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»Apokalyptisch«, sagte Colin.

ABSCHRIFT AUS DEM DOOMSDAY BOOK
(078926–079064)

Frau Imeyne, Mutter von Guillaume d’Iverie.

(Unterbrechung)

Mit Rosemund geht es abwärts. Ich kann ihren Puls nicht mehr fühlen, und ihre Haut sieht gelb und wächsern aus, was ein schlechtes Zeichen ist. Agnes kämpft schwer. Sie hat noch keine Beulen und muß nicht erbrechen, was mir Hoffnung macht. Eliwys mußte ihr das Haar abschneiden. Sie zerrte ständig daran und rief, ich solle kommen und ihr Zöpfe flechten.

(Unterbrechung)

Pater Roche hat Rosemund die letzte Ölung gespendet. Sie konnte natürlich keine Beichte ablegen. Agnes scheint es ein wenig besser zu gehen, obwohl sie vor einer Weile Nasenbluten hatte. Sie bat um ihre Glocke.

(Unterbrechung)

Ich werde nicht zulassen, daß du sie holst, verfluchter Teufel. Sie ist noch ein Kind. Aber das ist deine Spezialität, nicht? Die Unschuldigen abschlachten? Du hast schon den Säugling des Verwalters und Agnes’ Welpen und den Jungen umgebracht, der Hilfe holen ging, als ich krank war, und das ist genug. Ich werde nicht erlauben, daß du sie auch noch umbringst, Satan! Ich lasse es nicht zu!

31

Agnes starb am Tag nach Neujahr, und bis zuletzt rief sie nach Kivrin.

»Sie ist hier«, sagte Eliwys und drückte ihre Hand. »Katherine ist hier.«

»Sie ist nicht hier«, winselte Agnes. Ihre Stimme war heiser, aber noch immer kräftig. »Sag ihr, daß sie kommen soll.«

»Ich sage es ihr«, versprach Eliwys, und dann blickte sie mit hilflosem Ausdruck zu Kivrin auf. »Geht und holt Pater Roche«, sagte sie.

»Was gibt es?« fragte Kivrin. Er hatte Agnes schon an jenem ersten Abend die Sterbesakramente gespendet, und Agnes hatte sich schreiend und zappelnd zur Wehr gesetzt, als ob sie einen Wutanfall hätte, und seither hatte sie ihn nicht in ihre Nähe gelassen. »Seid Ihr krank?«

Eliwys schüttelte den Kopf. »Was werde ich meinem Mann sagen, wenn er kommt?« sagte sie und legte Agnes die kleinen Hände auf der Brust zusammen, und erst dann erkannte Kivrin, daß sie tot war.

Sie wusch den kleinen Körper, der fast ganz mit bläulich roten Blutergüssen bedeckt war. Als Eliwys ihr die Hand gehalten hatte, war die Haut vollständig schwarz geworden. Sie sah aus, als hätte sie schreckliche Prügel bekommen. Und so war es, dachte Kivrin. Geschlagen und gequält. Und ermordet. Der Mord an den unschuldigen Kindern.

Agnes’ Kleid und Hemd waren ruiniert, eine steif gewordene Masse von Blut und Erbrochenem, und ihr Alltagskleid aus Leinen war längst in Streifen gerissen. Kivrin warf die beschmutzten Sachen ins Feuer und hüllte den Körper in ihren eigenen weißen Umhang, und Pater Roche und der Verwalter begruben sie.

Eliwys ging nicht mit ihnen. »Ich muß bei Rosemund bleiben«, sagte sie, als Kivrin ihr sagte, daß es Zeit sei.

Es gab nichts, was sie für Rosemund tun konnte — das Mädchen lag noch immer so still, als wäre es unter einem Zauberbann, und Kivrin fürchtete, daß das Fieber einen Gehirnschaden verursacht haben müsse. »Und Gawyn könnte kommen«, fügte Eliwys hinzu.

Es war sehr kalt. Pater Roche und der Verwalter stießen dichte weiße Atemwolken aus, als sie Agnes ins Grab senkten, das sie mit Äxten und Schaufeln in den gefrorenen Boden gehackt hatten, und der Anblick ihres dampfenden Atems erbitterte Kivrin, ohne daß sie zu sagen wußte, warum. Sie wiegt nichts, dachte sie, ihr könntet sie in einer Hand tragen.

Der Anblick aller frischen Gräber machte sie zornig. Der Friedhof war voll, und beinahe der ganze Teil des Dorfangers, den Pater Roche geweiht hatte. Frau Imeynes Grab befand sich unmittelbar am Fußpfad zur Friedhofspforte, und der Säugling des Verwalters hatte kein eigenes Grab; Pater Roche hatte ihn zu Füßen seiner Mutter begraben, obwohl er noch nicht getauft gewesen war.

Bald würde Pater Roche ein weiteres Stück des Dorfangers zum Friedhof weihen müssen, dachte Kivrin. Der jüngste Sohn des Verwalters war noch nicht begraben, und der Sekretär. Der Schwarze Tod sollte nur ein Drittel bis die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft haben. Nicht die ganze.

»Requiescat in pace. Amen«, sagte Pater Roche, und der Verwalter begann die gefrorenen Erdbrocken auf das kleine Bündel zu schaufeln.

Sie hatten recht, Mr. Dunworthy, dachte Kivrin in bitterer Resignation. Weiß wird nur schmutzig. Sie haben in allem recht, nicht wahr? Sie sagten mir, ich solle nicht in diese Zeit gehen, Schreckliches würde geschehen. So ist es gekommen, und Sie können nicht erwarten mir zu sagen: Das habe ich Ihnen gleich gesagt. Aber Sie werden diese Befriedigung nicht haben, weil ich nicht weiß, wo der Absetzort ist, und weil die einzige Person, die es mir sagen könnte, wahrscheinlich tot ist.

Sie wartete nicht ab, bis das Grab eingeebnet war und bis Pater Roche seine Sterbegebete beendet hatte Sie ging über den Dorfanger davon, wütend auf alle, auf den Verwalter, weil er mit seinem Spaten und der Axt dastand, als könnte er es nicht erwarten, weitere Gräber auszuheben, auf Eliwys, weil sie nicht mitgekommen war, auf Gawyn, weil er nicht zurückkehrte. Niemand kommt, dachte sie. Niemand.

»Katherine!« rief Pater Roche.

Sie wandte sich um, und er eilte ihr nach. Sein Atem war wie eine Wolke um ihn.

»Was ist?«

Er blickte ihr ernst ins Auge. »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte er.

»Warum nicht?« erwiderte sie mutlos. »Die meisten sind gestorben, und die Seuche ist noch lange nicht vorüber. Der Sekretär liegt in den letzten Zügen, Rosemund wird ihm bald folgen, wir alle sind der Ansteckung ausgesetzt gewesen. Warum sollte ich die Hoffnung nicht aufgeben?«

»Gott hat uns nicht gänzlich verlassen«, sagte er. »Agnes ist geborgen in Seinen Armen.«

Geborgen, dachte sie. In der Erde. In der Kälte. In der Dunkelheit. Sie schlug die Hände vors Gesicht.

»Sie ist im Himmel, wo die Pest sie nicht erreichen kann. Und Gottes Liebe ist immer mit uns«, sagte er. »Nichts kann uns von ihr trennen, nicht der Tod, noch das Leben, noch gegenwärtige Dinge…«

»Noch kommende Dinge«, sagte Kivrin.

»Weder Höhen noch Tiefen, noch irgendein Geschöpf«, sagte er. Er legte seine große Hand auf ihre Schulter, sanft, wie wenn er ihr die letzte Ölung spenden wollte. »Seine Liebe war es, die Euch aussandte, uns zu helfen.«

Sie legte ihre Hand auf die seine, wo sie auf ihrer Schulter ruhte, und drückte sie fest. »Wir müssen einander helfen«, sagte er.

So standen sie eine lange Minute, dann sagte Pater Roche: »Ich muß gehen und die Glocke läuten, damit Agnes’ Seele eine sichere Überfahrt habe.«

Sie nickte und nahm ihre Hand weg. »Ich werde mich um Rosemund und die anderen kümmern«, sagte sie und ging zurück zum Gutshof.

Eliwys hatte gesagt, sie müsse bei Rosemund bleiben, doch als Kivrin das Haus betrat, war sie nirgendwo in ihrer Nähe. Sie lag zusammengerollt auf Agnes’ Strohsack, eingehüllt in ihren Umhang und beobachtete die Tür. »Vielleicht wurde sein Pferd von denen gestohlen, die vor der Pest fliehen«, sagte sie, »und das ist der Grund, warum er so lang auf sich warten läßt.«

»Agnes ist begraben«, sagte Kivrin kühl und ging weiter zu Rosemund.

Sie war wach und bei Bewußtsein. Als Kivrin bei ihr niederkniete, blickte sie ernst zu ihr auf und tastete nach ihrer Hand.

»Ach, Rosemund«, sagte Kivrin, und Tränen brannten ihr in den Augen. »Liebes Kind, wie fühlst du dich?«

»Hungrig«, sagte Rosemund. »Ist mein Vater gekommen?«

»Noch nicht«, antwortete Kivrin, und es schien ihr sogar möglich, daß er noch kommen würde. »Ich werde dir Brühe bringen. Bleib ruhig liegen, bis ich zurückkomme. Du bist sehr krank gewesen.«