Die Panthermädchen aus Huras Gruppe sahen sich immer wieder ängstlich um. Sie wollten so schnell wie möglich aus dem Wald heraus, um der unbekannten Gefahr zu entgehen. Bis jetzt hatten die Pfeile noch niemanden aus ihrem Kreis getroffen, doch das schien sie nicht zu beruhigen. Sie ahnten, daß ihnen ein anderes Schicksal bevorstand.
Wieder regte sich Mira auf ihrem Lager und drehte sich um. Den Kopf hatte sie auf einen Arm gelegt. Das blonde Haar war ungebunden. Sie trug auch nachts ihr Pantherfell. Ein Bein hatte sie angewinkelt.
Es hatte nur wenige Feuerstellen im Lager gegeben. Die Tyrer und die Panthermädchen fürchteten das Licht. Nur zwei Wachen waren postiert, und zwar ziemlich dicht am Lager. Ich war zwischen ihnen hindurchgeschlichen, sie hatten nichts bemerkt.
Während des Tages hatte ich noch öfter aus dem Hinterhalt zugeschlagen. Immer wieder hatten die Panthermädchen und die Männer mit ihren Armbrüsten sinnlos in den Wald geschossen. Doch ihre Pfeile fanden kein Ziel. Mit dem Mut der Verzweiflung stürmten schließlich fünfzehn Tyrer in den Wald, um mich zu erlegen. Doch sie waren ungeschickt und brachen wie eine Boskherde durch das Unterholz. Von den Männern kehrte keiner zur Kolonne zurück.
Alles in allem hatte ich meinen Langbogen einundvierzigmal gespannt, und einundvierzig Tyrer säumten nun den Weg durch den Wald, eine leichte Beute für die Sleen.
Ich lag hinter Mira in der Dunkelheit. Sie hatte mir den Rücken zugewandt. Sie lag auf der rechten Seite, den Kopf auf den rechten Arm gestützt. Sie rührte sich im Schlaf. Sie war unruhig. Geduldig wartete ich ab.
Sie wälzte sich wieder auf den Rücken und streckte die Beine aus. Ihr Kopf rollte hin und her. Dann lag sie still. Schon gehörte sie mir.
Ich warf mich über sie und drückte sie am Boden fest, so daß sie sich nicht mehr bewegen konnte.
Verblüfft riß sie die Augen auf und sah mich. In einer Reflexbewegung öffnete sie entsetzt den Mund. Ich stopfte das Fellstück tief hinein, so daß sie keinen Laut mehr herausbrachte. Während meine rechte Hand noch den Knebel festdrückte, fiel die Lederschlinge von meiner linken Hand über ihr Gesicht. Schnell stieß ich ihr das verdrehte Stück zwischen die Zähne und band das Leder mit einem Kriegerknoten in ihrem Nacken fest. So konnte der Knebel nicht mehr verrutschen. Schließlich drehte ich das Mädchen auf den Bauch, fesselte ihr die Handgelenke auf dem Rücken und band ihre Fußgelenke zusammen.
»Keine Gegenwehr«, sagte ich.
Sie spürte die Klinge am Hals. Mit weit aufgerissenen Augen nickte sie. Sie hatte begriffen.
»Weißt du jetzt, was du tun sollst?« fragte Vinca.
»Das kann ich nicht!« schluchzte Mira. »Ich bringe es nicht fertig!« Tränen rannen unter der Augenbinde hervor, die ich ihr umgelegt hatte, ehe ich sie auf diese Lichtung führte.
Sie konnte ihre Gesprächspartnerin nicht sehen. Sie wußte nur, daß sie gefesselt vor einem Mädchen kniete, dessen kompromißlose Strenge und hochmütiger Tonfall nur zu dem Schluß führen konnten, daß sie eine bedeutende Gruppe Panthermädchen kommandiere.
Auch bewegten sich links und rechts von ihr die beiden anderen Pagasklavinnen aus Vincas Gruppe. Ilene war bei unseren Gefangenen geblieben. Mira wußte nicht, wie viele Mädchen dem Verhör wirklich beiwohnten oder ob die Anwesenden nur die Abordnung einer größeren Bande waren. Ja, sie wußte nur, daß sie von einer Frau streng behandelt wurde und daß sich andere in der Nähe befanden.
Vinca, die rothaarige Pagasklavin, leistete gute Arbeit. Von Zeit zu Zeit schlug sie unerwartet mit ihrer Gerte zu. Mira wußte nie, wann der nächste Schlag zu erwarten war, so daß die Wirkung dieser Züchtigung nicht ausblieb. Sie weinte und zuckte oft schon vor Schlägen zurück, die noch gar nicht gefallen waren.
»Bitte schlag mich nicht mehr«, schluchzte Mira.
»Also gut«, erwiderte Vinca.
Mira zitterte am ganzen Leibe. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Widerstand gebrochen war.
»Begreifst du, was du tun sollst?« wiederholte Vinca.
»Das kann ich nicht!« schluchzte Mira. »Es ist zu gefährlich! Wenn ich erwischt werde, bringen mich die anderen um! Ich kann es nicht tun!«
Ich gab Vinca ein Zeichen.
Stille trat ein.
Mira hob ungläubig den Kopf. »Seid ihr mit mir fertig?« fragte sie.
»Ja«, erwiderte Vinca.
Erleichtert ließ Mira den Kopf sinken.
»Was werdet ihr mit mir tun?«
»Das wirst du gleich merken«, entgegnete Vinca und gab den anderen Pagasklavinnen ein Zeichen. Sie lösten Miras Fußfesseln und zerrten das Mädchen hoch. An den Armen führten sie Mira, die noch immer die Binde vor den Augen hatte, zu einer vorher vereinbarten Stelle, wo wir vier kleine Pflöcke in den Boden getrieben hatten.
Lautlos folgte ich der Prozession.
Mira wurde auf den Boden gelegt und an den vier Pflöcken festgemacht.
»Was macht ihr mit mir?« fragte sie.
»Du nützt uns nichts mehr«, sagte Vinca. »Wir werfen dich den Sleen zum Fraß vor!«
»Nein! Nein!« schrie Mira.
Der letzte Knoten wurde festgemacht. Mira bäumte sich auf.
Ich reichte Vinca mein Sleenmesser. Mira spürte die Klinge an ihrem Schenkel. »Nein!« kreischte sie.
Vinca gab mir die Klinge zurück. Ich säuberte das Messer und steckte es wieder in die Scheide.
Mira spürte, wie die kräftige Hand einer Frau das Blut aus der Schenkelwunde rieb und auf ihrem Körper verteilte.
»Bitte!« flehte sie.
»Überlaßt sie den Sleen!« sagte Vinca.
»Ihr könnt über mich verfügen!« kreischte Mira. »Ich will alles für euch tun. Alles!«
»Zu spät!« sagte Vinca.
»Ich will euch dienen!« flehte Mira. »Ich will euch dienen!«
»Zu spät«, wiederholte Vinca. »Knebelt sie!«
Wieder stieß ich das Fell in Miras Mund und band es fest. Dann zogen wir uns zurück und ließen die Sklavin Mira hilflos zwischen den Pflöcken liegen.
Wir warteten.
Wie vermutet dauerte es nicht lange, bis ein Waldsleen die Witterung des frischen Blutes aufnahm, mit dem wir Miras Körper beschmiert hatten.
Aber der Sleen ist ein vorsichtiges Tier. Er umkreiste mehrmals seine Beute. Ich roch das Wesen, dessen Geruch sicher auch von den anderen wahrgenommen wurde – bestimmt auch von Mira.
Sie schien zwischen den Pflöcken erstarrt zu sein. Dabei verhielt sie sich instinktiv richtig, denn jede Bewegung kann den Angriff eines solchen Raubtiers auslösen.
Der Sleen kratzte im Gras herum und fauchte und knurrte leise. Doch seine Beute bewegte sich nicht. Das Raubtier schlich näher heran. Ich hörte es schnüffeln.
Dann hatte es das Mädchen erreicht, stieß mit der Schnauze gegen den Körper und begann das Blut abzulecken.
Ich entfernte von einem meiner Temholzpfeile die Spitze. Den stumpfen Pfeil schoß ich dem Sleen gegen die Schnauze. Verblüfft knurrte das Tier und sprang zurück.
Im nächsten Augenblick näherten sich Vincas Pagasklavinnen und zerrten einen toten Tabuk hinter sich her. Ich hatte das Tier erlegt, ehe ich Mira aus dem Lager entführte. Die Mädchen warfen den Tierkörper auf die Lichtung.
Nach lautem Fauchen und Schnauben packte der Sleen den Tabuk und verschwand damit im Unterholz.
Ich suchte meinen Pfeil, setzte die Stahlspitze wieder auf und steckte ihn in den Köcher zurück.
Vinca und ihre Mädchen öffneten nun Miras Fesseln und zogen ihr den Knebel aus dem Mund. Ohne ihr die Augenbinde abzunehmen, zerrten sie sie hoch.
»Du weißt, was du tun mußt, Sklavin?« fragte Vinca.
Wortlos nickte Mira. Sie schien einen Schock erlitten zu haben. Sie sollte Huras Panthermädchen verraten. In meinem Lager hatte ich mehrere Flaschen Wein, die ursprünglich aus Vernas Lager stammten; in diesem Wein befand sich ein starkes Schlafmittel. Ich erwartete nicht, daß alle Panthermädchen der Bande davon tranken, doch wenn ich den Tyrern weitere Verbündete nehmen konnte, war das nur zu meinem Vorteil.