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»Wenn keine Einigung zustande kommt, wird der König mir befehlen, zu heiraten, wen er will«, sagte Rosemund, »und Sir Bloet ist mir wenigstens bekannt.«

Kivrin wußte, daß das Mädchen in seinem Fieberwahn schlimmere Schrecken als Sir Bloet erlebt hatte, Alpträume von Ungeheuern und Halsabschneidern, und Kivrin wußte, daß es solche gab.

Rosemund würde an irgendeinen Adligen verkauft, dem der König eine Gefälligkeit schuldete oder dessen Unterstützung er zu kaufen suchte, vielleicht einen der lästigen Gefolgsleute des Schwarzen Prinzen, und weiß Gott wohin und in welche Verhältnisse gebracht.

Es gab Schlimmeres als einen lüsternen alten Mann und eine boshafte Schwägerin. Baron Garnier hatte seine Frau zwanzig Jahre lang in Ketten gehalten. Der Graf von Anjou hatte die seine lebendig verbrannt. Und Rosemund würde keine Familie haben, keine Freunde, die sie beschützten und pflegten, wenn sie krank war.

Ich werde sie mitnehmen, dachte Kivrin plötzlich, an einen Ort, wo Bloet sie nicht finden kann und wo wir vor der Pest sicher sein werden.

Es gab keinen solchen Ort. Die Pest war bereits in Bath und Oxford und verbreitete sich nach Süden und Osten über London nach Kent, nordwärts durch Mittelengland nach Yorkshire und zurück über den Kanal nach Deutschland und den Niederlanden. Sie war sogar nach Norwegen gekommen, mit einem angetriebenen Schiff voll toter Männer. Es gab keinen sicheren Ort.

»Ist Gawyn hier?« fragte Rosemund. Sie hörte sich wie ihre Mutter oder ihre Großmutter an. »Ich möchte, daß er nach Courcy reitet und Sir Bloet sagt, daß ich zu ihm kommen würde.«

»Gawyn?« sagte Eliwys von ihrem Strohsack. »Kommt er?«

Nein, dachte Kivrin. Niemand kommt. Nicht einmal Mr. Dunworthy.

Es war unwichtig, daß sie den Rückholtermin verpaßt hatte. Es wäre ohnehin niemand dort gewesen, weil sie nicht wußten, daß sie im Jahr 1348 war. Hätten sie es gewußt, so würden sie sie niemals hier gelassen haben.

Etwas mußte mit dem Netz schiefgegangen sein. Mr. Dunworthy war sehr besorgt drüber gewesen, daß man sie ohne Parameterüberprüfungen so weit in die Vergangenheit schicken wollte. Er hatte von unvorhergesehenen Komplikationen bei solchen Ferndistanzen gesprochen. Vielleicht war es eine unvorhergesehene Komplikation gewesen, welche die Fixierung verändert oder bewirkt hatte, daß die Koordinaten verlorengegangen waren, und nun suchten sie sie verzweifelt im Jahr 1320. Sie hatte den Rückholtermin um fast dreißig Jahre verpaßt.

»Gawyn?« murmelte Eliwys wieder und versuchte sich aufzurichten.

Sie konnte nicht. Ihr Befinden verschlechterte sich gleichmäßig, obwohl sie noch immer keine Kennzeichen der Pest trug. Als der Schneefall eingesetzt hatte, war sie erleichtert gewesen. »Er wird jetzt nicht kommen, sondern erst, wenn der Sturm vorüber ist«, hatte sie gesagt und war aufgestanden, um sich zu Rosemund zu setzen, aber schon am Nachmittag hatte sie sich niederlegen müssen, und ihr Fieber war von Tag zu Tag gestiegen.

Pater Roche nahm ihr die Beichte ab. Er sah übermüdet und verbraucht aus. Sie waren alle verbraucht.

Wenn sie sich setzten, um auszuruhen, schliefen sie innerhalb von Sekunden ein. Der Verwalter, selbst unter Frühsymptomen der Krankheit leidend, war vor ein paar Tagen im Stehen eingeschlafen, und Kivrin war beim Nachlegen von Scheiten eingenickt und hatte sich schlimm die Hand verbrannt.

Wir können so nicht weitermachten, dachte sie, als sie Pater Roche das Kreuzzeichen über Eliwys machen sah. Er wird an Erschöpfung sterben. Oder sein aller Widerstandskraft beraubter Körper wird der Pest zum Opfer fallen.

Vielleicht gab es wirklich keine andere Lösung als fortzugehen. Die Pest kam nicht in alle Gegenden. Es gab Dörfer, die völlig unberührt blieben. Die Pest war nicht nach Polen und Böhmen vorgedrungen, und im Norden Schottlands gab es Landstriche, die es nie erreicht hatte.

»Agnus dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis«, sagte Pater Roche. Seine Stimme klang so gut und tröstlich wie damals, als sie im Sterben gelegen hatte, und sie begriff, daß alle Gedanken an Flucht, so verständlich sie sein mochten, hoffnungslos waren.

Er würde seine Pfarrkinder niemals verlassen. Die Geschichte des Schwarzen Todes wußte von vielen Priestern zu berichten, die ihre Gemeinden im Stich gelassen hatten, die sich geweigert hatten, Pestkranken die Sterbesakramente zu spenden und an Begräbnissen teilzunehmen, die sich in ihren Kirchen und Klöstern eingesperrt hatten oder davongelaufen waren. Sie fragte sich jetzt, ob jene Berichte nicht verallgemeinert worden waren.

Und selbst wenn sie eine Möglichkeit fände, sie alle mitzunehmen, würde Eliwys, die sich sogar während ihrer Beichte umwandte und zur Tür blickte, darauf bestehen, die Ankunft Gawyns oder ihres Mannes abzuwarten, und sie würde die Hoffnung auf ihr Kommen niemals aufgeben.

»Ist Pater Roche ihm entgegengegangen?« fragte sie Kivrin, als der Pfarrer mit seinem Korb zur Kirche zurückgegangen war. »Er wird bald hier sein. Er ist gewiß zuerst nach Courcy geritten, um sie vor der Pest zu warnen, und von dort ist es nur eine halbe Tagesreise.« Sie bestand darauf, daß Kivrin ihren Strohsack ein Stück weiterziehe, damit sie von ihrem Lager aus die Tür im Auge behalten könne.

Während Kivrin die Barrikade abbaute und die Bänke so anordnete, daß die Zugluft von der Tür abgehalten wurde, stieß der Sekretär plötzlich einen Schrei aus und verfiel in krampfhafte Zuckungen. Sein ganzer Körper wurde wie von Stromstößen geschüttelt, sein Gesicht verzerrte sich zu einer grausigen starren Maske, aus der das vereiterte Auge blind zur Decke stierte.

»Laß ihn endlich sterben«, murmelte Kivrin entsetzt. »Hat er noch nicht genug durchgemacht?«

Plötzlich erschlaffte sein Körper, und ein dünnes Rinnsal schwarzen Schleims rann aus seinem Mundwinkel.

Er ist tot, dachte sie, und konnte es nicht glauben. Sie beugte sich über das geschwollene Gesicht, geschwärzt unter dem Stoppelbart, das gesunde Auge halb geöffnet. Die Fäuste lagen noch geballt an seinen Seiten. Er sah nicht menschlich aus, wie er dalag, und Kivrin zog ihm die grobe Wolldecke über den Kopf, um Rosemund seinen Anblick zu ersparen.

»Ist er tot?« fragte Rosemund. Sie saß neugierig auf.

»Ja«, sagte Kivrin. »Gott sei Dank.« Sie stand auf. »Ich muß gehen und Pater Roche Bescheid sagen.«

»Ich möchte nicht, daß du mich hier allein läßt«, sagte Rosemund.

»Deine Mutter ist hier, und der Junge des Verwalters, und ich werde nur ein paar Minuten ausbleiben.«

»Ich fürchte mich«, sagte Rosemund.

Ich mich auch, dachte Kivrin, als ihr Blick auf die Gestalt fiel, die sich unter der groben Decke abzeichnete.

Er war tot, doch selbst das schien sein Leiden nicht beendet zu haben. Er sah nicht entspannt aus, sondern noch immer gequält und nicht mehr menschenähnlich. Die Qualen der Hölle.

»Bitte verlaß mich nicht«, sagte Rosemund.

»Ich muß es Pater Roche sagen«, erwiderte Kivrin, aber dann setzte sie sich zwischen den Toten und Rosemund und wartete, bis sie schlief, bevor sie aufstand und hinausging.

Er war nicht im Hof und nicht im Küchenhaus. Die Kuh des Verwalters war in der Scheuneneinfahrt und fraß Heu, und als Kivrin vorbeiging, folgte sie ihr gemächlich durch die Zufahrt und auf den Dorfanger.

Der Verwalter war auf dem Friedhof und grub mit Hacke und Schaufel ein Grab. Es war bereits brusttief. Er weiß es schon, dachte sie, aber das war unmöglich. Angst faßte ihr ans Herz.

»Wo ist Pater Roche?« rief sie, aber der Verwalter antwortete weder, noch blickte er auf. Die Kuh kam an ihre Seite und muhte.

»Geh weg!« sagte sie und eilte hinüber zum Verwalter.

Das Grab war nicht auf dem Friedhof, es war auf dem hinteren Teil des Dorfangers, und daneben waren zwei weitere Gräber anscheinend schon fertig, denn die ausgehobene Erde lag in dunklen Haufen neben ihnen auf dem Schnee.