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»Was glotzt du so?« zischte sie empört.

»Wenn du mir schon deinen Namen nicht verrätst, muß ich mir wenigstens merken, wie du aussiehst, meinst du nicht?«

»Hast du mir denn deinen verraten?«

»Jodokus.« Und nach einer Pause setzte er hinzu: »Jodokus der Sänger.«

»Was für ein Name ist das?« entfuhr es ihr amüsiert.

Seine Augenbrauen stellten sich schräg. »Hast du einen besseren?« fragte er gereizt.

»Fine«, sagte sie zögernd. Das war der Name einer ihrer Kammerzofen, und der einzige, der ihr ohne nachzudenken einfiel. »Ich heiße Fine.«

Einen Moment lang war da etwas wie Mißtrauen im Blick seiner braunen Augen, dann aber rappelte er sich auf alle viere hoch. »Gut, Fine. Ich schätze, du hast mir das Leben gerettet.« Zweifelnd fügte er hinzu: »Irgendwie, zumindest.«

Auch Kriemhild setzte sich im Schlamm auf, taumelte dann auf die Füße. »Ich hab’s nicht gern getan, das darfst du mir glauben.«

»Wie liebenswürdig.«

Sie schenkte ihm ein giftiges Lächeln und schob sich die feuchten Strähnen ihres Goldhaars aus dem Gesicht.

Wieder starrte er sie eingehend an. Ihr nasses Hemd klebte durchscheinend an ihren Brüsten. Als sie es bemerkte, raffte sie zornig ihre Weste zurecht.

Jodokus wurde rot und lachte leise, sagte aber nichts.

Kriemhild schaute sich um. »Wir sind am anderen Ufer, oder?«

»Ansonsten hätten sie uns längst wieder eingefangen.«

»Dann sind wir hier sicher?«

»Nicht lange, fürchte ich. Das Dorf dieser Leute liegt an der einzigen Furt weit und breit, ein wenig weiter nördlich. Kann sein, daß sie uns über den Fluß folgen werden.«

Kriemhild suchte das andere Ufer ab, konnte aber weit und breit keinen Fackelzug erkennen. »Warum wollten sie dich überhaupt umbringen?«

»Aus dem gleichen Grund wie dich.«

»Der da wäre?«

»Sie sind verrückt. Schlicht und einfach.«

Kriemhild musterte ihn abschätzend, während sich beide ins Trockene schleppten. »Wer sagt mir, daß du kein gesuchter Verbrecher bist? Ein Mörder, vielleicht. Möglicherweise hatten sie ja recht mit dem, was sie vorhatten.« In Wahrheit aber glaubte sie nicht daran. Jodokus entsprach nicht gerade dem Bild jener Mordbuben, die sie während der Hinrichtungen bei Hofe zu Gesicht bekommen hatte. Abgesehen von dem leichten Buckel auf seinem Rücken, war er eigentlich recht ansehnlich, sogar jetzt noch, da das Wasser aus seiner Kleidung triefte. Tropfen glitzerten wie Diamanten in seinem kurzgeschorenen Haar, und das schalkhafte Blitzen in seinen Augen war frech und anziehend zugleich. Kriemhild schätzte ihn grob auf siebzehn Jahre, nicht viel älter als sie selbst. Eine kleine Narbe zog sich von seinem linken Mundwinkel Richtung Wange, als hätte jemand versucht, ihm ein bleibendes Lächeln zu verpassen.

»Du glaubst also, ich bin ein Halunke, ja?« fragte er, als sie sich matt gegen einen Baumstamm lehnten und in entgegengesetzte Richtungen blickten.

Kriemhild unterdrückte ein Lächeln. »Sagen wir, der Gedanke liegt mir nicht allzu fern.«

Er verzichtete, näher darauf einzugehen, und fragte statt dessen: »Was verschlägt ein Mädchen wie dich in diese Gegend?« Er senkte seine Stimme ein wenig. »Weißt du nicht, daß hier die -«

»Die Pest wütet?« ergänzte sie. »O doch.«

»Fürchtest du dich nicht davor?«

»Nicht mehr als du.«

»Ich mache mir fast in die Hosen vor Angst.«

»Welch bezaubernde Vorstellung.«

»Was hast du hier zu suchen? Bist du auf der Flucht?«

»Ich will nach Osten.«

»Aber alle Flüchtlinge ziehen in westliche Richtung.«

»Dann bedeutet das wohl, daß ich kein Flüchtling bin, nicht wahr?«

»Wer war der andere Mann, der Tote?«

Jodokus hob die Schultern. »Jemand aus dem Dorf, nehme ich an. Sie wollten wohl, daß ich mich bei ihm anstecke.« Er rückte am Baumstamm zu ihr herum, bis sich ihre Schultern fast berührten. Eingehend betrachtete er ihr feines Profil. »Du bist zu schön für eine einfache Herumtreiberin. Deine Haut ist zu glatt und ebenmäßig. Du hast nie in deinem Leben mit den Händen gearbeitet, deine Finger sind zu zart und unversehrt. Du stammst aus gutem Hause. Laß mich raten: Eine Ausreißerin, stimmt’s?«

Sie war überrascht und auch ein wenig besorgt. Wenn er sie so mühelos durchschaute, würde das wahrscheinlich jedem anderen genauso gelingen. »Kann schon sein«, erwiderte sie vage, weil sie ahnte, daß es wenig Sinn hatte, ihn zu belügen. »Da du anscheinend alles über mich weißt, ist es jetzt wohl an dir, etwas über dich zu erzählen.«

»Ich hab nur geraten. Versuch du es doch auch.«

Sie beugte sich vor und schaute ihn über die Schulter hinweg an. Sie hatte angenommen, daß er sie nur necken wollte, doch jetzt erkannte sie den Ernst in seinen Zügen. »Gut«, meinte sie widerwillig, wenn auch nicht vollkommen abgeneigt. »Du bist Sänger, hast du gesagt. Wahrscheinlich ein schlechter, sonst wärest du nicht hier, sondern bei Hofe oder in einer Stadt. Außerdem hast du kein Instrument dabei.«

»Die Leute am Fluß haben es mir abgenommen.«

»Wollten sie dich deshalb töten?« fragte sie verschmitzt. »Weil dein Gesang so grauenvoll war?«

Sie fürchtete einen Moment lang, das sei eine Spitze zu viel gewesen, doch dann grinste er breit. »Mag schon sein, daß ihnen mein Gesang mißfallen hätte. Aber soweit ist es gar nicht erst gekommen. Sie haben mich vom Pferd gezerrt, als ich durch ihr Dorf ritt, und dann schleppten sie mich gleich zu dieser Stelle am Ufer. Hier ist er tiefer als anderswo, glaube ich.«

»Dann muß ihnen einiges daran gelegen haben, daß du auch wirklich ersäufst.«

»Sieh an, sieh an: Die kleine Prinzessin spricht wie eine Räuberbraut.«

Bei der Anrede »Prinzessin« zuckte sie zusammen. Eine Redensart, nichts sonst. Sie fragte sich, ob er ihre heftige Reaktion bemerkt hatte. Falls ja, so zeigte er es nicht.

»Und du behauptest, du wüßtest wirklich nicht, warum sie es auf dich abgesehen hatten?«

»Genausowenig wie du.«

So kamen sie nicht weiter. Vorerst saßen sie gemeinsam in diesem Schlamassel. Lavendel wartete auf der anderen Seite des Flusses, und obgleich es Kriemhild traurig stimmte, die Stute zurückzulassen, war das Wagnis, die Furt zu benutzen, viel zu groß. Andererseits: Wie sollte sie ohne Pferd ihr Ziel erreichen, bevor die Plage nach Worms vorrückte?

Als er sah, daß sie plötzlich Verzweiflung überkam, ergriff er zögernd ihre Hand. »Du hast es eilig, nicht wahr?«

»Ich...«, begann sie zögernd, sagte dann aber nur: »Ja. Ich muß nach Osten, und zwar so schnell wie möglich.« Warum hätte sie das leugnen sollen? »Mein Pferd ist am anderen Ufer, und ohne es...«

Er drückte ihre Hand, um sie aufzumuntern, aber sie zog ihre Finger geschwind zurück.

»Wir besorgen dir ein neues«, sagte er, um ihr Mut zu machen. »Und mir auch. Wenn du willst, reiten wir zu zweit, wo immer du auch hinwillst.«

»Du willst mitkommen?« Sie lachte auf, aber es war ein bitterer, verletzender Laut. »Ich kenne dich ja nicht einmal.«

»Du wirst mich schon kennenlernen.«

»Wenn du mich anrührst -«

»Niemals. Versprochen!«

Sie suchte in seinen Augen nach einem Hinweis, ob er das ernst meinte. »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann.«

»Natürlich weißt du das nicht. Aber wer sagt mir denn, ob ich dir trauen kann?«

»Ich werde wohl kaum bei Nacht über dich herfallen, dessen sei versichert.«

Strahlend sprang er auf. »Dann brauchen wir voreinander ja keine Angst zu haben. Komm, laß uns aufbrechen. In den Wäldern laufen eine ganze Menge Pferde herum. Sie sind aus ihren Stallungen ausgebrochen, als niemand mehr kam, um sie zu füttern. Mittlerweile gibt es in dieser Gegend mehr freilaufende Pferde als Menschen.«