen, als wir vor zwei Tagen diese Burg angriffen.«

Kriemhild blickte abwechselnd zwischen ihm und dem Weidenmann hin und her. Das Schreien und Bitten der Frauen ertönte immer höher und schriller.

Etzels bronzene Rüstung klirrte bei jeder Bewegung. »Ich hatte früher schon von der Erzhexe Berenike gehört, aber niemals hätte ich sie hier vermutet, in diesen Mauern. Als wir die Felsen erklommen, stürzte uns eine Felslawine entgegen, und ich schwöre, sie kam aus dem Nichts. Aus dem Nichts, Kriemhild, versteht Ihr? Fast ein Drittel meiner Männer wurde in die Tiefe gerissen, noch bevor sie überhaupt begriffen, was geschah. Wir sind Hunnen, und wir sterben mit einem Schwert in der Hand! Wir werden nicht von ein paar Steinen erschlagen!« Zum erstenmal lag Wut in seiner Stimme, Wut von solcher Kraft, daß Kriemhild einen Moment lang sogar das Schicksal der Frauen vergaß. »Der Rest von uns erreichte die Mauern der Festung, und ich befahl, ein paar Brandpfeile über die Zinnen zu schießen, um Verwirrung zu stiften. Aber noch ehe der erste Pfeil auf der Sehne lag, standen plötzlich fünf oder sechs meiner Männer in Flammen. Sie hatten sich selbst in Brand gesetzt!«

»Eine wirklich schlagkräftige Truppe, die Ihr da anführt«, bemerkte Kriemhild bissig, aber als sie die animalische Glut in Etzels Augen sah, bereute sie ihre Worte. Plötzlich sah er aus, als sei es sein größter Wunsch, sie in Stücke zu reißen.

»Meine Männer trifft keine Schuld!« brüllte er sie an, so laut, daß einige der Krieger im Hof irritiert emporblickten. »Es war Berenikes Magie, die uns solchen Schaden zugefügt hat, dessen seid gewiß, Prinzessin. Als es uns schließlich gelang, die Zinnen zu überwinden, war die Hälfte meiner Leute tot. Und alles, was wir hier drinnen fanden, war ein Haufen kreischender Weiber. Keine Ritter, überhaupt keine Männer! Nur diese Mädchen dort unten - und Berenike.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Im Nordturm, in ihrer Kammer.«

Kriemhild deutete mit einer Handbewegung hinab in den Hof. »Was kann ich tun, um dieses Massaker zu verhindern?«

»Nichts, fürchte ich. Was Ihr dort seht, ist der Preis für Berenikes Leben und zugleich noch viel mehr. Meine Männer wollen Blut sehen, um die Ehre unserer Toten zu bewahren, und ich kann es Ihnen nicht verübeln.«

»Das klingt, als wäret Ihr dagegen.«

»Ich sagte Euch schon, was dort geschieht, ist nicht mein Begehr.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber ein Befehlshaber, gleichgültig ob Hauptmann oder Herrscher, muß Zugeständnisse an seine Leute machen.« Er deutete auf den Mann mit dem bemalten Gesicht. »Und an seine Priesterschaft.« Als Kriemhild vor Abscheu das Gesicht verzog, fügte er hinzu: »Als Schwester des Königs solltet Ihr das wissen.«

»Wir bauen unseren Priestern Kirchen, wenn wir Ihnen gefallen wollen. Wir bringen keine Menschenopfer.«

Etzel hob die Augenbrauen. »Ihr glaubt, wir hätten dieses Ding dort errichtet? Den Weidenmann?« Er schüttelte vehement den Kopf. »Das waren nicht wir.«

»Aber -«

»Nein, Prinzessin. Mögt Ihr über uns denken, was Ihr wollt, aber dieses Menschenopfer war nicht unser Einfall.«

Sie schnappte nach Luft. »Berenike?«

»Natürlich. Sie hat uns gewarnt. Ein Opfer sei vonnöten, bei dem, was uns allen bevorstünde, hat sie gesagt. Dieser Scheiterhaufen dort im Hof, Prinzessin, war eigentlich für Euch bestimmt.«

Die angstvollen Schreie der Frauen erfüllten Kriemhild mit fremdem Entsetzen, das schlagartig zu ihrem eigenen wurde.

Etzel sah, was in ihr vorging, fuhr aber dessen ungeachtet fort: »Etwas wird hier geschehen, jeder kann das spüren, auch Ihr, wenn Ihr Euch nur ein wenig Mühe gebt. Es liegt in der Luft wie ein schlechter Geruch, eine Ahnung von etwas, das kommen wird.«

»Das ist doch wirres Zeug.« Aber in Wahrheit glaubte auch Kriemhild es zu spüren, eine seltsame Strömung, als zöge rund um die Festung ein unsichtbares Gewitter herauf.

»Vielleicht täuschen wir uns alle«, gab Etzel zu. »Dennoch bin ich gerne gegen alle Möglichkeiten gerüstet. Mag sein, daß Ihr mir noch dafür danken werdet. Wie es aussieht, habe ich Euren Dank ohnehin schon verdient.«

Ihr Blick war voller Verachtung. »Dafür, daß all diese Frauen an meiner Stelle sterben müssen? Nur, damit Ihr für mich ein Lösegeld von meinem Bruder fordern könnt - darum geht es Euch doch, nicht wahr?«

»Was würdet Ihr tun, wenn Ihr in meiner Lage wärt? Ich bin sicher, zumindest Euer Bruder würde genauso handeln.«

»Ihr macht es Euch sehr einfach, wenn das die Art ist, auf die Ihr Eure Entscheidungen trefft.« Jetzt wollte sie ihn verletzen, und es war ihr gleich, was er danach mit ihr anstellen würde. »Denkt Ihr Hunnen immer so: Wie würde der König der Burgunden in meiner Lage handeln?« Sie lachte verbittert auf. »Mein Bruder wird sich freuen, das zu hören.«

»Ihr werdet albern.«

»Wenn das nötig ist, um Euch aus Eurer Gleichgültigkeit zu rütteln, gerne, dann bin ich albern.«

Unten im Hof versank der Hunnenpriester mit erhobenen Armen in einer grotesken Starre. Seine geflüsterten Beschwörungen gingen im Flehen der Frauen unter.

»Gebt den Befehl, damit Schluß zu machen«, verlangte Kriemhild eindringlich. »Ihr könnt nicht all diese Frauen töten, nur um einer vagen Gefahr aus dem Weg zu gehen. Was erwartet Ihr denn? Daß Eure Götter von den Bergen herabsteigen?«

Er sah sie verwundert an. »Das ist sonderbar.«

»Was?«

»Ihr habt gerade die gleichen Worte benutzt wie Berenike: ›Die Götter werden über die Berge steigen.‹ Genau das war es, was sie sagte.«

In ihrer Erinnerung hörte Kriemhild wieder Jodokus’ Stimme: Die Götter sammeln ihre Kräfte. Sie bereiten das Ende vor. Das große Finale.

Plötzlich wurde ihr schlecht. Fröstelnd blickte sie zur Spitze des Nordturms empor.

»Laßt mich mit Berenike sprechen«, flüsterte sie atemlos.