Der Postillon lenkte um und jagte im brausenden Galopp fort nach Berlin!
Der Baron hatte nämlich, als ihm das Haude- und Spenersche Zeitungsblatt in die Hände fiel, eine Kleinigkeit übersehen, das heißt die Jahreszahl. - Ein Stück der vorjährigen Zeitung, ein Makulaturblatt, worin vielleicht etwas eingeschlagen, oder das sonst ein Zufall auf einen Tisch ins Kasino gebracht, hatte er gelesen, und so war eben heute, am vierundzwanzigsten Julius, als der Baron nach Patras abreisen wollte, das Jahr verflossen, das in jener Aufforderung zur Frist bestimmt, nach Griechenland zu reisen oder bei der Madame Obermann in der »Sonne« sich einzufinden und die Entwickelung des Abenteuers abzuwarten.
Was konnte der Baron nun wohl anders tun, als so schnell als möglich nach Berlin zurück- und einkehren in der »Sonne« , welches er denn auch wirklich tat.
Traum und Wahrheit
»Welch ein Verhängnis« , sprach der Baron, als er sich in der »Sonne« , und zwar in Nr. 14, auf dem Sofa lang ausstreckte, »welch ein geheimnisvolles Verhängnis treibt sein Spiel mit mir? - War das Patras, wo ich mich befand? - War das Herr Andreas Condoguri, der mir den weitern Weg wies? - Nein! - Zehlendorf war das Ziel meiner Reise - es war der Wagenmeister, der mich hieher wies, und auch der Professor konnte nur der tote Hebel sein, der unbekannte Kräfte in Bewegung setzte!«
Der Jäger trat hinein und berichtete, daß selbigen Tages durchaus weiter keine fremde Herrschaft eingetroffen sei. Das schlug den Baron, dem die Entwickelung des Abenteuers, der Aufgang des Geheimnisses die Brust spannte, nicht wenig nieder. Er bedachte indessen, daß der Tag ja bis nach Mitternacht fortdauere und man erst, nachdem es zwölf geschlagen, mit gutem Gewissen schreiben könne: am fünfundzwanzigsten Julius, ja daß strenge Leute dies erst nach dem Schlage eins täten, und dies gab ihm Trost.
Er beschloß, mit erzwungener Ruhe auf dem Zimmer bleibend, abzuwarten, was sich ereignen werde, und sah es, unerachtet er an nichts denken wollte als an das schöne Geheimnis, an das holde Zauberbild, das ja sein ganzes Innres erfüllen mußte, doch nicht ungern, als auf den Punkt zehn Uhr der Kellner erschien und einen kleinen Tisch deckte, auf dem bald ein feines Ragout dampfte. Der Baron fand es nötig und seiner innern Stimmung gemäß, ätherisches Getränk zu genießen, und befahl Champagner. - Als er den letzten Bissen eines gebratenen Huhns verzehrt, rief er aus: »Was ist irdisches Bedürfnis, wenn der Geist das Göttliche ahnet!«
Damit setzte er sich, Beine untergeschlagen, auf das Sofa, nahm die Chitarre zur Hand und begann neugriechische Romanzen zu singen, deren Worte er mit Mühe aussprechen gelernt und die nach den selbst komponierten Melodien abscheulich genug klangen, um für etwas sehr Absonderliches und Charakteristisches zu gelten, und weshalb er sie auch den Fräuleins A. bis Z. niemals vorgesungen, ohne das tiefste Erstaunen, ja einiges angenehme Entsetzen zu erregen. - Der Begeisterung halber ließ der Baron, nachdem er eine Flasche Champagner geleert, noch eine zweite kommen. Plötzlich war es dem Baron, als machten sich die Akkorde, die er anschlug, ganz los von dem Instrument und schwammen, voller und herrlicher tönend, frei in den Lüften. Dazu sang eine Stimme in seltsamen unbekannten Weisen, und der Baron vermeinte, sein Geist sei es, der entfesselt sich erhebe im himmlischen Melos. Bald wurde ein geheimnisvolles Flüstern vernehmbar. - Es rauschte an der Türe, sie sprang auf, hinein trat eine hohe herrliche Frauengestalt, in dichte Schleier gehüllt. - »Sie ist es - sie ist es« , rief der Baron im Übermaß des Entzückens, stürzte nieder auf die Knie und reichte der Gestalt die blaue Brieftasche dar. Da schlug die Frau die dichten Schleier zurück, und, durchbebt von aller Lust des Himmels, konnte Theodor kaum den Glanz überirdischer Schönheit ertragen! Die holde Jungfrau nahm die Brieftasche und musterte sorglich den Inhalt. Dann beugte sie sich herab zu Theodor, der noch immer anbetend auf den Knien lag, hob ihn auf und sprach mit dem süßesten Wohllaut: »Ja, du bist es, du mein Theodor! - ich habe dich gefunden!« - »Ja, er ist es, Signor Theodoro, den du fandest!« So sprach eine tiefe Stimme, und der Baron merkte nun erst eine kleine, sehr seltsame Gestalt, die hinter der Jungfrau stand, in einen roten Talar gehüllt und eine feurig glänzende Krone auf dem Haupte. - Des Kleinen Worte wurden, sowie sie ausgesprochen, zu Bleikugeln, die an Theodors Gehirn anprallten, und so konnt es nicht fehlen, daß dieser etwas erschrocken zurückwich.
»Erschrick nicht« , sprach die Jungfrau, »erschrick nicht, Hochgeborner! der Kleine dort ist mein Oheim, der König von Candia, er tut niemanden etwas zuleide. Hörst du denn nicht, Bester, daß die Steinamsel singt, und kann dann Böses geschehen?«
Erst jetzt war es dem Baron möglich, Worte herauszupressen aus der beengten Brust. »So ist es denn wahr« , sprach er, »was mir Träume, was mir süße Ahnungen sagten? - so bist du denn mein, du der Frauen herrlichste und hehrste? - doch erschließe mir das herrliche Geheimnis deines - meines Lebens!«
»Nur« , erwiderte die Jungfrau, »nur dem Geweihten erschließt sich mein Geheimnis, nur der heilige Schwur gibt die Weihe! - Schwöre, daß du mich liebst!«
Von neuem stürzte der Baron nieder auf die Knie und sprach: »Ich schwöre bei dem heiligen Mond, der herabschimmert auf Paphos' Fluren!« - »O schwöre« , fiel die Jungfrau ihm mit Julias Worten in die Rede, »o schwöre nicht beim Mond, dem Wandelbaren, der immerfort die Scheibe wechselt, damit nicht wandelbar dein Lieben sei! - Doch du gedachtest, süßer Romeo, der heiligen Stätte, wo die schauerliche Stimme des Orakels forttönt aus alter grauer Zeit und der Menschen düsteres verschleiertes Schicksal enthüllt! - Der Oberkonsistorialrat wird uns den Eintritt in den Tempel nicht verwehren! - Eine andere Weihe soll dich fähig machen, mit mir hinzueilen und den König von Candia abzufertigen mit schnöder Rede, sollt es ihm einfallen, grob gegen dich zu sein, wie es ihm manchmal zu Sinne kommt.« Zum zweitenmal richtete die Jungfrau den Baron in die Höhe, nahm aus der blauen Brieftasche das Messerchen, entblößte dem Baron den linken Arm und öffnete ihm, ehe er sich's versah, eine Ader. Das Blut spritzte empor, und der Baron fühlte den Schwindel der Ohnmacht. - Doch alsbald schlang die Jungfrau das magische Band um den Arm des Barons und zugleich um den ihrigen. Da stieg ein bläulicher Duft aus der Brieftasche, verbreitete sich im Zimmer, stieg durch die Decke, welche verschwand. Die Mauern schoben sich fort, der Fußboden versank, der Baron schwebte, von der Jungfrau umschlungen, im weiten lichten Himmelsraume. »Halt« , kreischte der König von Candia, indem er den Baron beim Arm festpackte, »halt, das leid ich nicht, ich muß auch dabeisein!« Doch der Baron fuhr ihn an, sich mit Gewalt losmachend: »Sie sind ein naseweiser Patron und kein König, denn ich müßte weniger Statistiker sein, als ich es wirklich bin, um nicht zu wissen, daß es gar keinen König von Candia gibt. Sie stehen ja in keinem Staatskalender und könnten, wär es der Fall, höchstens als Druckfehler passieren! - Fort, sag ich, scheren Sie sich fort hier aus der Luft!« - Der Kleine fing an auf sehr unangenehme Weise zu grunzen, da berührte die Jungfrau sein Haupt, er kroch zusammen und schlüpfte in die Brieftasche, die die Jungfrau an einer goldenen Kette um den Hals gehängt, wie ein Amulett.
»O Baron« , sprach die Jungfrau, »du hast Mut, und nicht fremd blieb dir die göttliche Grobheit! - doch sieh, schon naht sich das Geschwader aus Paphos!«
Der Blumenthron aus »Armida« ließ sich herab aus der Höhe, von hundert Genien umgeben. Der Baron stieg hinein mit der Jungfrau, und nun ging's fort sausend und brausend durch die Lüfte. »O Gott« , rief der Baron, als er immer schwindlichter und schwindlichter wurde, »o Gott, hätte ich doch nur nach dem anmutigen Beispiel geschätzter gräflicher Freunde eine einzige Luftfahrt mit Herrn oder Madame Reichardt gemacht, so wär ich ein Baron von Erfahrung und verstände mich auf solche Luftsegelei - aber nun - Was hilft es mir, daß ich auf Rosen sitze neben dem himmlischen Zauberbilde, bei dem verfluchten Schwindel, der mir das Innerste umdreht.«