Noch zweimal schossen Pfeile aus dem Unterholz, zischten an mir vorbei und verloren sich im Grün des Waldes. Zweimal sah ich eine Bewegung, zuweilen hörte ich auch die hastigen Schritte des Panthermädchens.
Ich legte noch mehr Tempo vor und verringerte den Abstand zwischen uns. Auf der Sehne meines Bogens lag ein schneller Pfeil mit Stahlspitze. Die Angreiferin durfte sich auf keinen Fall mit den anderen Panthermädchen in Verbindung setzen.
Wieder schlug in meiner Nähe ein Pfeil ein, und ich ging in Deckung. Die Geräusche vor mir waren verstummt. Niemand rührte sich im Unterholz.
Ich lächelte. Die Angreiferin hatte sich auf die Lauer gelegt. Sie wartete auf mich.
Ausgezeichnet! dachte ich. Ausgezeichnet!
Doch damit hatte nun der gefährlichste Teil der Jagd begonnen. Das Mädchen wartete mit gespanntem Bogen auf mich. Ohne mich zu bewegen, lauschte ich auf Tiere. Ich stellte fest, wo sich Vögel bewegten und wo Ruhe herrschte. Ich beschloß zu warten.
Eine Viertel-Ahn lang beobachtete ich die Schatten im Unterholz. Vermutlich hatte die Angreiferin im Dickicht kehrtgemacht und wartete nun auf mich. Aber es ist sehr anstrengend und schmerzhaft, einen Bogen länger als eine Ehn lang gespannt zu halten. Doch die Sehne zu entspannen bedeutete Bewegung – und dann war sie nicht mehr schußbereit.
Über mir bewegten sich Vögel.
Ich lauschte geduldig auf das Summen der Insekten. Unverwandt starrte ich in die Schatten. Ich wartete geduldig wie ein goreanischer Krieger.
Schließlich sah ich eine leichte Bewegung, die kaum zu bemerken war – doch ich hatte darauf gewartet. Ich lächelte.
Vorsichtig setzte ich den stahlbespitzten schwarzen Temholzschaft auf die Sehne und hob den großen Bogen aus Ka-la-na-Holz.
Ein schriller Schmerzensschrei aus dem Unterholz beantwortete meinen Schuß. Ich hatte sie!
Ich rannte los und erreichte das Mädchen.
Der Pfeil hatte sie mit der Schulter an einen Baumstamm genagelt. Ihr Blick war glasig vor Schmerz. Als sie mich sah, griff sie mit der rechten Hand nach dem Sleenmesser an ihrem Gürtel. In ihrem langen blonden Haar schimmerte Blut. Ich schlug ihr das Messer aus der Hand und fesselte ihr die Handgelenke zusammen. Nachdem ich sie mit ihrem Büstenhalter geknebelt hatte, trat ich zurück und betrachtete sie. Dieses Panthermädchen konnte niemanden mehr warnen; sie konnte die Pläne Bosks aus Port Kar nicht mehr stören.
Sie starrte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht an. Mit schneller Bewegung brach ich den Pfeil ab, der ihr aus der Schulter ragte. Dann zog ich sie ruckartig von dem Pfeilschaft. Sie ging in die Knie. Nachdem der Pfeil heraus war, begannen die beiden Wunden zu bluten. Ich wartete einen Augenblick, bis das Blut die Wunden reingewaschen hatte, zog den Rest des Pfeils aus dem Baumstamm und warf ihn zusammen mit der Tasche des Mädchens ins Unterholz, dann kniete ich neben ihr nieder und verband sorgfältig die Wunde.
Mit dem Fuß verwischte ich die Blutspuren im Sand, nahm meine Gefangene auf den Arm und trug sie etwa eine Viertel-Ahn lang auf unserer Fährte zurück, damit sie sich nicht mehr durch Rufe mit ihren Genossinnen verständigen konnte, setzte sie ab und lehnte sie mit dem Rücken an einen Baumstamm.
Die Wunde und der Blutverlust machten ihr zu schaffen, sie war unterwegs ohnmächtig geworden. Jetzt war sie wieder bei Bewußtsein und beobachtete mich mit glasigen Augen.
Ich zog ihr den Knebel aus dem Mund und fragte: »Wie heißt du?«
»Grenna.«
»Wo befindet sich das Lager Vernas?«
Sie sah mich ratlos an. »Das weiß ich nicht«, flüsterte sie.
Irgendwie klang das glaubhaft, aber dieser Teil des Waldes sollte doch Verna und ihrer Truppe gehören.
Ich gab dem Mädchen etwas zu essen und ließ sie aus meiner Wassertrommel trinken.
»Gehörst du nicht zu Vernas Bande?« wollte ich wissen.
»Nein.«
»Zu welcher Gruppe gehörst du dann?«
»Zu Hura«, sagte sie.
»Aber dieser Teil des Waldes ist das Gebiet Vernas.«
»Er wird bald uns gehören«, sagte sie. »Wir haben über hundert Mädchen!«
Ich ließ sie noch einmal trinken.
»Der Wald hier wird bald uns gehören«, wiederholte sie.
Ich war verwirrt. Normalerweise leben Panthermädchen in kleinen Gruppen. Daß über hundert Mädchen zu einer Bande gehörten und sich einer Anführerin unterwarfen, kam mir unwahrscheinlich vor.
»Du bist Kundschafterin?« fragte ich.
»Ja.«
»Wie weit bist du deiner Bande voraus?«
»Viele Pasang.«
»Was wird man annehmen, wenn du nicht ins Lager zurückkehrst?«
»Wer kann das wissen? Es ist keine Seltenheit, daß Mädchen verschwinden. Der Wald ist gefährlich. Aber was hast du mit mir vor?«
»Sei still!« antwortete ich grob.
Es war nun noch wichtiger als zuvor, Vernas Lager und ihren Tanzkreis so schnell wie möglich ausfindig zu machen. Innerhalb weniger Tage mochten weitere Panthermädchen in diesem Teil der Wälder auftauchen. Wir mußten also schnell handeln.
Ich blickte nach der Sonne, die bereits zwischen den Bäumen stand und bald untergehen würde. In einer oder zwei Ahn konnte es dunkel sein.
Ich hatte keine Zeit, die Gefangene zu Rim, Arn und den anderen zurückzuschaffen.
»Was hast du mit mir vor?« wiederholte Grenna ihre Frage.
Ich steckte ihr den Knebel wieder in den Mund. Dann befreite ich sie von den Fesseln und deutete auf einen Baum.
»Steig hinauf«, sagte ich.
Sie schüttelte unsicher den Kopf. Sie hatte viel Blut verloren und war geschwächt.
»Steig hinauf – oder muß ich dich am Boden fesseln?«
Mühsam kletterte sie empor, und ich folgte ihr.
»Weiter«, befahl ich, als sie innehielt.
Schließlich befand sie sich gut sechs Meter über dem Boden.
»Leg dich auf den Ast«, befahl ich, »den Kopf zum Stamm.«
Sie zögerte und gehorchte schließlich.
»Weiter hinaus!«
Schließlich lag sie gut anderthalb Meter vom Stamm entfernt.
»Laß die Arme herabhängen!«
Sie gehorchte. Ich fesselte ihre Arme wieder mit Sklavenschellen zusammen, und zwar unter dem Ast. Ihre Fußgelenke machte ich unmittelbar am Holz fest und sicherte sie noch mit einer breiten Schnur um den Bauch.
Sie sah mir angstvoll nach, als ich zum Stamm des Baums zurückkehrte und hinabstieg.
Der Sleen ist ein Bodentier und klettert selten auf einen Baum. Der Panther kann zwar klettern, ist es aber gewohnt, seine Fährte am Boden aufzunehmen. So war das Mädchen einigermaßen in Sicherheit. Sie konnte nur hoffen, daß ich mein Unternehmen lebend überstand und sie hier wieder abholte.
Eine Ahn vor Einbruch der Dunkelheit fand ich das Lager.
Es befand sich etwas zurückgesetzt vom Ufer eines kleinen Wasserlaufs – einer der zahlreichen Waldzuflüsse des Laurius. Ich stieg lautlos auf einen Baum, um mich erst einmal richtig umzusehen.
Das Lager bestand aus fünf konischen Hütten aus Weidenschößlingen, mit Stroh gedeckt. Ein großes Tier, mit Lianen verschlossen, bildete den Zugang. In der Mitte des Lagers gähnte ein Kochloch, von flachen Steinen gesäumt. Auf einem Holzgestell hing ein Tabukschenkel, von dem Fett ins Feuer tropfte.
Das Fleisch duftete herrlich. Der dünne Rauchfaden stieg fast senkrecht in den Himmel.
Um das Tabukfleisch kümmerte sich ein Panthermädchen, das im Staub hockte, von Zeit zu Zeit Fleischstückchen abschnitt und in den Mund schob und sich anschließend die Finger leckte. In einer Ecke des Lagers arbeitete ein anderes Mädchen an einem Sklavennetz.
Weiter hinten saßen mit untergeschlagenen Beinen zwei Mädchen und spielten ein Spiel mit Schnüren, bei dem sie komplizierte Muster spannen und sich dabei gegenseitig übertreffen mußten.
Andere Panthermädchen waren innerhalb oder außerhalb der Palisadenwand nicht auszumachen. Ich bemerkte jedoch eine Bewegung in einer der Hütten. Wahrscheinlich hielt sich ein weiteres Mädchen dort auf.