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Das Hinterteil eines Pferdes führte sie an, und niemand war sich der Lächerlichkeit dieses Umstands bewußter als Jodokus. Noch immer hatte es auf dem schmalen Pfad keine Gelegenheit gegeben, Lavendel wenden zu lassen, und noch immer mußte das arme Tier rückwärts gehen. Jodokus tat sein Bestes, den Schimmel mit freundlichen Worten zu besänftigen, auch um seiner selbst willen. Jeden Augenblick mochte Lavendel störrisch stehenbleiben und den Weg versperren, und Jodokus mußte sich nicht erst zu Hagen umdrehen, um zu wissen, wer das würde ausbaden müssen.

Doch so beschwerlich und angstvoll diese Angelegenheit auch war, Jodokus haderte nicht länger mit seinem Schicksal.

Jeder andere hätte die Begegnung mit der Prinzessin verflucht; nicht so Jodokus. Vielmehr machte ihm die Trennung von ihr weit arger zu schaffen als alles andere. Arger als Hagens dräuende Präsenz in seinem Rücken. Arger auch als Berenikes Hort, der jenseits der Bergkuppe aus den Nebeln emportauchte.

Schließlich gelangten sie an die Stelle, an der Jodokus und Kriemhild Abschied genommen hatten, und hier endlich bot sich genügend Platz, um Lavendel aus seiner mißlichen Lage zu befreien. Mit einem Wiehern drehte das Tier sich um, ungeachtet der Äste, die über sein Fell kratzten. Jodokus fürchtete, das Pferd würde wohl nach hinten austreten und ihm den Huf vor den Schädel hämmern. Doch der Schimmel blieb ruhig, als sähe er die Notwendigkeit ein, Kriemhild schnellstens zur Hilfe zu eilen.

Hagen zwängte sich an dem Schimmel vorbei an die Spitze, Jodokus folgte ihm. Am tiefblauen Himmel flatterten zwei Raben und stießen heisere Schreie aus. Hagen blickte zu ihnen empor, und sogleich verstummte ihr Krächzen. Die beiden Vögel senkten sich herab und verschwanden zwischen den Baumkronen.

»Ihr habt Macht über Tiere, Herr?« fragte Jodokus beeindruckt.

»Nicht genug, um einen Esel zum Schweigen zu bringen.«

»Ihr macht Euch über mich lustig.«

»Merkwürdig«, knurrte Hagen, ohne den Blick von Berenikes Hort zu nehmen, »lustig hat mich noch keiner genannt.«

Der Krieger setzte sich wieder in Bewegung und ging mit weiten Schritten den Hang hinab. Jodokus ergriff Lavendels Zügel und folgte. Hinter ihnen kletterte der Junge von Hagens Roß und führte das Tier mit einer Selbstverständlichkeit, als sei es sein eigenes.

»He, Junge«, rief Jodokus nach hinten, »wie heißt du überhaupt?«

»Jorin«, gab der Junge mißmutig zurück. »Jorin Pferdehüter.« Hagen mußte ihn mit seiner schlechten Laune angesteckt haben.

Sie näherten sich dem Punkt, an dem der Waldweg auf den Felsendamm wechselte, der über das Nebelmeer hinweg zur Festung führte.

Bevor sie den Schatten des Waldes verlassen konnten, blieb Hagen stehen. »Welches Instrument spielst du, Sänger?« fragte er.

»Vielerlei«, erwiderte Jodokus wahrheitsgetreu. »Flöte, Laute, Schalmei, Cornamuse, Schreichpsalter, manchmal auch die Harfe. Warum fragt Ihr?«

»Hast du eines davon dabei?«

»Keines, wie Ihr wohl sehen könnt.«

Hagen brummte etwas, das Jodokus nicht verstand, dann fragte er: »Aber singen kannst du doch wenigstens?«

»Gewiß, Herr.« Ihm schwante nichts Gutes bei diesem sonderbaren Fragespiel.

»Dann wirst du dich jetzt nützlich machen«, sagte Hagen. »Dir Hegt doch auch daran, die Prinzessin zu retten, nicht wahr?«

»Natürlich.«

»Um deines Kopfes willen eine weise Entscheidung.«

Zum ersten Mal war Jodokus über eine Bemerkung Hagens ernsthaft empört. »Was denkt Ihr von mir?« fuhr er den Krieger an, ungeachtet aller Folgen, die soviel Kühnheit haben mochte. »Ich würde mein Leben für das der Prinzessin geben, dessen seid gewiß.«

Hagen starrte ihn lange mit seinem dunklen Auge an. Jodokus gab sich alle Mühe, dem durchdringenden Blick standzuhalten. Plötzlich legte der Krieger ihm die Hand auf die Schulter. »Du bist ein guter Kerl, das will ich glauben. Doch nicht dein braves Sinnen wirst du heute unter Beweis stellen müssen, sondern deinen Mut und deine Kampfkraft.«

»Das will ich«, gab Jodokus mit vorgestrecktem Kinn zurück - obwohl ihn beim Wort Kampfkraft ein kalter Schauder packte, denn aufs Kämpfen verstand er sich alles andere als prächtig.

»Zuerst aber«, sagte Hagen, »wirst du singen.«

»Ich hoffe, Ihr gedenkt nicht, die Hunnen mit meinem Gesang zu vertreiben.«

Noch immer blieben Hagens Mundwinkel starr wie die einer Wachsmaske. »Zwar sandte Berenike der Königinmutter Ute eine Taube mit der Botschaft vom Hunnensturm auf ihre Burg - doch schrieb sie darin auch, daß nicht einmal Felslawinen und Feuer die Angreifer aufhalten konnten. Ich fürchte, junger Mann, mag dein Gesang auch noch so garstig sein, die Hunnenkrieger werden wir damit nicht in die Flucht schlagen.«

Jodokus atmete auf, doch Hagen sagte: »Dennoch wirst du für sie singen. Nimm den Schimmel und reite zur Burg. Sing irgendein Lied, etwas, das die Hunnen gnädig stimmen mag.«

»Kein Lied vermag diese Barbaren gnädig zu stimmen«, widersprach Jodokus mit bebender Stimme.

Hagen nickte. »Das weiß ich. Aber es wird sie hoffentlich lange genug ablenken, bis ich einen Weg in die Festung gefunden habe.«

»Sie werden mir das Maul mit einem Morgenstern stopfen!«

»Dein Leben für das der Prinzessin - waren das nicht deine Worte?«

Jodokus straffte sich. »Ja, Herr.«

»Wohlan denn, Sänger, so laß uns -«

Plötzlich drängte sich Jorin zwischen sie. Jodokus und Hagen mußten beide einen Schritt zurücktreten. »Was ist mit mir?« fragte der Kleine keß.

Jodokus erwartete, daß Hagen dem Jungen mit der Faust Respekt beibringen würde. Statt dessen aber sagte der Krieger: »Du kommst mit mir, Jorin Sorgebrecht.«

Mit stockendem Atem fragte Jodokus: »Ihr wollt ein Kind mit in den Kampf nehmen?«

Hagen schenkte dem Einwurf keine Beachtung. Er ging vor Jorin in die Hocke, nahm eine Hand des Jungen in seine behandschuhte Rechte - sie lag sehr weiß, sehr klein auf dem gegerbten schwarzen Leder - und sagte: »Dein Anteil an diesem Abenteuer wird kein geringer sein, mein Kind. Ich möchte, daß du immer daran denkst, ganz gleich, was geschieht.«

»Ja, Herr«, gab der Kleine zurück, teils verschüchtert, teils stolz.

So wurde denn der Aufbruch beschlossen. Hagen und Jorin blieben zurück, während Jodokus auf dem Rücken des Schimmels zum Hochweg hinaufritt. Sobald er sich auf dem schmalen Grat befand, konnte er den Blick nicht mehr von der Festung nehmen. Der Umriß der Klippe mit ihren beiden spitzen Türmen kauerte vor dem Nebelmeer wie ein zweiköpfiger Zauberer, verzerrt ins Riesenhafte. Die Oberfläche des Nebels strudelte wie ein See voller Untiefen, und manchmal sah Jodokus aus den Augenwinkeln, daß die Nebelränder an den geborstenen Felsschollen des Hochwegs emporleckten, eine lautlose, geisterhafte Brandung.

Auf den Zinnen der Festung entdeckte er winzige Punkte, Wachtposten, die ihn längst entdeckt haben mußten. Mit einem Räuspern zog er sein Wams zurecht, streckte sich im Sattel und tätschelte Lavendels Mähne. Dann holte er tief Luft und begann zu singen, ein altes Lied über die Pferdezucht, von dem er hoffte, es entspräche dem Geschmack der Hunnen - vorausgesetzt, sie verstanden seine Sprache. Doch je näher er den beiden Türmen kam, desto schneller schwand sein letzter Rest von Hoffnung. Bei jedem Schritt, den Lavendel tat, erwartete Jodokus, einen Pfeil in seine Richtung zischen zu sehen, und er betete, daß ihn der erste Treffer töten würde. Doch noch hielten die Hunnen sich mit Beschuß zurück, vielleicht weil sie der wunderliche Sänger verwirrte.

Jodokus hatte etwas mehr als die Hälfte des Hochwegs bewältigt, als eine unerwartete Empfindung ihn traf wie ein Schwerthieb aus dem Hinterhalt. Es war das gleiche Gefühl, das er früher so oft verspürt hatte, das letzte Mal an Kriemhilds Seite, im Wald, kurz bevor der Zorn der Götter über sie gekommen war.

Sein Gesang brach ab, als seine Kehle sich weigerte, weitere Töne hervorzubringen. Einen Augenblick lang schwankte er im Sattel, und nur mit Glück gelang es ihm, die Zügel zu packen und sich auf Lavendels Rücken zu halten. Sein Mund klappte stumm auf und zu, und seine Augen wandten sich benommen himmelwärts.