Marlenus sah sich um, blickte von einem Gesicht zum anderen.
Unsere Blicke begegneten sich.
»Befreit sie«, sagte Marlenus.
Sarus und seine Männer verloren ihre Ketten. Zwei Bahren wurden notdürftig zurechtgezimmert. Die Tyrer erhielten Vorräte und Medizin.
»Gebt Sarus sein Schwert zurück«, befahl ich.
Dies geschah, und auch die anderen Tyrer erhielten ihre Waffen ausgehändigt.
Sarus stand vor mir. »Du hast verloren, Sarus«, sagte ich.
Er sah mich an und nickte. »Wir beide haben verloren«, erwiderte er.
»Geh jetzt.«
Er machte kehrt, von seinen Männern gefolgt, von denen zwei auf Bahren getragen wurden. Wir sahen sie an der steinigen Küste im Süden verschwinden. Sie blickten nicht zurück.
»Zerstört das Lager!« befahl Marlenus.
Seine Männer traten sofort in Aktion und ließen die Balken in wirrem Haufen am Strand liegen. Dann kehrten sie zu ihrem Anführer zurück.
»Wir brechen jetzt auf«, sagte Marlenus und sah mich an. Er war wütend. »Wage es nicht, jemals wieder nach Ar zu kommen«, fügte er hinzu.
Ich schwieg. Ich wollte nicht mehr mit ihm sprechen.
Gefolgt von seinen Männern und Sklavinnen, zu denen nun auch Hura und Mira gehörten, verschwand er im Wald. Er würde in sein Lager nördlich von Laura zurückkehren, wo seine Tarns warteten.
Ich sah der Gruppe nach, bis sie verschwunden war.
Sein Kopf war verschont geblieben von dem Zeichen der Schande. Er hatte Hura und Mira errungen, zwei Panthermädchen, die ihn hatten versklaven wollen. Die Männer aus Tyros, die seinetwegen in den Wald eingedrungen waren, hatten die Expedition mit dem Leben bezahlt oder waren geschlagen. Sogar ihr Schiff war die Beute Bosks aus Port Kar geworden, der ihm geholfen hatte. Marlenus war in den Wald gezogen, um Verna gefangenzunehmen und Talena zu befreien. Das erste Ziel hatte er erreicht, hatte jedoch großzügig auf Verna verzichtet, nachdem er sie sexuell befreit hatte. Eine Geste, die eines Ubars würdig war. Was das zweite Ziel anging, so war ihm das nicht mehr wichtig, nachdem er seine Tochter verstoßen hatte. Nun war es allein seiner Entscheidung als Ubar überlassen, ob er eine ehemalige Bürgerin Ars loskaufte oder nicht.
Ich betrachtete die verstreuten Pfähle der Palisadenmauer.
»Thurnock«, sagte ich, »laß das Holz zusammentragen und damit einen großen Scheiterhaufen auftürmen.«
Sein Blick war traurig, als er mich ansah. »Aber niemand wird ihn sehen«, sagte er.
Ich wußte nicht, warum ich ein solches Feuer anzünden wollte und was die Flammen bedeuten sollten. Aber es war mir irgendwie wichtig. Ich wandte mich an Sheera, die neben mir kniete.
»Du hast dich im Lager der Tyrer vorzüglich geschlagen«, sagte ich. »Du bist frei.«
»Danke«, sagte sie. Tränen standen ihr in den Augen. Sie hatte gewußt, daß ich sie befreien würde.
»Ein Krüppel«, sagte ich, »braucht keine so schöne Sklavin mehr.«
Sie küßte meinen Arm. »Bosk aus Port Kar – ich empfinde tiefe Zuneigung dir gegenüber.«
»Möchtest du bei mir bleiben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
Ich nickte.
»Nein, Bosk«, sagte sie hastig. »Nicht, weil du verwundet bist.«
Ich sah sie fragend an.
»Die Männer verstehen doch so wenig!« sagte sie lachend und senkte den Kopf. »Die Männer sind Toren, doch die Frauen sind noch törichter – sie zu lieben.«
»Dann bleib bei mir«, sagte ich.
»Aber es war nicht mein Name, den du im Fieber gerufen hast«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Ich blickte über das Meer.
»Ich wünsche dir alles Gute, Bosk aus Port Kar«, sagte sie.
»Ich dir auch, Sheera«, erwiderte ich und spürte ihre Lippen an meiner Hand. Sie ging zu Thurnock, der ihr den Sklavenkragen abnahm. Marlenus hatte gesagt, der Wind steche ihm in die Augen. Jetzt stellte ich fest, daß er recht gehabt hatte.
»Rim«, sagte ich leise.
»Ja, Kapitän?«
»Du bist Kapitän der Rhoda«, sagte ich. »Bei Hochwasser lichten wir die Anker.«
»Jawohl, Kapitän.«
»Du weißt, was du tun mußt?«
»Ja. Ich werde die Tyrer, die an Bord gefangen sind, in Port Kar verkaufen.«
»Und sonst nichts?«
Er grinste. »Doch. Wir werden zuerst flußaufwärts nach Laura fahren. Dort müssen wir mit einem gewissen Hesius abrechnen, der Pagasklavinnen und präparierten Wein in unser Lager geschickt hat. Ich werde die Taverne auseinandernehmen. Seine Mädchen werden gefangen und in Port Kar verkauft.«
»Gut.«
»Und Hesius selbst?« fragte Rim.
»Seine Ersparnisse sollen unter den Armen von Laura verteilt werden. Er selbst darf nackt und arm in Laura bleiben«, sagte ich. »Er wird uns gute Dienste leisten, wenn er für ein paar Kupfermünzen immer wieder die Geschichte von der Rache der Port Karer erzählt.«
»Von nun an dürften unsere Schiffe in Laura sicher sein«, bemerkte Rim.
»Das hoffe ich.«
»Ich muß mich um die Vorbereitungen kümmern«, sagte er.
»Ja, geh deinen Pflichten nach, Kapitän«, nickte ich.
Rim, gefolgt von Cara, machte kehrt und ging zu einem Langboot.
»Der Scheiterhaufen ist bereit«, meldete Thurnock hinter mir.
Ich blickte zur Küste hinüber. Dort wartete ein gewaltiger Holzhaufen – Reihe um Reihe überkreuz gestapelter Palisadenpfähle.
»Schütte Öl darüber«, befahl ich.
»Jawohl, Kapitän.«
Ich saß oben am Strand, in Decken gehüllt, frierend. Ich blickte auf den Holzstapel. Das Feuer mußte fünfzig Pasang weit zu sehen sein.
»Bringt die Sklavin Rissia!« befahl ich. »Sie hat zu Huras Bande gehört.«
Ich hörte, wie Ilene die Sklavin zweimal mit der Peitsche antrieb, ehe das Mädchen vor mir auf dem Boden kniete.
»Diese Frau«, sagte ich zu Thurnock und deutete auf Rissia. »Blieb im Lager des Sarus zurück, als eine große Anzahl Panthermädchen vom Wein betäubt war. Sie hatte einen gespannten Bogen bei sich. Sie wollte ihre schlafenden Gefährtinnen beschützen.«
»Ich verstehe, Kapitän«, sagte Thurnock.
»Sie hätte mich umbringen können«, fuhr ich fort. »Was soll nun mit ihr geschehen?«
»Das liegt allein bei dir, Kapitän.«
»Ist ihre Tat nicht mutig zu nennen?«
»Allerdings, mein Kapitän«, sagte Thurnock.
»Befreie sie von ihren Fesseln.«
Grinsend gehorchte Thurnock.
»Meinen Dank, Kapitän«, flüsterte das Mädchen, sprang auf und verschwand mit schnellen Schritten im Wald.
»Zu mir!« sagte ich zu Ilene, die mich furchtsam ansah. »Dieses Mädchen wird an Bord der Tesephone in Ketten gelegt und zu Hause verkauft«, sagte ich zu Thurnock.
»Bitte, Herr!« flehte Ilene.
Sie wurde fortgeschleppt. Sie würde in Port Kar verkauft werden. Niemand wußte, wohin ihr neuer Herr sie führen würde – vielleicht in den Süden, nach Shendi oder Bazi, oder nach Norden, nach Torvaldsland, Scagnar oder Hunjer, oder über das Thassa nach Tabor oder Asperiche oder voskaufwärts in eine der Binnenstädte, nach Ko-ro-ba, Thentis, Tharna oder vielleicht sogar Ar. Ich blickte auf den Scheiterhaufen und wandte mich dann zur Tesephone.
»Tragt meinen Stuhl zum Langboot!« befahl ich.
Vier Seeleute wollten meinen Sitz anheben.
»Wartet!« sagte ich.
»Kapitän!« rief eine Stimme. »Ich habe zwei Frauen gefangen!«
Einer meiner Männer, der zur Bewachung des Strandes abgeteilt war, eilte herbei. Er schob zwei Mädchen vor sich her, die die Felle von Panthermädchen trugen. Ich kannte sie nicht.
»Die beiden haben uns bespitzelt«, sagte er.
»Nein«, sagte die eine. »Wir haben nur Verna gesucht!«
Und da wußte ich, wer die beiden Mädchen waren.
»Sprecht«, sagte ich.
»Wir standen in Vernas Diensten«, sagte die eine der beiden, »doch wir gehören nicht zu ihrer Bande.«
»Ihr hattet die Aufgabe, eine Sklavin zu bewachen?«
Sie sahen mich verblüfft an. »Ja.«