Auch Mike war nicht besonders wohl in seiner Haut, aber er nickte trotzdem. »Wir sind vorsichtig«, sagte er. »Und wir beeilen uns.« »Das würde ich auch vorschlagen«, sagte Ben. »Je schneller wir von hier wegkommen, desto besser. Ich traue dem Frieden nicht.«
Mike ging es genauso. Wenn Trautmans Erklärung stimmte, dann hatten sie von diesem Vulkan nichts mehr zu befürchten aber schließlich hatte Trautman ja selbst zugegeben, dass er nicht besonders viel von Vulkanen verstand. Der unterseeische Ausbruch, dem sie vorhin mit knapper Mühe entkommen waren, war schließlich auch völlig warnungslos erfolgt.
Singh startete den Motor und sie fuhren los. Nach wenigen Augenblicken schon hatten sie den Strand erreicht. Singh ließ das Boot so weit auf den Sand hinaufgleiten, wie es nur ging, und sie sprangen von Bord.
Ihre Schritte wirbelten die weiße Lavaasche so hoch, dass Mike mit der Hand vor dem Gesicht herumwedelte um überhaupt noch etwas sehen zu können und er hustete. Die Asche war warm, fast noch heiß, und der Schwefelgestank wurde so stark, dass sie kaum noch atmen konnten. Als sie weitergingen, bewegten sie sich vorsichtiger, sodass die Asche nur noch bis zu ihren Knien hochwirbelte.
Ich an eurer Stelle würde mich beeilen,erklang Astaroths Stimme in seinem Kopf.Wieso?
Trautman,antwortete Astaroth.Er ist beunruhigt. Er ist nicht sicher, dass der Vulkan wirklich schläft.Diese Neuigkeit war nicht unbedingt dazu angetan, Mike zu beruhigen. Aber sie ließ ihn wieder schneller gehen, wirbelnde Asche hin oder her. Auch er hatte keine besondere Lust, möglicherweise noch auf dieser Insel zu sein, wenn sie sich dazu entschloss, sich auch noch von der anderen Hälfte des Berges zu trennen.
Je näher sie der Ansammlung zerstörter Wellblechhütten kamen, desto mehr sank Mikes Mut. Es erschien ihm immer
unwahrscheinlicher, dass irgendein lebendes Wesen die Katastrophe überlebt haben sollte. Der Brocken, der in der Mitte der kleinen Siedlung eingeschlagen war, war immer noch deutlich zu sehen. Er hatte sich mehr als zur Hälfte in den Boden eingegraben und glühte in einem dunklen, drohenden Rot. In seiner unmittelbaren Umgebung war der Sand geschmolzen und zu einer Art schwarzem Glas geworden. Die Hitze, die er ausstrahlte, war so gewaltig, dass es ihnen nicht möglich war, sich ihm weiter zu nähern.
»Dort.« Singh deutete auf zwei halb zusammengebrochene Hütten am anderen Ende des Lagers. Auch sie waren zerstört, aber nicht ganz so sehr wie der Rest der Ansiedlung. Wenn es hier überhaupt Überlebende geben sollte, dann dort. »Nehmt die linke Hütte. Ich durchsuche die andere.«
Sie schritten schneller aus. Mike hob schützend den Arm vor das Gesicht, um der grausamen Hitze zu entgehen, die wie mit unsichtbaren glühenden Krallen nach ihm hieb, und trat gebückt durch den halb eingedrückten Eingang.
Auch hier drinnen war alles hoffnungslos zerstört. Mike erkannte nichts als ein riesiges Chaos aus umgestürztem Mobiliar, zerbrochener Einrichtung und verkohltem Papier und auch hier drinnen lag weiße, pulverige Asche, die bei jeder Bewegung hochwirbelte und zum Husten reizte. Trotzdem durchsuchten sie die Hütte gründlich. »Das scheint so eine Art ... Labor gewesen zu sein«, sagte Juan nachdenklich. »Jedenfalls liegt hier genug Krempel herum um Isaac Newton für den Rest seines Lebens glücklich zu machen.« Juan hatte vollkommen Recht: Diese Hütte war einmal ein Labor gewesen.
Unter ihren Füßen klirrte zerbrochenes Glas und verbogenes Metall und überall lagen angekohlte Bücher. Mike bückte sich nach einem der angesengten Bände, blätterte ihn durch und stellte fest, dass er nichts als handschriftliche Notizen und kompliziert aussehende Berechnungen enthielt. Er wollte ihn wegwerfen, überlegte es sich dann aber anders und steckte das Buch in seinen Gürtel.
»Hier drüben!« Singhs Stimme drang gedämpft durch die Wand herein. »Ich habe jemanden gefunden! Schnell!«
Sie fuhren herum, rannten zu der benachbarten Hütte und stürmten hinein. Singh hockte am Boden und kümmerte sich um eine Gestalt in verbrannter Kleidung, die halb unter Trümmern und zerbrochenen Gerätschaften begraben war.
»Schnell!«, sagte Singh. »Helft mir! Und seid vorsichtig, er ist schwer verletzt!«
Das war nicht übertrieben. Während sie zu dritt versuchten, den Mann unter dem Wust zerbrochener Möbel herauszuziehen, stellte Mike entsetzt fest, wie schwer verbrannt der Mann war. Er war ohne Bewusstsein, stöhnte aber trotzdem vor Schmerz, als sie ihn hochhoben und aus der Hütte trugen. Seine Kleider waren verkohlt und er blutete aus mindestens einem Dutzend mehr oder weniger tiefer Wunden. So schnell sie konnten, trugen sie den Verletzten zum Boot und legten ihn hinein. Mike und Juan schoben das Beiboot ins Wasser, während Singh sich um den Verwundeten kümmerte. Der Boden unter ihren Füßen zitterte sacht und auf dem Meer entstand plötzlich ein Muster sich schnell verändernder Wellen. Ein dumpfes Grollen lag mit einem Male in der Luft und spornte sie zu noch größerer Eile an. Hastig stießen sie das Boot ab, sprangen hinein und griffen nach den Rudern. Mike sah zur NAUTILUS hin. Ben, Chris und Serena waren unter Deck verschwunden und genau in diesem Moment erschien Trautman über der Turmluke und winkte ihnen zu sich zu beeilen. Die Wellen auf dem Wasser wurden höher und auch die NAUTILUS bewegte sich jetzt deutlich. Aus dem sachten Grollen war mittlerweile ein drohendes Donnern und Rumoren geworden, das von überall her zugleich zu kommen schien. Mike und Juan ruderten, so schnell sie konnten. Trautman kletterte vollends aus dem Turm und eilte ihnen entgegen, um Singh mit dem Verletzten zu helfen, während Mike und Juan rasch das Boot im Heck der NAUTILUS vertäuten. Dann eilten sie unter Deck und verschlossen die Luken hinter sich. Mike trat ans Ruder, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er mit den neuen Instrumenten zurechtkam, und begann die NAUTILUS behutsam auf der Stelle zu wenden. Die NAUTILUS erzitterte unter immer heftiger werdenden Erschütterungen, während Mike das Schiff wendete und ins offene Meer hinauslenkte. Sie waren kaum aus der Gefahrenzone heraus, da erwachte der vermeintlich schlafende Vulkan zum zweiten Mal. Als sich Rauch und Flammen nach zwei Stunden allmählich wieder verzogen, war von der Insel nichts mehr zu sehen.
Seit die Vulkaninsel untergegangen war, hatte sich das Meer nicht mehr beruhigt. Mittlerweile waren mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, aber der Meeresboden Hunderte von Metern unter ihnen befand sich noch immer in Aufruhr. Dann und wann brachen gewaltige dampfgefüllte Blasen durch die Wasseroberfläche und die Wellen wurden immer heftiger. Es bestand keine wirkliche Gefahr für die NAUTILUS -wenigstens behauptete Trautman das -, aber es wurde allmählich ungemütlich. Wäre es nach Mike und den anderen gegangen, so hätten sie diesen Teil des Ozeans längst mit Höchstgeschwindigkeit hinter sich gelassen, aber Trautman weigerte sich beharrlich.
»Wir bleiben hier, bis der Verletzte aufgewacht ist und wir mit ihm gesprochen haben«, sagte er. Seine Stimme klang sehr bestimmt. »Dieses Lager war groß genug für mindestens ein Dutzend Menschen und soviel ich weiß, haben Singh und die anderen keine weiteren Verletzten oder Toten gefunden. Ich werde nicht von hier weggehen, bevor ich keine Klarheit über ihr Schicksal habe!«
»Sie sind doch längst tot!«, protestierte Ben. »Hast du die Leichen gesehen?«, fragte Trautman. »Nein. Aber niemand kann diese Katastrophe überlebt haben. Die Insel ist einfach nicht mehr da!« »Wir warten«, antwortete Trautman stur. »Astaroth meint, dass er in ein paar Stunden aufwachen wird.« Er setzte sich und griff mit der anderen Hand nach einem Buch, das auf der Bank neben ihm lag, und legte es aufgeschlagen auf den Tisch. Es war das ledergebundene Notizbuch, das Mike aus der Hütte mitgebracht hatte. Trautman hatte es innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden mindestens hundertmal durchgeblättert ohne zu irgendeinem Ergebnis zu kommen. Die Handschrift auf den Seiten war gestochen scharf, aber leider in einer Sprache abgefasst, die keiner von ihnen kannte. Nach Mikes Ansicht handelte es sich um Schwedisch oder so etwas, aber sicher war er nicht.