»Es sieht so aus, als wollte er nur mich sehen«, sagte Mike. Er sah, wie sich Delameres Gesicht verfinsterte, und da er sich ungefähr denken konnte, was der Belgier sagen würde, fuhr er rasch und mit einem optimistischen Lächeln fort: »Keine Sorge. Ich glaube, er ist ein ganz vernünftiger Mann. Wir werden schon klarkommen.«
»Na, dann hoffe ich, dass er in der Zwischenzeit Englisch gelernt hat oder eine andere Sprache, die du beherrschst«, sagte Jacques säuerlich. »Oder dass dein >Zauberkasten< wieder funktioniert. Denn wenn nicht, dann habt ihr ein Problem.« Mike machte ein betroffenes Gesicht. Er sagte zwar nichts, gab Jacques im Stillen aber Recht -er hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung, wie er sich mit Ah'Kal verständigen sollte. Er würde eben improvisieren müssen. Jacques und seinen Leuten war es schließlich auch gelungen, sich mit den Pahuma zu verständigen.
Da der Krieger allmählich ungeduldig zu werden begann, beeilte er sich nun ihm zu folgen. Sie verließen die Hütte und gingen am Ufer des kreisrunden Kratersees auf ein anderes Gebäude zu. Trotz der fortgeschrittenen Stunde herrschte im Dorf der Pahuma helle Aufregung. Niemand schlief. Dutzende von Eingeborenen standen zu zweit oder in kleinen Gruppen beisammen, schnatterten aufgeregt oder sahen zur NAUTILUS hinab, die noch immer mit voller Beleuchtung am Fuße der Insel im Wasser lag und mehr denn je an einen bizarren Riesenfisch erinnerte. Viele starrten aber auch wortlos und sehr besorgt in die Richtung, in der der Horizont gebrannt hatte, und Mike entgingen auch keineswegs die Blicke, mit denen sie ihn maßen. Sie waren nicht unbedingt sehr freundlich. Er sah eine Menge Angst darin, aber auch etwas, was ihm nicht besonders gefiel. Sie betraten die Hütte, die von Fackeln fast taghell erleuchtet war. Anders als die, in der er bisher gewesen war, bestand sie aus mehreren kleinen Räumen, und das Erste, was
Mike entgegenkam, war ein wuselndes schwarzes Fellbündel auf vier Beinen. »Astaroth!«, sagte er erleichtert. Er hatte sich zwar vorgenommen, dem Kater gründlich den Kopf zu waschen, aber in den letzten beiden Stunden hatte er doch angefangen sich ernsthafte Sorgen um Astaroth zu machen, sodass seine Erleichterung, Astaroth gesund und unverletzt wieder zu sehen, deutlich überwog. Trotzdem runzelte er die Stirn und sagte in übertrieben vorwurfsvollem Ton: »Wo bist du gewesen? Wieso hast du dich nicht gemeldet?«Ich war anderweitig beschäftigt,antwortete Astaroth. »Anderweitig? Darf ich fragen, womit?«Aber selbstverständlich darfst du das,antwortete Astaroth freundlich, drehte sich auf der Stelle herum und verschwand im angrenzenden Raum -natürlich ohne seinen Worten irgendeine Art von Erklärung folgen zu lassen. Mike schüttelte den Kopf und machte ein finsteres Gesicht -aber im Stillen hatte er alle Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Seufzend folgte er Astaroth durch die Tür -und riss ungläubig die Augen auf. Der Raum, den er betrat, war überraschend groß, hell erleuchtet und eingerichtet wie ein Thronsaal. Ah'-Kal und vier weitere, mit bunten Federn geschmückte Insulaner saßen im Halbkreis auf dem Boden und redeten mit keiner anderen als Serena, die in ihrem weißen Kleid auf einem aus Bambus und Schilfrohr gefertigten Thronsessel saß und mehr denn je wie eine Prinzessin aussah. Als sie Mike erblickte, unterbrach sie ihr Gespräch mitten im Wort, sprang in die Höhe und eilte ihm entgegen, um ihn fast überschwänglich in die Arme zu schließen -als hätten sie sich Monate nicht gesehen statt ein paar Stunden. Auch Mike freute sich Serena zu sehen, war aber
zugleich auch ziemlich bestürzt. Mit sanfter Gewalt schob er Serena auf Armeslänge von sich fort, hielt sie aber zugleich am Handgelenk fest. »Was um alles in der Welt tust du hier?«, fragte er. »Weißt du nicht, wie gefährlich es hier ist?«
»Astaroth hat mich hergebracht«, antwortete Serena. Mike drehte sich zu dem Kater herum und holte gerade tief Luft, um ihn zusammenzustauchen, da fuhr Serena mit leicht erschrockener Stimme fort: »Ich habe ihn darum gebeten.«
»Aber warum denn?«, sagte Mike fassungslos. »Es ist gefährlich hier! Dieser ganze Berg kann jeden Moment in die Luft fliegen!«
»Genau aus diesem Grund bin ich hier«, antwortete Serena. »Die Sprechgeräte funktionieren nicht mehr. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.«
»Und da hat Trautman ausgerechnet dich geschickt?«, murmelte Mike ungläubig. »Ich wollte es so«, sagte Serena. »Ich habe sogar darauf bestanden um genau zu sein.« »Aber warum denn bloß!«
»Du machst mir Spaß«, antwortete Serena. »Diese Leute sprechen die Sprache meines Volkes! Du an meiner Stelle wärst auch gekommen!« Mike konnte ihr nicht einmal widersprechen. Seit Serena aus ihrem zehntausendjährigen Dornröschenschlaf aufgewacht war, war sie auf der Suche nach anderen Überlebenden ihres Volkes; bisher allerdings praktisch ohne Erfolg. Die Begegnung mit den einzigen anderen Atlantern, auf die sie bisher gestoßen waren, hätte um ein Haar in einer gigantischen Katastrophe geendet. Er an ihrer Stelle wäre vermutlich auch gekommen.
Aber das änderte nichts daran, dass sie sich in einer äußerst gefährlichen Lage befanden. »Und?«, fragte er trotzdem. »Sind es Nachkommen deines Volkes?« Eigentlich hätte er sich diese Frage sparen können. Ein einziger Blick auf die kleinwüchsigen, gedrungenen Insulaner machte klar, dass sie bestimmt nichts mit den hoch gewachsenen, hellhäutigen Bewohnern des untergegangenen Kontinents zu tun hatten. Serena schüttelte auch nur den Kopf und machte ein trauriges Gesicht. »Nein. Ich glaube, ihre Vorfahren hatten Kontakt mit meinem Volk. Aber sie kennen nur noch ein paar Legenden.« »Das Alte Volk hat unsere Ahnen beschützt«, sagte Ah'Kal in fast akzentfreiem Englisch. »Es hat unsere Vorfahren auf die Insel gebracht, wo es vor seinen Feinden in Sicherheit war und fruchtbaren Boden und reiche Fischgründe fand.«
Mike starrte den Pahuma mit offenem Mund an. Das Gesicht des alten Insulaners blieb vollkommen ausdruckslos, aber in seinen Augen war ein ganz sachtes, spöttisches Glitzern und Mike fragte sich, ob es vielleicht die ganze Zeit über darin gewesen war und er es nur nicht bemerkt hatte. »Sie ... Sie sprechen unsere Sprache?«, murmelte er.
»Wir leben auf dem Platz, den uns das Schicksal zugeteilt hat«, sagte Ah'Kal. »Und wir leben im Einklang mit der Natur und brauchen keine Technik und keine Maschinen. Doch ihr seid nicht die Ersten, die mit eisernen Schiffen hierher kommen und versuchen uns ihre Art zu leben aufzuzwingen.« »Und die so tun, als wären sie Sendboten der Götter«, murmelte Mike zerknirscht. »Wir haben uns ganz schön blamiert, wie?«
Ah'Kal deutete auf Serena. »Das Mädchen des Alten Volkes hat uns erzählt, warum ihr so gehandelt habt. Es war falsch, aber wir erkennen eure gute Absicht.« Zum ersten Mal, seit Mike den Pahuma kennen gelernt hatte, lächelte der alte Mann. »Hast du wirklich geglaubt, dass wir dich für einen Boten der Götter halten? Abgesandte der Götter bitten nicht. Sie befehlen.«
»Hmm«, machte Mike -was in diesem Moment zweifellos die intelligenteste Antwort war, die ihm einfiel. Zugleich suchte sein Blick nach Astaroth. Der Kater stand mit steil aufgestelltem Schwanz neben Serena, rieb sich an ihrem Bein und hatte das unverschämteste Cheshire-Cat-Grinsen aufgesetzt, das Mike jemals gesehen hatte.
Das findest du jetzt witzig, wie?grollte Mike in Gedanken.Dein Humor wird allmählich gefährlich. Wieso Humor?fragte Astaroth harmlos.Du liegst mir seit Jahren in den Ohren, dass ich nicht in den Gedanken der Menschen herumstöbern soll, die das nicht wünschen. Und jetzt wirfst du mir vor, dass ich
genau das getan habe, was du seit Jahren von mir verlangst?Mike ersparte sich eine Antwort, aber er dachte intensiv an Katzen und spitze Stöcke und die eine oder andere interessante Möglichkeit, Letztere einzusetzen, und er hätte wetten können, dass Astaroth unter seinem schwarzen Fell deutlich erbleichte. »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, wandte er sich an Ah'Kal. »Hat Serena euch erzählt, was hier geschieht?«