Sie knieten vor dem Mann in der gelben tyrischen Tunika nieder, der am Strand auf sie wartete.
»Ist das jetzt genug?« fragte Cara, ohne den Kopf zu heben.
»O ja, es ist genug«, erwiderte ich.
Sie hoben verblüfft die Köpfe.
»Seid still!« sagte ich warnend.
»Du!« hauchte Cara.
»Herr!« flüsterte Tina mit weit aufgerissenen Augen.
»Wo ist der Wächter?« wollte Tina wissen.
»Er ist gestolpert und zu Boden gefallen. Dabei hat er sich wohl den Kopf an einem Stein gestoßen.«
Ich rechnete damit, daß er einige Stunden bewußtlos blieb.
»Ich verstehe«, sagte Cara lächelnd.
Er hatte nicht mit einem Angriff vom Meer her gerechnet. Am Strand lagen viele flache Kieselsteine herum – und sein Kopf war mit einem in Berührung gekommen.
»Du schwebst hier in großer Gefahr, Herr«, sagte Tina. »Du mußt fliehen.«
Ich blickte zur Palisade hinüber, die etwa zweihundert Meter entfernt war. Ich wischte mir den Sand von der rechten Hand. Dann sah ich Tina an.
»Im Lager sind über fünfzig Tyrer«, sagte sie.
»Genau sind es fünfundfünfzig, und hinzu kommt Sarus aus Tyros, der Anführer«, stellte ich fest.
Sie starrte mich verdattert an. »Du bist uns gefolgt«, sagte sie flüsternd.
»Du mußt fliehen!« drängte Cara.
Tina lächelte. »Ich glaube, das Risiko liegt jetzt eher bei den Tyrern«, sagte sie.
Ich blickte zu den Monden auf. Wir hatten fast die zwanzigste Stunde, den Beginn eines neuen goreanischen Tages. Ich mußte mich beeilen.
»Folgt mir«, sagte ich zu den beiden Sklavinnen.
Sie sprangen auf und schritten eilig mit mir über den Strand.
Hinter uns hörte ich jemand einen Namen rufen – zweifellos den Namen des Wächters, den ich niedergeschlagen hatte. Wahrscheinlich nahm man an, die Mädchen hätten den Wächter überlistet und ihn niedergeschlagen, um zu fliehen. Natürlich mußten sich die Tyrer darüber wundern, denn die Sklavinnen waren Stadtmädchen gewesen, die vor dem Wald Angst gehabt hatten.
Hinter uns flammten Fackeln auf. Die Suche nach dem Wächter begann.
Ich ging schneller. Die Mädchen versuchten Schritt zu halten. Das Holz ließen wir am Strand liegen. Die Tyrer mochten es ruhig für ihr Signalfeuer verwenden – es würde ihnen sowieso nichts mehr nützen.
Ich blickte zur Sonne auf. Wir hatten die goreanische Mittagsstunde, die zehnte Ahn.
Ich brach einen großen Zweig von einem umgestürzten Baum und zerrte ihn zu dem großen Holzstapel, den ich mit Caras und Tinas Hilfe aufgetürmt hatte.
Die beiden Sklavinnen waren sehr tüchtig gewesen.
»Fertig«, sagte ich schließlich.
Wir betrachteten das große Gebilde aus trockenen Ästen und Treibholz.
Die ganze Nacht hindurch waren wir unterwegs gewesen. Auch am Morgen hatten wir uns keine Pause gegönnt, sondern sofort mit dem Holzsammeln begonnen. Die beiden Mädchen hatten es nicht gewagt, mich nach meinen Absichten zu fragen. Mein Holzstapel befand sich etwa zwanzig Pasang südlich des Lagers der Tyrer.
Die Mädchen lächelten mich müde an.
»An den Waldrand«, sagte ich.
Zwischen den Bäumen richtete ich uns ein kleines Lager ein, von dem aus man den Strand überschauen konnte, der hier oben voller Steine war und erst zum Wasser hin einen sauberen Sandstreifen bot. Ich fesselte Tina an einen großen Baum, so daß sie das Meer überschauen konnte.
»Du hast die erste Wache«, sagte ich zu ihr. »Du gibst mir sofort Bescheid, wenn du ein Segel am Horizont siehst.«
»Ja, Herr«, sagte Tina.
Ich gab beiden Mädchen zu essen und zu trinken, legte auch Cara in Sklavenfesseln und hockte mich mit dem Rücken an einen Baumstamm.
Ich erinnerte mich an Cara, wie ich sie bei Samos zum erstenmal gesehen hatte. Sie hatte uns während unseres Spiels bedient. Rim, damals noch ein Sklave, hatte die Szene beobachtet.
Ich blickte zu Tina hinüber, die angestrengt auf das Meer hinausschaute. Es schien sehr lange her zu sein, daß sie mir in Lydius den Geldbeutel abgenommen hatte.
Ich legte mich auf das trockene Laub und blickte noch einen Augenblick zu den Zweigen und Blättern empor. Dann schlief ich schnell ein.
Am Nachmittag stand ich einmal auf, um Tina und Cara auszutauschen. Tina sollte später frisch und munter sein. Sie schlief ein, ehe ich sie richtig neben mir hingelegt hatte.
Als es dunkel geworden war, verließ ich mein Lager. Ich band Cara und Tina los und blickte zu den Monden empor. Dann schaute ich aufs Meer hinaus, eine riesige, ruhige Wasserfläche, die nun im Licht der Monde schimmerte.
Wahrscheinlich würden wir schon heute nacht zum Ziel kommen.
»Wie schön das Meer ist!« sagte Cara.
Ich trank etwas Wasser aus meiner Gürtelflasche und aß einige Streifen Tabukfleisch. Auch die Mädchen bekamen ihr Teil.
Dann sah ich mich um. Das Mondlicht würde noch etwa eine Ahn anhalten. Wie Tarns bewegten sich düstere Wolkenstreifen nach Süden. Sie verbargen die Sterne und verdunkelten den Himmel.
Am Strand jedoch herrschte Ruhe, die Ruhe einer lauen Frühsommernacht. Wenn es ein Unwetter gab, dann war es noch weit entfernt; wir sahen nur die rasch dahinziehenden Wolken. Bei uns war die Nacht ruhig und ziemlich warm – und irgendwo auf dem Thassa, noch verborgen durch die Krümmung des Horizonts, näherten sich die Rhoda und die Tesephone, ja sie mußten schon ganz in der Nähe sein.
Die Brandung des Thassa rauschte unermüdlich gegen den Strand, ein ewiges, unruhiges Geräusch.
»Es ist Zeit«, sagte ich zu meinen Sklavinnen.
Gemeinsam gingen wir den Strand hinab und näherten uns dem großen Scheiterhaufen, den wir aufgetürmt hatten.
Ich zog einen kleinen glatten Stein und eine flache Metallscheibe aus der Tasche. Dann machte ich Feuer und steckte den großen Holzstapel in Brand.
Goreanische Galeeren sind im allgemeinen nachts nicht unterwegs; es ist üblich, daß sich die Seeleute bei Dunkelheit einen geschützten Ort an der Küste suchen.
Doch wegen der Gefährlichkeit der Küste und der Wichtigkeit der Mission rechnete ich damit, daß die Rhoda und die Tesephone kein Strandlager aufgeschlagen hatten, wenn sie auch irgendwo vor Anker liegen mochten. Wäre ich der Kommandant der beiden Schiffe gewesen, hätte ich vor der Küste beigedreht und wäre nur an Land gegangen, um Wasser oder Frischfleisch zu beschaffen. Jedenfalls hätte ich eine goreanische Seemannsregel beachtet – auf jeden Fall in Sichtweite von der Küste zu bleiben. Die goreanische Galeere, ein Kraweelboot, lang und mit geringem Tiefgang, ist auf Kampfkraft und Geschwindigkeit gebaut, nicht für die Weiten des Thassa. Die viel kleineren Schiffe der Männer aus Torvaldsland, die überlappende gebogene Planken haben, sind weit seetüchtiger. Das ist auch unumgänglich, wenn sie in den unruhigen nördlichen Gewässern überleben wollen, wo es selten einen ruhigen Tag gibt. Ihre Schiffe haben einen weitaus größeren Tiefgang als unsere Galeeren, und sie sind auch widerstandsfähiger – weil sie nämlich elastischer auf den Wasserdruck reagieren. Sie müssen ständig ausgeschöpft werden und sind deshalb wenig für Frachten geeignet. Die Männer aus Torvaldsland stören sich daran jedoch nicht, weil sie sich ohnehin nicht als Kaufleute betrachten.
Sie haben übrigens viereckige Segel und – eine interessante Einzelheit – zwei Bugspriete, einen an jedem Ende. Dies erleichtert es ihnen, die Schiffe auf den Strand zu setzen – eine Eigenschaft, die in starker Brandung sehr vorteilhaft ist. Auch können die Ruderer, indem sie sich einfach auf ihren Bänken umdrehen, in Sekundenschnelle die Fahrtrichtung des Schiffes wechseln, ohne zu wenden. Natürlich gilt das nicht hundertprozentig, denn beispielsweise hat das Steuerruder, das sich auf der Steuerbordseite des Schiffes befindet, seine größte Wirkung, wenn sich das Schiff in der üblichen Richtung vorwärts bewegt. Trotzdem ist diese Wendigkeit zuweilen sehr nützlich. Zum Beispiel ist es sehr schwierig, ein Schiff aus Torvaldsland zu rammen – nicht nur wegen der geringen Größe, welche natürlich die Manövrierbarkeit und Geschwindigkeit erhöht, sondern besonders wegen der Fähigkeit, blitzschnell die Fahrtrichtung zu wechseln.