»Morgen abend«, sagte Vinca, »sollst du möglichst vielen Panthermädchen Wein servieren – diesen Wein.«
Mira kniete mit gesenktem Kopf vor ihr. »Jawohl, Herrin«, flüsterte sie.
Vinca griff ihr ins Haar und schüttelte ihren Kopf. »Wir können dich jederzeit wieder aufgreifen«, sagte sie. »Verstehst du das?«
Niedergeschlagen nickte Mira.
»Bringt das Fell, damit wir sie wieder als Panthermädchen zurechtmachen können.«
Als wir wieder in der Nähe des Lagers waren, nahm ich Mira die Binde ab. Sie sah mich niedergeschlagen an. Um ihren Hals hingen die Weinflaschen. In ihren Augen stand die Angst vor dem Sleen.
»Ich zeige dir, wo eure Wächterinnen stehen«, sagte ich. »Du bist sicher geschickt genug, um unbemerkt an deine Lagerstatt zurückzukehren.«
Sie nickte. In ihren Augen schimmerten Tränen.
Ich nahm sie am Arm und zeigte ihr wortlos die Positionen der beiden Panthermädchen, die die Wache übernommen hatten. Sie nickte. Anschließend kehrten wir an eine Stelle zurück, von der aus sie gefahrlos ins Lager zurückschleichen konnte.
»Hörst du mich?« rief der Tyrer. »Hörst du mich?«
Natürlich gab ich keine Antwort.
»Wenn noch ein Tyrer fällt!« rief er, »sterben dafür zehn Sklaven.«
Kaum waren die Worte über seine Lippen, als er selbst zu Boden sank. Ein Pfeil des Langbogens ragte aus seiner Brust.
Ich ging nicht auf die Bedingungen der Tyrer ein.
»Dann sterbt, Sklaven!« rief ein Mann und hob das Schwert.
Doch er schlug nicht zu. Mein Langbogen ließ es nicht zu. Als sich die Kolonne später wieder in Bewegung setzte, stiegen die Sklaven und Panthermädchen über seine Leiche. Von der Drohung, Sklaven zu töten, war keine Rede mehr. Niemand wollte den ersten Schlag tun. Sarus, der Anführer der Tyrer, gab mehreren Männern den Befehl, doch niemand wollte sterben.
»Töte sie doch selbst!« rief schließlich einer seiner Untergebenen.
Sarus durchbohrte den Mann mit seinem Schwert – doch dann machte er keine Anstalten, gegen die Sklaven vorzugehen. Vielmehr starrte er wütend und ängstlich in den Wald und wandte sich ab. »Schneller!« rief er. »Sie sollen schneller marschieren.«
Die Kolonne kam in Bewegung.
Wieder stimmte Marlenus ein Lied an, in das seine Männer einfielen. Der Gesang hallte laut durch den Wald.
Nach der zehnten Ahn, der goreanischen Mittagsstunde, hielt ich mich zurück, denn ich wollte, daß die Tyrer neue Hoffnung schöpften. Am Vormittag hatte ich neunzehn Männer getötet, so daß dieser Morgen für meine Gegner wohl der düsterste und hoffnungsloseste gewesen war. Dagegen sollte der Nachmittag eine Zeit wachsender Hoffnung sein, denn am ganzen Nachmittag und Abend sirrten keine Pfeile mehr aus dem Nichts heran.
Sie sollten glauben, ich hätte die Verfolgung aufgegeben, wäre des Spiels überdrüssig geworden.
An diesem Tag marschierten die Tyrer sehr lange, um eine möglichst große Strecke zurückzulegen. Als sie ihr Lager aufschlugen, war es schon spät.
Die Männer waren gut gelaunt, und es herrschte sogar eine Art Feststimmung. Ich beobachtete, wie meine Sklavin Mira herumwanderte und vielen Panthermädchen Huras Wein einschenkte.
Es war spät. In vier Ahn setzte bereits die Dämmerung ein. Das Schlafmittel war stark. Es war für Männer gedacht, nicht für die schwächeren Organismen von Frauen, so daß ich nicht wußte, wie lange die Wirkung des Mittels anhielt. Mira hatte uns während des Verhörs verraten, daß es einen Mann mehrere Ahn lang bewußtlos machte.
Mein Lager befand sich – und das wußten die Tyrer und Huras Mädchen nicht – nur knapp zwei Pasang entfernt.
Vielleicht war es nötig, einige Mädchen gewaltsam aus ihrem Betäubungsschlaf zu wecken; schließlich wollten wir nicht zuviel Zeit verlieren.
Mit dem Gedanken an etwas Schlaf zog ich mich aus der Nähe des feindlichen Lagers zurück.
17
Ich wanderte zwischen den bewußtlosen Panthermädchen umher. Sie schliefen lange. Dieser Luxus sollte ihnen in Zukunft nicht mehr vergönnt sein.
»Kettet sie zu den anderen Gefangenen«, sagte ich zu Vinca.
»Ja, Herr.«
Wir hatten acht Mädchen von unserer Gefangenenkette gelöst und zu Paaren zusammengeschlossen. Meine Pagasklavinnen erhielten das Kommando über je ein Paar.
Die angeketteten Sklavinnen begannen die bewußtlosen Panthermädchen aufzulesen und zu den anderen Gefangenen zu schleppen, wo sie in einer Reihe ins Gras gelegt wurden, um an unsere große Kette angeschlossen zu werden.
»Ich freue mich, daß wir jetzt mehr Sklaven haben«, sagte das blonde Panthermädchen. »Da haben wir alle weniger zu schleppen.«
Ich hatte den Lagerplatz und die Umgebung sorgfältig ausgekundschaftet. Wieder gab es zahlreiche Anzeichen für einen überstürzten Aufbruch. Die Tyrer waren zweifellos froh und tatkräftig erwacht, begierig, ihren Weg zum Meer fortzusetzen. Doch zu ihrem Entsetzen hatten sie feststellen müssen, daß sich viele Panthermädchen nicht wecken ließen – all jene, die gestern abend von Miras Wein getrunken hatten.
Die Mädchen lagen in tiefer Bewußtlosigkeit und hatten auf nichts reagiert – allenfalls hatten sie gestöhnt und sich herumgewälzt.
Wie erwartet waren die Tyrer nicht geblieben, um die Mädchen zu beschützen und zu verteidigen. Sie nahmen natürlich an, daß dieses Ereignis nur das Vorspiel zu einem Großangriff war. Sie hatten ja keine Ahnung, wie zahlreich oder kampfstark ihr Feind war. Sie dachten nur an die eigene Sicherheit. Auch kam es für sie nicht in Frage, die Bewußtlosen zu tragen, die das Tempo nur noch weiter gemindert hätten. Einige wichtige Mädchen aus Huras Bande waren vielleicht von ihren Artgenossinnen geschleppt worden. Doch die meisten waren einfach zurückgelassen worden – wie auch zahlreiche Zelte und viel Gepäck.
Ich betrachtete zwei der bewußtlosen Panthermädchen. Sie waren nach dem Genuß des Weins angenehm erwärmt eingeschlafen. Sie hatten sicher keine Ahnung, daß das Getränk ein Schlafmittel enthielt. Wenn sie erwachten, würden sie annehmen, daß es Morgen sei, und würden ihren Marsch fortsetzen wollen. Um so größer war dann ihre Überraschung.
Plötzlich glaubte ich in einem der zurückgebliebenen kleinen Zelte eine Bewegung wahrzunehmen.
Ohne mir etwas anmerken zu lassen, wanderte ich weiter und sah mich im Lager um. Als ich hinter der Zeltwand außer Sichtweite war, schob ich mich ins Unterholz.
Gleich darauf entdeckte ich ein Panthermädchen im Zelt. Sie kniete am Boden, den Rücken zu mir. Sie hatte einen schußbereiten Bogen angelegt und suchte offenbar ein Ziel. Sie hatte sich schlafend gestellt, schien jedoch bei vollem Bewußtsein zu sein. Noch hatte sie keine Chance für einen guten, sicheren Schuß gehabt. Einen Fehlschuß durfte sie nicht riskieren. Andere Zelte und die hin und her wandernden Panthermädchen waren zwischen uns gewesen. Ich bewunderte sie. Was für eine mutige Frau! Andere waren geflohen. Sie war zurückgeblieben, um die ohnmächtigen Waldmädchen zu verteidigen.
Natürlich war das ein Fehler gewesen.
Von hinten umfing ich sie, und sie schrie entsetzt auf. Ich fesselte sie. »Wie heißt du?« fragte ich, als ich die Knoten auf ihrem Rücken festzog.
»Rissia.«
Ich schleppte sie zu den anderen Mädchen und legte sie in die Reihe.
Dann sah ich mich wieder im Lager um. Die bewußtlosen Panthermädchen lagen nun nebeneinander im Gras.
»Bringt die Arbeitssklavinnen zurück«, sagte ich.
Die Pagasklavinnen trieben die vier Mädchenpaare zusammen und befestigten sie wieder an der Sklavenkette.
Ich führte die Mädchen zur Seite, so daß sich das Ende der Sklavenkette neben dem bewußtlosen Mädchen befand und sie mühelos daran befestigt werden konnten.
Dann machte ich mich daran, die neuen Gefangenen zu sichern. Meine Sklavenketten, die ich aus zurückgelassenen Beständen der Tyrer hatte, reichten nicht mehr aus, so daß wir Lederschnüre zu Hilfe nehmen mußten. Schließlich waren sämtliche Gefangenen gefesselt und mit ihren Nachbarn verbunden. Ich blickte an der langen Reihe entlang.