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Ich habe sie umgebracht, dachte Kivrin.

»Ich kann die Blutung nicht stillen«, sagte sie, aber sie hatte bereits aufgehört. Sie zählte stumm bis hundert, dann hob sie vorsichtig den Rocksaum von der Wunde.

Noch immer quoll Blut aus dem Schnitt, aber es war vermischt mit dickem, gelblichgrauem Eiter. Pater Roche wollte ihn wegtupfen, aber Kivrin hielt seinen Arm zurück. »Nein, es ist voll von Pestkeimen«, sagte sie. »Ihr dürft es nicht berühren.«

Mit dem blutdurchtränkten Stoff wischte sie den eklig aussehenden Eiter fort. Er sickerte nach, gefolgt von einem wässerigen Serum. »Ich glaube, das ist alles«, sagte sie zu Pater Roche. »Gebt mir den Wein.« Sie sah sich nach einem reinen Stoffstreifen um, um ihn darauf zu gießen.

Es war keiner mehr da. Sie hatten alle aufgebraucht, um die Blutung zu stillen. Sorgsam neigte sie den Weinkrug und ließ die dunkle Flüssigkeit in die Schnittwunde tröpfeln. Rosemund regte sich nicht. Ihr Gesicht war grau, als sei sie gänzlich ausgeblutet. Und beinahe so war es. Kivrin grämte sich, daß sie ihr keine Transfusion geben konnte. Aber sie hatte nicht einmal einen reinen Lappen.

Pater Roche band Rosemunds Hände los. Er nahm ihre schlaffe Hand in seine großen Hände und nickte. »Ihr Herz schlägt jetzt kräftig.«

»Wir brauchen mehr Leinen«, sagte Kivrin. Sie schluchzte, mit ihrer Nervenkraft am Ende.

»Mein Vater wird Sorge tragen, daß ihr dafür gehängt werdet«, murmelte Rosemund.

ABSCHRIFT AUS DEM DOOMSDAY BOOK
(071145–071862)

Rosemund ist bewußtlos. Gestern abend versuchte ich ihre Pestbeule aufzuschneiden und die Infektion abzuleiten, doch fürchte ich, daß ich die Dinge nur schlechter machte. Sie verlor viel Blut, und nun ist sie sehr bleich, der Puls so schwach, daß ich ihn in ihrem dünnen Handgelenk nicht finden kann.

Der Zustand des Sekretärs hat sich gleichfalls verschlechtert. Die Blutergüsse breiten sich aus, und es wird deutlich, daß er nicht mehr lange zu leben hat. Ich erinnere mich, daß Dr. Ahrens sagte, eine unbehandelte Beulenpest führe in vier bis fünf Tagen zum Tode, aber er wird kaum so lang aushalten.

Eliwys, Imeyne und Agnes sind noch gesund, doch scheint Imeyne in ihrem krankhaften Bestreben, Schuldige zu finden, allmählich den Verstand zu verlieren. Heute früh schlug sie auf Maisry ein und schrie, Gott bestrafe uns alle für ihre Faulheit und Dummheit.

Maisry ist faul und dumm, das läßt sich nicht leugnen. Man kann Agnes keine fünf Minuten ihrer Obhut anvertrauen, und als ich sie heute früh Wasserholen schickte, um Rosemund zu säubern, blieb sie länger als eine halbe Stunde aus und kam ohne Wasser zurück.

Ich sagte nichts. Ich wollte nicht, daß Frau Imeyne sie ein weiteres Mal prügelte, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die alte Frau mich zur Zielscheibe ihrer Schuldzuweisungen machen wird. Ich sah, daß sie mich über ihr aufgeschlagenes Stundenbuch hinweg beobachtete, als ich das Wasser holen ging, das Maisry vergessen hatte, und ich kann mir gut vorstellen, was sie dachte — daß ich zuviel über die Pest weiß, um nicht vor ihr geflohen zu sein, daß ich mein Gedächtnis verloren habe, um Fragen nach meiner Identität vorzubeugen, daß ich nicht verletzt, sondern krank war.

Wenn sie auf solche Anschuldigungen verfällt, muß ich damit rechnen, daß sie Eliwys überzeugen wird, ich sei die Ursache, und statt auf meine ketzerischen Reden zu hören, sollten sie die Barrikade forträumen und zusammen Gott um Verschonung bitten.

Und wie soll ich mich verteidigen? Indem ich sage, daß ich aus der Zukunft komme, wo wir alles über die Pest wissen, nur nicht, wie sie ohne Tetracyclin geheilt werden kann und wie wir wieder zurückkommen können?

Gawyn ist bisher ausgeblieben. Eliwys sagt nichts, doch muß sie vor Sorge am Verzweifeln sein. Als Pater Roche den Hof verließ, um die Vesperglocke zu läuten und zu beten, stand sie ohne Umhang und Kopftuch am Tor und sah auf die Straße hinaus. Ich frage mich, ob ihr der Gedanke gekommen sein mag, daß er die Krankheit schon in sich hatte, als er nach Bath ritt. Er begleitete den Gesandten des Bischofs nach Courcy, und als er zurückkam, wußte er bereits von der Pest.

(Unterbrechung)

Der Dorfvorsteher Ulf ist dem Tod nahe, und seine Frau und einer seiner Söhne sind an der Pest erkrankt. Keine Beulen, aber die Frau hat mehrere kleine Anschwellungen wie Samenkörner an der Innenseite der Schenkel. Pater Roche muß ständig erinnert werden, seine Maske zu tragen und die Kranken nicht mehr als unbedingt nötig zu berühren.

Die Geschichtsdarstellungen schreiben den Zeitgenossen blinde Panik und feiges Verhalten während des Schwarzen Todes zu. Sie bemängeln, daß die Menschen davonliefen, die Kranken im Stich ließen, statt sie zu pflegen, und daß die Priester am schlimmsten von allen gewesen seien, aber nach meinen Beobachtungen ist es ganz und gar nicht so.

Alle sind in Angst und Schrecken, aber die armen Leute tun, was sie können, und Pater Roche ist bewundernswert. Während ich die Frau des Dorfvorstehers untersuchte, saß er bei ihr und hielt ihre Hand und tröstete sie, und er schreckt nicht vor den niedrigsten und widerwärtigsten Arbeiten zurück — offene Pestbeulen waschen, Nachttöpfe ausleeren, den Sekretär waschen. Er scheint keine Furcht zu kennen. Ich weiß nicht, woher er seinen Mut nimmt.

Dabei vernachlässigt er seine geistlichen Pflichten nicht. Er hält die Morgen- und Abendandachten, liest jeden Tag die Messe und betet, berichtet Gott von Rosemund und wer neuerlich erkrankt ist, erläutert ihre Symptome und sagt, was wir für sie tun, als ob Er ihn wirklich hören könnte. So wie er zu mir spricht.

Ist Gott auch da, frage ich mich, aber von uns getrennt durch etwas Schlimmeres als die Zeit, etwas Undurchdringliches, so daß er uns nicht finden kann?

(Unterbrechung)

Wir können die Pest jetzt hören. In den Dörfern wird zu jedem Begräbnis die Totenglocke geläutet, neun Schläge für einen Mann, drei für eine Frau, einer für ein Kind. Esthcote hatte heute vormittag zwei Begräbnisse, und die Glocke von Osney ist seit gestern kaum verstummt. Die Glocke im Südwesten, die ich bei meiner Ankunft hören konnte, ist verstummt. Ich weiß nicht, ob das bedeutet, daß die Pest dort erloschen ist oder ob niemand übrig geblieben ist, die Glocke zu läuten.

(Unterbrechung)

Lieber Gott, bitte laß Rosemund nicht sterben. Bitte laß nicht zu, daß Agnes angesteckt wird. Und laß Gawyn zurückkehren.

28

Der Junge, der vor Kivrin fortgelaufen war, als sie, von Krankheit geschwächt, den Absetzort gesucht hatte, wurde in der Nacht pestkrank. Seine Mutter stand vor der Kirchentür und wartete auf Pater Roche, als er am Morgen kam, die Frühmesse zu halten. Der Junge hatte eine Pestbeule am Rücken, und Kivrin schnitt sie auf, während Roche und die Mutter ihn festhielten.

Sie tat es widerstrebend. Der Junge war mager, von Skorbut geschwächt, und Kivrin hatte keine Ahnung, ob unter den Schulterblättern Arterien verliefen. Rosemunds Zustand schien sich nicht gebessert zu haben, obgleich Pater Roche behauptete, ihr Puls sei kräftiger. Sie war so weiß, als wäre kein Tropfen Blut mehr in ihr, und so still. Und der Junge sah nicht so aus, als ob er einen Blutverlust überstehen könnte.