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Wieder erhitzte sie Wasser und bereitete Lappen vor, um sie naß aufzulegen, doch obwohl das Wasser lauwarm war, schrie Rosemund schon bei der ersten Berührung. Kivrin mußte zu kaltem Wasser zurückkehren, was nicht half. Sie konnte tun, was sie wollte, dachte sie, als sie den nassen kalten Umschlag gegen Rosemunds Achselhöhle hielt, nichts davon taugte.

Sie mußte den Absetzort finden, es war die einzige Hoffnung. Aber die Wälder erstreckten sich meilenweit, mit Tausenden von Eichen, Dutzenden von Lichtungen. Ohne Anleitung würde sie die Stelle niemals finden. Und sie konnte Rosemund nicht verlassen.

Vielleicht würde Gawyn umkehren. In einigen Städten hatte man die Tore geschlossen — es war möglich, daß sie ihn nicht einlassen würden, oder vielleicht begegnete er unterwegs Leuten aus Bath und begriff, daß der Hausherr tot sein mußte. Komm zurück, dachte sie inständig, beeil dich! Komm zurück!

Sie machte sich abermals über Imeynes Kräuter her und kostete vom Inhalt der Beutel, die sie nicht zu deuten wußte. Das gelbe Pulver war Schwefel. Auch den hatten mittelalterliche Ärzte in Epidemien verwendet, ihn verbrannt, um die Luft durchzuräuchern, und sie erinnerte sich, gelesen zu haben, daß Schwefel tatsächlich gewisse Bakterien abtötete, doch ob dies nur in den schwefligen Verbindungen der Fall war, erinnerte sie nicht. Immerhin schien die Methode sicherer als das Aufschneiden der Pestbeulen.

Sie streute versuchsweise ein wenig ins Feuer, und gleich darauf entstand eine gelbe Wolke, die sich ausbreitete und sogar durch die Stoffmaske in Kivrins Kehle brannte. Der Sekretär schnappte nach Luft, und Imeyne bekam in ihrem Winkel einen trockenen Hustenanfall.

Kivrin hatte angenommen, der Geruch von faulen Eiern werde sich in ein paar Minuten verflüchtigen, aber der gelbe Rauch hing wie Dunstschwaden in der Luft und brannte in Augen und Kehle. Maisry lief, in ihre Schürze hustend, auf den Hof hinaus, und Eliwys zog sich mit Imeyne und Agnes auf den Dachboden zurück, um dem beißenden Gestank zu entgehen.

Kivrin öffnete die Tür, und fächelte die Luft mit einem der Küchentücher, und nach einer Weile klärte sich die Luft ein wenig, obwohl Kivrins Kehle noch immer wie ausgedörrt brannte. Der Sekretär hustete weiter, doch hatte er dies auch vorher getan. Aber Rosemund kam zur Ruhe, und ihr Puls verlangsamte sich, bis Kivrin ihn kaum noch fühlen konnte.

Pater Roche kam hüstelnd herein.

»Es ist der Schwefel«, sagte sie. »Rosemund geht es schlechter. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe alles versucht.«

Er beugte sich über die Kranke und hielt ihr das heiße, trockene Handgelenk, dann ging er wieder hinaus, und Kivrin nahm es als ein gutes Zeichen. Er hätte Rosemund nicht verlassen, wenn es wirklich schlecht um sie stünde.

Doch kurze Zeit später kam er in seinem Meßgewand zurück und brachte das Öl und das Abendmahl für die Sterbesakramente.

»Was gibt es?« fragte Kivrin. »Ist die Frau des Verwalters gestorben?«

Er schüttelte den Kopf und blickte an ihr vorbei zu Rosemund.

»Nein«, brach es aus Kivrin hervor. Sie sprang auf, um zwischen ihn und Rosemund zu treten. »Ich kann es nicht zulassen.«

»Sie darf nicht ohne Beichte und letzte Ölung sterben.«

»Rosemund stirbt nicht!«

Aber sie sah bereits tot aus; ihre vom Fieber schorfigen Lippen waren halb geöffnet, ihre Augen starr und wie blind. Ihre Haut hatte eine gelbliche Tönung angenommen und war straff über ihr schmales Gesicht gespannt. Nein, dachte Kivrin in Verzweiflung. Ich muß etwas tun, um dies zu verhüten. Sie ist erst zwölf.

Pater Roche kam mit dem Kelch zu ihr, und Rosemund hob den Arm wie in einer Bitte und ließ ihn wieder fallen.

»Wir müssen die Pestbeule öffnen«, sagte Kivrin. »Wir müssen das Gift herauslassen.«

Sie dachte, er werde sich weigern und darauf bestehen, zuerst Rosemunds Beichte zu hören, aber er tat es nicht. Er stellte den Kelch und das Salbölgefäß auf die Steinplatten und ging ein Messer holen.

»Ein scharfes«, rief sie ihm nach.

»Und bringt Wein mit.« Sie stellte den Wassertopf wieder aufs Herdfeuer. Als er mit dem Messer zurückkam, wusch sie es mit Wasser aus dem Eimer und kratzte den verkrusteten Schmutz nahe dem Heft mit den Fingernägeln weg. Sie hielt das Messer ins Feuer, dann übergoß sie die Klinge mit kochendem Wasser, dann mit Wein und wieder mit dem Wasser.

Sie zogen Rosemunds Strohsack näher zum Feuer, um für die Operation so viel Licht wie möglich zu haben, und Pater Roche kniete bei Rosemunds Kopf nieder.

Kivrin zog ihr den Arm behutsam aus dem Hemd und bündelte den Stoff und schob ihn als ein zusätzliches Kissen unter sie. Roche ergriff ihren Arm und drehte ihn so, daß die Anschwellung bloßgelegt war.

Sie war beinahe von der Größe eines Apfels, und ihr ganzes Schultergelenk war entzündet und geschwollen. Die Ränder der Beule waren weich und beinahe schwammig, aber die Mitte war noch hart.

Kivrin entkorkte den Krug Wein, den Roche gebracht hatte, goß etwas auf ein Stück Stoff und tupfte die Beule vorsichtig damit ab. Sie fühlte sich wie ein Stein an, eingebettet in Gelatine. Es war zweifelhaft, ob das Messer überhaupt hineinschneiden würde.

Sie nahm das Messer zur Hand, befühlte die Schneide und hielt es über die Anschwellung, in Angst, eine Arterie anzuschneiden, die Infektion auszubreiten, es schlimmer zu machen.

»Sie ist über Schmerz hinaus«, sagte Pater Roche.

Kivrin blickte auf die Kranke. Sie hatte sich nicht bewegt, nicht einmal als Kivrin auf die Beule gedrückt hatte. Sie starrte an beiden vorbei auf etwas Schreckliches, wie eine furchtbare Vision. Ich kann es nicht schlimmer machen, dachte Kivrin. Selbst wenn ich sie umbringe, ich kann es nicht schlimmer machen.

»Haltet ihr den Arm«, sagte sie, und Pater Roche drückte ihren Arm mit beiden Händen flach gegen den Boden. Rosemund rührte sich noch immer nicht.

Zwei schnelle, saubere Schnitte, dachte Kivrin. Sie holte tief Luft und setzte das Messer an die Beule.

Rosemunds Arm verkrampfte sich, ihre Schulter suchte sich dem Messer zu entziehen, die dünne Hand ballte sich zur Faust. »Was tut Ihr?« stieß sie heiser hervor. »Ich werde es meinem Vater sagen.«

Kivrin zog das Messer zurück. Pater Roche drückte den Arm wieder gegen den Boden, und Rosemund versuchte mit der anderen Hand nach ihm zu schlagen.

»Ich bin die Tochter Guillaume d’Iveries«, sagte sie. »Ihr könnt mich nicht so behandeln.«

Kivrin zog sich aus ihrer Reichweite zurück und stand auf, bemüht, das Messer von jeder Berührung freizuhalten. Pater Roche beugte sich vor und hielt beide Handgelenke des Mädchens mühelos mit einer Hand nieder. Rosemund zappelte und stieß schwächlich mit dem Fuß nach Kivrin. Der Kelch fiel um, und Wein ergoß sich in einer dunklen Pfütze auf die Steinplatten.

»Wir müssen sie binden«, sagte Kivrin und sah, daß sie das Messer wie zum Zustoßen in die Höhe hielt. Wie eine Mörderin. Sie wickelte es in einen der Leinenstreifen, die Eliwys gerissen hatte, und gab Pater Roche einen weiteren Streifen, mit dem er Rosemund die Handgelenke über dem Kopf zusammenband, während Kivrin ihr die Fußknöchel an das Bein einer der umgelegten Bänke band. Rosemund wehrte sich nicht, aber als Roche ihr das Hemd wieder von der Schulter zog, sagte sie: »Ich kenne dich. Du bist der Wegelagerer, der Katherine überfiel.«

Pater Roche hielt ihre Arme nieder, und Kivrin beugte sich über die Kranke und schnitt die Beule auf.

Blut sickerte hervor, kam dann in einem Schwall, und Kivrin dachte in einem schreckerfüllten Augenblick, sie habe eine Arterie getroffen. Sie und Roche griffen gleichzeitig zu den bereitgelegten Stoffstreifen, und drückten ein Bündel davon gegen die Wunde. Das Leinen sog sich augenblicklich voll, und als sie den Stoff wegnahm, um das Bündel auf die Schnittwunde zu drücken, das Pater Roche ihr reichte, sah sie das Blut aus der Wunde sprudeln. Sie drückte das zweite Stoffbündel darauf, und als dieses durchtränkt war, den Saum ihres Überrockes. Rosemund wimmerte, ein kleines, hilfloses Geräusch wie von Agnes’ Welpen, und schien in sich zusammenzusinken.