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Sie war bei der Statue der heiligen Katharina, kauerte in ihrem roten Umhang und der Haube an den rauhen Stein der Statue geschmiegt zwischen den kalten Talgkerzen, die Augen groß und ängstlich. Ihr Gesicht war gerötet und von Tränen naß. »Kivrin!« rief sie und warf sich ihr in die Arme.

»Was machst du hier, Agnes?« Kivrin war vor Erleichterung zornig und glücklich zugleich. Sie drückte den kleinen Körper fest an sich. »Überall haben wir dich gesucht.«

Sie barg ihr nasses Gesicht an Kivrins Hals. »Versteckt«, sagte sie. »Ich nahm den Wagen mit, um ihm meinen Hund zu zeigen, und fiel hin.« Sie wischte sich mit der Hand die Nase. »Ich rief und rief dich, aber du kamst nicht.«

»Ich wußte ja nicht, wo du warst, Kindchen«, sagte Kivrin, ihr das Haar streichelnd. »Warum bist du in die Kirche gekommen?«

»Ich versteckte mich vor dem bösen Mann.«

»Welchem bösen Mann?« fragte Kivrin stirnrunzelnd.

Die schwere Kirchentür wurde wieder aufgestoßen, und Agnes umklammerte Kivrins Hals mit ihren kleinen Armen. »Es ist der böse Mann!« flüsterte sie angstvoll.

»Pater Roche!« rief Kivrin. »Ich habe sie gefunden. Sie ist hier.« Die Tür wurde geschlossen, und sie hörte seine Schritte näherkommen. »Es ist Pater Roche«, sagte sie zu Agnes. »Auch er hat dich gesucht. Wir wußten nicht, wohin du gegangen warst.«

Ihre Umklammerung lockerte sich ein wenig. »Maisry sagte, der böse Mann würde kommen und mich holen.«

Pater Roche kam in der Dunkelheit heran, schnaufend wie ein Tier, und Agnes barg ihr Gesicht wieder an Kivrins Hals. »Ist sie krank?« fragte seine besorgte Stimme.

»Ich glaube nicht«, antwortete Kivrin. »Aber durchgefroren.« Sie öffnete ihren Umhang und schlug ihn um Agnes.

»Ich versteckte mich vor dem bösen Mann«, sagte Agnes zu ihm.

»Welchem bösen Mann?« fragte Pater Roche.

»Vor dem bösen Mann, der dich in die Kirche jagte«, sagte sie. »Maisry sagte, er kommt und holt einen und macht, daß man die Blaukrankheit bekommt.«

»Es gibt keinen bösen Mann«, sagte Kivrin und nahm sich vor, Maisry zu schütteln, bis sie mit den Zähnen rasselte. Sie stand auf. Agnes Arme schlossen sich fester um sie.

Pater Roche öffnete die Tür zur Sakristei, und Kivrin folgte ihm hinaus und ins Freie.

»Maisry sagte, er hat meinen Hund«, sagte Agnes. Sie fröstelte. »Aber er hat mich nicht gekriegt. Ich versteckte mich.«

Kivrin dachte an den schwarzen kleinen Hund, schlaff in ihren Händen. Nein, dachte sie und trug Agnes mit schnellen Schritten über den verschneiten Dorfanger zurück. Agnes fröstelte nur, weil sie zu lange in der eiskalten Kirche ausgeharrt hatte. Ihr Gesicht drückte sich heiß gegen Kivrins Hals. Das ist nur vom Weinen, sagte sich Kivrin und fragte sie, ob sie Kopfschmerzen habe.

Agnes schüttelte oder nickte an Kivrins Hals und wollte nicht antworten. Nein, dachte Kivrin und ging schneller, begleitet von Pater Roche, vorbei am Haus des Verwalters und in die Zufahrt zum Hof.

»Ich bin nicht in den Wald gegangen«, sagte Agnes, als sie am Haus anlangten. »Das böse Mädchen ging hinein, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Kivrin, trug sie zum Herdfeuer. »Aber es ging alles gut aus. Der Vater fand sie und brachte sie heim. Und sie lebten froh und zufrieden.« Sie setzte Agnes auf die Bank, kniete bei ihr nieder und band ihren Umhang los.

»Und sie ging nie wieder allein in den Wald«, sagte sie.

»Nie wieder.« Kivrin zog ihr die nassen Schuhe und Strümpfe aus. »Du mußt dich hinlegen«, sagte sie und breitete den Umhang neben dem Feuer aus. »Ich werde dir warme Suppe bringen.« Agnes legte sich gehorsam auf den Umhang, und Kivrin schlug die Seiten davon über sie.

Sie brachte ihr Suppe, aber Agnes wollte keine und schlief beinahe sofort ein.

»Sie hat sich erkältet«, sagte sie beinahe heftig zu Eliwys. »Sie war den ganzen Nachmittag draußen. Sie hat sich erkältet.« Aber nachdem Pater Roche gegangen war, das Vespergebet zu sagen, deckte sie Agnes auf und fühlte unter ihren Armen, an den Leisten und drehte sie sogar um und suchte zwischen den Schulterblättern nach einer Beule, wie sie sie bei dem Jungen gesehen hatte.

Pater Roche war nicht gegangen, die Vesperglocke zu läuten. Er kam mit einer zerrissenen wollenen Bettdecke zurück, die offensichtlich von seinem eigenen Bett war, legte sie zu einer Art Matratze zusammen und hob Agnes darauf.

Die anderen Vesperglocken läuteten. Oxford und Godstow und die Glocke aus dem Südwesten. Den Doppelschlag der beiden Glocken von Courcy konnte Kivrin nicht hören. Sie blickte besorgt zu Eliwys, die aber nicht darauf zu hören schien; sie saß auf der anderen Seite des Herdfeuers bei Rosemund und blickte zum Durchgang.

Die Glocken verstummten eine nach der anderen, und dann fingen die Glocken von Courcy zu läuten an. Sie klangen seltsam, gedämpft und langsam. Kivrin blickte fragend zu Pater Roche. »Ist es ein Totengeläute?«

»Nein. Es ist ein heiliger Tag.«

Sie hatte den Ablauf der Tage aus dem Auge verloren. Der bischöfliche Gesandte war am Weihnachtsmorgen abgereist, und am Nachmittag hatte sie entdeckt, daß der zurückgebliebene Sekretär an der Pest erkrankt war, und von da an schien alles wie ein endloser Tag. Vier Tage, dachte sie, vier Tage sind vergangen.

Sie hatte zu Weihnachten kommen wollen, weil es in dieser Zeit so viele Feiertage gab, daß selbst die Bauern wissen würden, welcher Tag es war, und sie den Rückholtermin nicht versäumen konnte. Gawyn ist nach Bath geritten, Hilfe zu holen, Mr. Dunworthy, dachte sie bei sich, und der Gesandte des Bischofs hat alle Pferde mitgenommen, und ich weiß noch immer nicht, wo der Absetzort war.

Auf einmal stand Eliwys auf und hob lauschend den Kopf. »Sind das nicht die Glocken von Courcy?« fragte sie Pater Roche.

»Ja«, sagte er. »Fürchtet nichts. Es ist das Fest der Unschuldigen Kinder.«

Das Fest der Unschuldigen Kinder, dachte Kivrin und ließ den Blick auf Agnes ruhen. Sie schlief fest und zitterte nicht mehr, fühlte sich aber noch heiß an.

Die Köchin rief etwas, und Kivrin umging die Barrikade zu ihr. Sie saß auf ihrem Strohsack und bemühte sich, in die Höhe zu kommen. »Muß nach Haus gehen«, sagte sie.

Kivrin überredete sie, sich wieder hinzulegen, und brachte ihr einen Trunk Wasser. Der Eimer war nahezu leer, und sie hob ihn auf und wollte mit ihm hinaus.

»Sagt Kivrin, daß sie zu mir kommen soll«, sagte Agnes. Sie setzte sich auf.

Kivrin stellte den Eimer ab und kam. »Ich bin hier«, sagte sie und kniete neben ihr nieder. »Ich bin bei dir.«

Agnes schaute sie an, das Gesicht gerötet und zornig. »Der böse Mann wird mich holen, wenn Kivrin nicht kommt«, sagte sie. »Sagt ihr, sie soll jetzt kommen.«

ABSCHRIFT AUS DEM DOOMSDAY BOOK
(073453–074912)

Ich habe den Rückholtermin verpaßt. Das Gefühl für den Ablauf der Tage ist mir abhanden gekommen. Ich mußte Rosemund pflegen und mich um andere Kranke kümmern, und mußte Agnes suchen, und ich wußte immer noch nicht, wo der Absetzort war.

Sie müssen krank vor Sorge sein, Mr. Dunworthy. Wahrscheinlich denken Sie, ich sei unter Halsabschneider und Mörder gefallen. Nun, so ist es. Und jetzt haben sie Agnes.

Sie hat Fieber, aber keine Pestbeulen, und sie hustet oder erbricht nicht. Nur das Fieber. Es ist sehr hoch — sie erkennt mich nicht und ruft ständig nach mir. Pater Roche und ich versuchten, sie mit kalten Kompressen zu behandeln und das Fieber zu senken, aber es steigt immer wieder an.

(Unterbrechung)

Frau Imeyne ist auch an der Pest erkrankt. Pater Roche fand sie heute früh in ihrem Gebetswinkel am Boden. Es kann sein, daß sie die ganze Nacht dort lag. Schon die beiden letzten Nächte hatte sie sich geweigert, zu Bett zu gehen, fast die ganze Zeit auf den Knien verbracht und zu Gott gebetet, daß er sie und den Rest der Gottesfürchtigen vor der Pest bewahre.