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Pater Roche legte Rosemund auf den Strohsack, und Eliwys deckte sie zu. »Wo ist mein Vater?« fragte Rosemund heiser durch die schnatternden Zähne. »Warum ist er nicht hier?«

Agnes kam vom Dachboden herunter. Sie würde jeden unbeobachteten Augenblick benutzen, um auf Rosemunds Strohsack zu klettern oder den Sekretär anzugaffen. Es mußte ein Mittel geben, um Agnes sicher von den Kranken fernzuhalten. Kivrin sah sich suchend um, dann zog sie Bänke heran, legte sie auf die Seiten und stellte sie zu einer Barrikade zusammen. Pater Roche und Eliwys kamen ihr zu Hilfe, und zusammen hoben sie die Tischplatte von den Schragen und lehnten sie gegen die Bänke.

Eliwys setzte sich zu Rosemund. Das Mädchen schlief, und der rötliche Widerschein des Herdfeuers spielte über ihr Gesicht und verlieh ihm den trügerischen Anschein von Gesundheit.

»Ihr müßt auch eine Maske tragen«, sagte Kivrin.

Eliwys nickte, rührte sich aber nicht von der Stelle. Sie strich Rosemund das wirre Haar zurück und sagte: »Sie war der Liebling meines Mannes.«

Rosemund verbrachte eine halbwegs ruhige Nacht und verschlief den halben Vormittag. Kivrin warf frische Scheite auf das Feuer und deckte dem Sekretär die Füße auf, damit sie die Hitze fühlten.

Während des Schwarzen Todes hatte der Leibarzt des Papstes diesen in einen Raum zwischen zwei große Feuer gesetzt, und er hatte nicht die Pest bekommen. Manche Historiker glaubten, die Hitze habe den Pestbazillus getötet, andere meinten, die Feuer hätten die Höhe von ihm ferngehalten. Wahrscheinlicher war, daß ihn die Isolation von seinen höchst ansteckenden Schäflein gerettet hatte, aber es lohnte sich, den Versuch zu machen. Alles lohnte einen Versuch, dachte sie, als sie die schlafende Rosemund beobachtete. Sie warf mehr Scheite ins Feuer.

Pater Roche ging die Morgenmesse lesen, obwohl der Vormittag schon weit fortgeschritten war. Die Glocke machte Agnes munter, die im Arm ihrer Mutter wieder eingeschlafen war. Nun rannte sie zur Barrikade. »Wer hat die Bänke aufeinandergestellt?«

»Du darfst nicht an diesem Zaun vorbei«, sagte Kivrin, die einen guten Schritt hinter der Barrikade stand. »Du mußt bei deiner Mutter bleiben oder zu deiner Großmutter gehen.«

Agnes stieg auf eine Bank und spähte über die Tischplatte. »Ich sehe Rosemund«, sagte sie. »Ist sie tot?«

»Sie ist sehr krank«, sagte Kivrin in ernstem Ton. »Du darfst uns nicht nahekommen. Geh und spiel mit deinem Wagen.«

»Ich möchte zu Rosemund«, sagte sie und hob ein Bein über die aufgestellte Tischplatte.

»Nein!« rief Kivrin. »Geh und setz dich zu deiner Großmutter!«

Agnes starrte sie verblüfft an, dann brach sie in Tränen aus. »Ich möchte zu Rosemund!« quengelte sie, ging dann aber hinüber und setzte sich schmollend neben Imeyne.

Pater Roche kam zurück. »Ulfs älterer Sohn ist krank«, sagte er. »Er hat die Beulen.«

Im Laufe des Vormittags wurden zwei weitere Fälle gemeldet, und einer am Nachmittag. Dieser war die Frau des Verwalters. Alle hatten Pestbeulen oder kleine, samenkornähnliche Gewächse an den Lymphdrüsen, bis auf die Frau des Verwalters.

Kivrin ging mit Pater Roche zu ihr. Sie stillte ihren Säugling. Das schmale, scharfgeschnittene Gesicht wirkte jetzt spitz, und sie hatte tiefe Schatten unter den Augen. Sie hustete oder erbrach nicht, und Kivrin hoffte, daß die Beulen sich einfach noch nicht entwickelt hatten. »Tragt Leinenbinden als Masken vor Mund und Nase«, instruierte sie den Verwalter. »Gebt dem Säugling Milch von der Kuh. Haltet die Kinder von ihr fern.« Sie hatte keine Hoffnung. Sechs Kinder in zwei kleinen Räumen. Lieber Gott, betete sie, laß es nicht die Lungenpest sein. Laß sie nicht alle krank werden.

Wenigstens war Agnes sicher. Sie war nicht mehr in die Nähe der Barrikade gekommen, seit Kivrin sie angefahren hatte. Sie hatte eine Weile bei ihrer Großmutter gesessen und Kivrin mit einer finsteren Miene angestarrt, die so wild war, daß es unter anderen Umständen komisch gewesen wäre, dann war sie zum Dachboden hinaufgestiegen, um ihren Wagen zu holen. Sie setzte sich damit an den großen Tisch und vertiefte sich in ihr Spiel.

Als Rosemund erwachte, bat sie mit heiserer Stimme um Wasser, und sobald Kivrin es ihr gegeben hatte, schlief sie ruhig wieder ein. Selbst der Sekretär schlief, und das leise Röcheln seines Atmens hörte sich wie Schnarchen an. Kivrin setzte sich neben Rosemund, dankbar für die Ruhepause.

Sie hätte aufstehen und Pater Roche mit den Kindern des Verwalters helfen sollen, wenigstens Sorge tragen, daß der Mann die Maske trug und sich die Hände wusch, aber sie fühlte sich plötzlich zu müde und erschöpft, um sich vom Fleck zu rühren. Wenn ich mich nur eine Minute hinlegen könnte, dachte sie, würde mir vielleicht etwas einfallen.

»Ich möchte Blackie sehen«, sagte Agnes.

Kivrin fuhr auf und herum, aufgeschreckt aus dem Zustand des Einnickens. Agnes hatte ihren roten Umhang und die Haube angelegt und stand der Barrikade so nahe wie sie sich traute. »Du hast versprochen, daß du mich zum Grab führen würdest, daß ich sehen kann, wo mein Hund ist.«

»Leise, du wirst deine Schwester wecken.«

Agnes fing an zu weinen, nicht das laute Winseln, das sie einsetzte, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte, sondern ein stilles Schluchzen. Auch sie hatte ihre Grenzen erreicht, dachte Kivrin. Den ganzen Tag alleingelassen, Rosemund und Pater Roche und ich unzugänglich, alle anderen beschäftigt und zerstreut und ängstlich. Armes Ding.

»Du hast es versprochen«, sagte Agnes mit bebenden Lippen.

»Ich kann dich jetzt nicht zu deinem Blackie bringen«, sagte Kivrin freundlich, »aber ich werde dir eine Geschichte erzählen. Wir müssen es aber sehr leise machen.« Sie legte den Finger an die Lippen. »Wir dürfen Rosemund oder den Sekretär nicht wecken.«

Agnes wischte sich die tropfende Nase mit dem Handrücken. »Erzählst du mir die Geschichte von dem Mädchen im Wald?« fragte sie in ihrem Bühnenflüstern.

»Ja.«

»Darf mein Wagen zuhören?«

»Ja«, flüsterte Kivrin, und Agnes rannte durch die Diele, um das kleine Spielzeugfuhrwerk zu holen, lief damit zurück und kletterte auf die Bank, bereit, die Barrikade zu erklimmen.

»Du mußt am Boden neben der Tischplatte sitzen«, sagte Kivrin, »und ich werde hier auf der anderen Seite sitzen.«

»Dann kann ich dich nicht hören«, sagte Agnes, und ihre Miene umwölkte sich wieder.

»Bestimmt wirst du mich hören, wenn du ganz still bist.«

Agnes stieg von der Bank und setzte sich an die Tischplatte, stellte den Wagen neben sich auf den Fußboden. »Du mußt ganz still sein«, sagte sie zu ihm.

Nach einem Blick zu ihren Patienten lehnte Kivrin sich von der anderen Seite gegen die Tischplatte und schloß erschöpft die Augen.

»In einem fernen Land«, fing Agnes an.

»In einem fernen Land war einmal ein kleines Mädchen. Es wohnte am Rand eines großen Waldes…«

»Der Vater sagte: ›Geh nicht in den Wald‹, aber sie war unartig und hörte nicht auf ihn«, sagte Agnes.

»Sie war unartig und hörte nicht«, sagte Kivrin. »Sie warf ihren Umhang über die Schultern…«

»Ihren roten Umhang mit einer Kapuze«, sagte Agnes. »Und sie ging in den Wald, obwohl ihr Vater gesagt hatte, daß sie es nicht tun sollte.«

Obwohl ihr Vater gesagt hatte, daß sie es nicht tun sollte. »Es wird mir an nichts fehlen«, hatte sie Mr. Dunworthy gesagt. »Ich kann auf mich achtgeben.«

»Sie hätte nicht in den Wald gehen sollen, oder?« sagte Agnes.

»Sie wollte sehen, was es dort gab. Sie dachte, sie würde nur ein kleines Stück gehen«, sagte Kivrin.