»Aber Sie sind trotzdem hingegangen«, vermutete Juan.
Jacques nickte widerwillig. »Ja. Sie waren nicht begeistert ... aber auch nicht so wütend, dass ich mir Sorgen gemacht hätte. Aber ein paar Stunden später brach dieser Krater dann wirklich aus. Es war keine große Eruption, aber zwei oder drei Eingeborene kamen dabei ums Leben.«
»Und die Pahuma geben Ihnen die Schuld«, vermutete Trautman. Er schüttelte den Kopf. »Sie haben sich nicht besonders klug verhalten, Jacques.« »Das weiß ich jetzt auch«, sagte Delamere niedergeschlagen. »Aber ich habe wirklich nicht geahnt, dass sie so reagieren würden! In einer Minute waren sie noch freundlich und haben uns regelrecht verehrt und in der nächsten fallen sie über uns her und wollen uns irgendeinem Vulkangott opfern!« »Das hätten Sie sich denken können«, sagte Ben. »Sie waren doch hier, weil Sie auf den Ausbruch gewartet haben, oder?«
»Ich bin Vulkanologe, mein lieber Junge«, sagte Jacques. »Kein Verhaltensforscher. Und außerdem -« »spielt es jetzt keine Rolle mehr,warumes passiert ist«, mischte sich Trautman ein. Sein warnender Ton galt allerdings sehr viel mehr Ben als Delamere. »Haben sie Ihren Freunden etwas getan?« »Ich glaube nicht«, antwortete Jacques. »Wenn ich sie richtig verstanden habe, dann ist es wichtig, dass die Opfer dem Vulkangott unversehrt übergeben werden. Wir haben uns nach Kräften gewehrt, als sie über uns hergefallen sind. Trotzdem hat keiner von ihnen eine Waffe benutzt. Es war ihnen offenbar sehr wichtig, uns ohne Verletzung in ihre Gewalt zu bekommen. Nur so ist es mir und den beiden anderen überhaupt möglich gewesen, zu fliehen. Hätten wir unsere Gewehre nicht gehabt ...«
»Gewehre?«, fragte Mike erschrocken. »Sie haben auf sie geschossen?«
»Natürlich haben wir geschossen«, ereiferte sich Delamere. »Was erwartest du, Junge? Dass wir uns wehrlos ergeben hätten?« »Wie viele haben Sie umgebracht?«, fragte Ben. »Ich habe sie nicht gezählt«, antwortete Jacques feindselig. »Es ging um unser Leben. Ihr hättet euch auch gewehrt, oder?« »Wir wären erst gar nicht -«
»Das reicht«, unterbrach ihn Trautman, in noch schärferem Ton. »Wir können uns später noch lange genug streiten. Jetzt schlage ich vor, dass wir uns darauf konzentrieren, Jacques' Frau und seine Freunde zu retten.«
Er bedachte Ben noch einmal mit einem finsteren Blick, dann wandte er sich in verändertem Ton an Delamere. »Wo liegt die Stadt der Pahuma?« »Auf der anderen Seite der Insel«, antwortete Jacques. »Auf halber Höhe des Berges, an einem kleinen See. Der Weg dorthin ist nicht einfach. Und ich fürchte, die Pahuma werden uns sehen. Sie sind primitiv, aber nicht dumm.«
»Wissen Sie, wo sie Ihre Leute gefangen halten?« »Nein«, antwortete Jacques. »Es ging alles viel zu schnell. Aber ich bin sicher, dass ich sie finde.«»Sie?«Trautman klang nicht begeistert. »Selbstverständlich«, antwortete Delamere. »Ich begleite Sie. Sie hätten keine Chance, sie zu finden. Die Insel ist nicht allzu groß, aber der Dschungel ist sehr dicht. Ihr würdet euch hoffnungslos verirren.« »Wahrscheinlich haben Sie Recht«, seufzte Trautman. Auch er schien von dem Gedanken, Jacques wieder mit zurück zur Insel zu nehmen, nicht begeistert zu sein. Aber ihre Zeit war nun einmal begrenzt. Selbst wenn sie davon ausgingen, dass die Eingeborenen ihr Menschenopfer erst um Mitternacht vollzogen, blieben ihnen nur ein paar Stunden. »Wie kommen wir an Land?«, fragte Singh. »Ohne gesehen zu werden, meine ich.« »Das wird schwierig«, sagte Jacques. »Es gibt eine kleine Bucht, fast einen natürlichen Hafen auf der anderen Seite der Insel. Aber sie stellen Wachen auf, die das Meer beobachten.«
»Dann nähern wir uns unter Wasser, so weit wir können«, entschied Trautman. »Und danach?«, fragte Jacques. Trautman grinste. »Können Sie schwimmen, Jacques?«
Das Glück war diesmal auf ihrer Seite. Nachdem sie die Insel umrundet hatten, lag die kleine Bucht vor ihnen, von der Jacques gesprochen hatte, aber nicht nur sie: Es gab einen breiten, überraschend tiefen Fluss, der zwischen den Bäumen hinter dem Strand verschwand und nach Delameres Worten in einem Kratersee am Fuße des Berges endete. Er war bei weitem nicht ausreichend um die gewaltige NAUTILUS aufzunehmen, aber sie konnten ihn trotzdem nutzen, um ungesehen an Land zu kommen: Trautman manövrierte das Tauchboot so dicht ans Ufer heran, wie es unter Wasser möglich war, und Mike, Singh und Delamere verließen das Schiff durch die Tauchkammer, ausgerüstet mit Schwimmflossen und Schnorcheln. Die schweren Taucheranzüge wären praktisch gewesen, um auch mit letzter Sicherheit ungesehen an Land zu kommen, aber es wäre viel zu umständlich gewesen, Jacques in die Handhabung der Anzüge einzuweisen. Darüber hinaus war Mike ganz und gar nicht sicher, ob sie das Eiland nicht in aller Hast wieder verlassen mussten, und er wollte es nicht riskieren, die unersetzliche Ausrüstung zurücklassen zu müssen.
Delamere wunderte sich nicht schlecht, als sie in die Tauchkammer stiegen und Astaroth zu ihnen hereinhuschte, kurz bevor sie die Tür schließen konnten. »Was hat denn diese Katze vor?« Das fragte sich Mike auch. Trotzdem war er auf eine Weise froh, dass Astaroth sie begleitete. Da der Kater keine Anstalten machte irgendetwas zu erklären, musste er
improvisieren. »Er begleitet mich auf Schritt und Tritt«, sagte er. »Astaroth ist so anhänglich wie -«
Er hatte gerade sagen wollen:wie ein Hund,fing aber im letzten Augenblick einen warnenden Blick aus Astaroths einzigem glühenden Auge auf und zog es vor, den Satz nicht zu Ende zu sprechen. »Eine Katze, die schwimmt?« Jacques riss erstaunt die Augen auf.
»Wie ein Fisch«, bestätigte Mike. »Astaroth liebt Wasser.«
Er sah, wie Jacques den Kater erstaunt und aufmerksam musterte, und fuhr rasch in verändertem Ton fort, ehe der Belgier etwas sagen konnte: »Glauben Sie, dass Sie es schaffen?«, fragte er. »Wir sind fünfzehn Meter tief unter Wasser.« »Ich schwimme ganz gut«, antwortete Jacques. »Außerdem kann mir ja nichts passieren, solange wir einen so zuverlässigen Rettungsschwimmer bei uns haben«, fügte er mit einem spöttischen Lächeln in Astaroths Richtung hinzu.
Hässlich?!erklang Astaroths gedankliche Stimme in Mikes Kopf.
Du solltest dir wirklich abgewöhnen, die Gedanken von Leuten zu lesen, die das nicht wollen,antwortete Mike auf die gleiche Weise.
Sofort,erwiderte Astaroth.Nur eine Frage noch: Was genau versteht man unter dem Begriff: So hässlich wie ein einäugiges Wildschwein?
Mike warf Delamere einen erschrockenen Blick zu, zog es aber vor, nicht zu antworten. Ungeduldig wartete er darauf, dass der Luftdruck in der Tauchkammer weit genug angestiegen war, damit sie die Bodenklappe öffnen konnten. Dann atmete er noch einmal tief ein, rückte die Taucherbrille zurecht und sprang kopfüber ins Wasser. Singh und nach kurzem Zögern auch Delamere folgten ihm auf dieselbe Weise. Das Wasser war überraschend warm und es fühlte sich ein wenig schleimig an. Mike griff kräftig aus, schwamm unter dem Rumpf der NAUTILUS hervor und warf einen Blick über die Schulter zurück, ehe er den Aufstieg begann. Singh schwamm nicht so schnell, wie er es gekonnt hätte, sondern blieb an Delameres Seite, wohl um im Notfall schnell zugreifen zu können, sollte der Belgier in Schwierigkeiten geraten. Jacques stellte sich jedoch trotz seiner Verletzung erstaunlich geschickt an. Fast so schnell wie Mike arbeitete er sich unter dem riesigen Unterseeboot hervor und schoss mit hochgestreckten Armen und heftig schlagenden Schwimmflossen der Wasseroberfläche entgegen. Hinter ihm erschien ein pechschwarzes Fellbündel, umkreiste ihn ein paar Mal spielerisch und schoss dann schnell wie ein Pfeil nach oben. Mike sah, wie Delamere überrascht zusammenfuhr und ihm vor lauter Schreck ein Teil kostbarer Atemluft entwich.