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Trautman ließ die NAUTILUS nicht annähernd so schnell laufen, wie er es gekonnt hätte, und hielt auch einen weit größeren Abstand ein, als notwendig gewesen wäre. Offenbar traute er dem friedlichen Anblick doch nicht so sehr, wie er gerade selbst behauptet hatte.

Je mehr sie sich der Insel näherten, desto mehr konnte Mike Trautmans Vorsicht auch verstehen. Der halbierte Berg zog langsam an ihnen vorüber und die Hitze stieg im gleichen Maße, in dem sie dem Ufer näher kamen. Die Luft roch so durchdringend nach Schwefel, dass das Atmen mühsam wurde. Sie sprachen nur sehr wenig, während die NAUTILUS die Insel umrundete. Mike warf dann und wann einen Blick zu Astaroth hin, der reglos auf dem Turm hockte und den Berg mit angelegten Ohren anstarrte, stellte aber keine Frage. Trotz seines vorlauten Mundwerks war Astaroth sehr zuverlässig, wenn es darauf ankam. Wenn er irgendetwas entdeckte, würde er es ihm sofort sagen. Schließlich hatte die NAUTILUS die andere Seite des Eilands erreicht und glitt um einen gewaltigen Felsen, der wie ein steinerner Wachtposten aus dem Meer ragte. Dahinter befand sich eine weit geschwungene, flache Bucht, die in einen weißen, von dichtem Dschungel begrenzten Sandstrand überging. Mike konnte einen entsetzten Aufschrei kaum noch unterdrücken.

Die Insel musste noch vor zwei Stunden einen wahrhaft paradiesischen Anblick geboten haben. Jetzt sah sie aus wie ein Vorhof der Hölle. Der Strand war von einer hellgrauen, pulverigen Ascheschicht bedeckt, aus der hier und da noch dünne Rauchfäden aufstiegen. Der Dschungel, der diesen Strand einst begrenzt hatte, war zu einer schwarzen Albtraumlandschaft verbrannt. Die Palmen hatten keine Blätter mehr und ihre Stämme waren zu schwarzen Strunken verkohlt. Überall zwischen den Bäumen brannte es noch.

Das Schlimmste aber war das halbe Dutzend Hütten, das auf dem Strand stand -genauer gesagt das, was davon übrig geblieben war. Es waren keine steinernen Bauten wie der Tempel, den sie auf der anderen Seite der Insel gesehen hatten, aber auch keine Bambus-oder Strohhütten, sondern fünf oder sechs in aller Hast errichtete Wellblechhütten, die vermutlich auch keinen besonders hübschen Anblick geboten hatten, als sie noch intakt gewesen waren. Jetzt bestanden sie nur noch aus einem wirren Haufen von zerfetztem, ausgeglühtem Blech. Ein tonnenschwerer Lavablock war wie ein Geschoss vom Himmel gestürzt und hatte die kleine Hüttensiedlung mit der Wucht einer Bombe getroffen. »Dort!« Serenas ausgestreckter Arm deutete nach rechts, und als Mikes Blick der Geste folgte, sah er das zertrümmerte Heck eines kleinen Schiffes aus dem Wasser ragen. Auch Trautman schien das Boot im selben Augenblick gesehen zu haben, denn die NAUTILUS verlor deutlich an Fahrt und änderte zugleich ihren Kurs, sodass sie nun direkt auf das Schiffswrack zuhielt.

Wieder einmal erwies sich Trautman als wahrhaft meisterlicher Kapitän, denn als die NAUTILUS schließlich zur Ruhe kam, befand sie sich weniger als einen Meter neben dem gesunkenen Schiff. Mike verständigte sich mit einem raschen Blick mit Singh, dann sprang er ohne zu zögern auf das Schiffswrack hinab und der Inder folgte ihm auf dieselbe Weise. Das Boot schaukelte fühlbar unter ihnen; offensichtlich lag es nicht auf Grund, sondern trieb frei im Wasser. Dabei hätte es eigentlich wie ein Stein sinken müssen, dachte Mike. Das Schiff war wesentlich größer, als sie im ersten Moment angenommen hatten, und bestand nicht aus Holz, sondern aus Eisen. Vielleicht war in seinem Heck eine große Luftblase eingeschlossen, die es an der Wasseroberfläche hielt. »Ich tauche«, sagte Singh knapp. »Sieh dich hier um.« Er deutete auf das zerborstene Heck des Schiffes, holte tief Luft und verschwand mit einem Hechtsprung im Wasser, während Mike die Arme ausbreitete, um auf dem schwankenden Boden das Gleichgewicht zu halten, und sich dem gewaltigen Riss näherte, der im hinteren Teil des Schiffes gähnte. Er sah nichts anderes, als er erwartet hatte, aber der Anblick war erschreckend genug: Unter ihm lag das, was einmal der Maschinenraum des Schiffes gewesen sein musste. Jetzt glich es eher dem Hof eines Schrotthändlers. Etwas hatte das zwei Zentimeter dicke Eisen des Rumpfes wie Papier zerfetzt und im Schiffsinneren alles kurz und klein geschlagen. Und was immer es gewesen war, musste heiß wie die Hölle gewesen sein, denn das eingedrungene Wasser sprudelte noch immer. Wasserdampf schlug Mike entgegen und ließ ihn den Gedanken, ins Innere des Schiffes hinabzutauchen, auf der Stelle wieder vergessen.

Auf der anderen Seite des Schiffes tauchte jetzt Singh auf, nach überraschend kurzer Zeit, wie Mike fand. Prustend schwang er sich auf den Schiffsrumpf hoch und spuckte Wasser aus. »Es schmeckt grauenhaft«, sagte er schwer atmend. »Und es ist heiß. Als ob man in schlecht gewordener Fischsuppe baden würde.Im Rumpf scheint eine Luftblase zu sein. Groß genug für einen Überlebenden. Aber ich komme nicht rein. Unmöglich länger als ein paar Augenblicke unter Wasser zu bleiben.«

»Das ist auch nicht nötig«, antwortete Mike. »Wozu haben wir jemanden an Bord, der unter Wasser atmen kann?« Mike drehte sich zur NAUTILUS herum. »Astaroth!«

Astaroth rührte sich nicht, antwortete aber mit seiner Gedankenstimme.Ich denke nicht daran, in diese Brühe zu tauchen. Sehe ich aus wie ein eingelegter Hering?

»Astaroth!«, sagte Mike laut und ziemlich wütend. »Du wirst sofort in dieses Wrack hinuntertauchen!«Fällt mir nicht ein,antwortete Astaroth patzig. Daswäre auch vollkommen sinnlos. Da unten ist niemand.Mike warf einen raschen Blick zu Singh, hielt es aber angesichts dessen finsteren Gesichtsausdrucks für besser, ihm diesen Teil von Astaroths Antwort zu verschweigen.Warum hast du das nicht gleich gesagt? Niemand hat mich gefragt,antwortete Astaroth. Mike formulierte keine Antwort in Gedanken, aber Astaroth schien trotzdem etwas darin zu lesen, was ihm klarmachte, dass Mikes Vorrat an Humor im Augenblick ziemlich begrenzt war, denn er fügte hastig hinzu:Ich war nicht ganz sicher. Aber ich glaube, es kommt vom Ufer.

»Was ist los?«, rief Ben vom Schiff aus. »Wieso reagiert er nicht?«

»Astaroth meint, es könnte einen Überlebenden an Land geben«, antwortete Mike.

»Das ist nicht sein Ernst!« Ben riss ungläubig die Augen auf. Sie waren noch ein gutes Stück vom Strand entfernt, aber selbst von hier aus konnte man erkennen, dass die Zerstörung total war. Es war schwer vorstellbar, dass dort noch jemand am Leben sein sollte. Aber wenn auch nur die geringste Chance bestand, dass dort noch ein Mensch am Leben war, dann

konnten sie nicht einfach abfahren und so tun, als hätten sie nichts gemerkt.

Mike und Singh sprangen auf den Bug der NAUTILUS zurück. Mike winkte Trautman im Turm des Schiffes zu und deutete dann auf die zerstörte Hüttensiedlung. Er konnte Trautmans Reaktion nicht erkennen, aber einen Moment später setzte sich die NAUTILUS erneut in Bewegung und hielt auf den Strand zu.

Sie konnten nicht ganz bis ans Ufer heranfahren, da der Tiefgang der NAUTILUS zu groß war. Das Schiff hielt in dreißig oder vierzig Metern Entfernung an und Mike, Singh und Juan begannen hastig das kleine Beiboot aus der Haltevorrichtung am Heck zu lösen. Sie hätten das kurze Stück mühelos schwimmen können, aber nach Singhs Worten hatte niemand mehr Lust, ins Wasser zu gehen; Singh am allerwenigsten.

»Ihr wollt da wirklich hin?«, fragte Ben, nachdem sie das Boot ins Wasser gelassen hatten und hintereinander hineinkletterten. Er warf einen schrägen Blick zum Berg hoch. Von dieser Seite aus sahen die Zerstörungen gar nicht so schlimm aus, aber der verbrannte Wald und die aschefarbene Wolke am Himmel über der Insel sprachen eine sehr deutliche Sprache.