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Pater Roche war halb über den Dorfanger, bevor sie ihn einholte. »Was gibt es? Könnt Ihr es mir nicht sagen?« fragte sie, aber er blieb nicht stehen, sah sie nicht einmal an. Er wandte sich zu der Gräberreihe am Rand des Dorfangers, und sie dachte in plötzlicher Erleichterung, daß der Verwalter versucht habe, seinen Sohn selbst zu begraben, ohne einen Priester.

Das kleine Grab war zugeschüttet, der Erdhügel darüber festgeklopft, und neben Rosemunds fertigem Grab war ein anderes, größeres in Arbeit. Die Schaufel ragte heraus, der Stiel lehnte am Rand.

Pater Roche blieb am Rand dieses neuen Grabes stehen und sagte im gleichen benommenen Ton. »Ich ging zur Kirche, um das Stundengebet zu sprechen…« - und Kivrin blickte in das Grab.

Der Verwalter hatte offenbar versucht, sich selbst mit Hilfe der Schaufel zu begraben, aber der Umgang mit ihr hatte sich in dem engen Raum als schwierig erwiesen, und so hatte er sie an den Rand gelehnt und angefangen, die Erde mit den Händen herabzuziehen. In seiner erstarrten Hand war noch ein großer Klumpen.

Seine Beine waren mit Erde bedeckt, was ihm ein seltsam unanständiges Aussehen verlieh, als läge er in der Badewanne. »Wir müssen ihn richtig begraben«, sagte sie und griff zur Schaufel.

Pater Roche schüttelte den Kopf. »Es ist geweihte Erde«, murmelte er, und sie verstand, daß er dachte, der Verwalter habe sich selbst getötet.

Es spielt keine Rolle, dachte sie, aber trotz aller Schrecken war Roche in seinem Glauben standhaft und unerschütterlich. Trotz seiner Übermüdung war er im Dunkeln aufgestanden, um in der Kirche das Stundengebet zu sprechen, als er den Verwalter gefunden hatte, und selbst wenn sie alle stürben, würde er weiter seine täglichen Gebete sagen und seine geistlichen Pflichten erfüllen und nichts Widersinniges daran finden.

»Es ist die Krankheit«, sagte Kivrin, obwohl sie keine Ahnung hatte, ob es sich so verhielt oder nicht. »Die Pest-Sepsis muß es gewesen sein. Sie infiziert das Blut.«

Er sah sie verständnislos an.

»Ich sah gestern schon, daß er krank war«, sagte sie. »Er muß während der Arbeit überwältigt worden sein«, erklärte sie. »Die Pest-Sepsis vergiftet das Gehirn. Er war nicht bei klarem Verstand.«

»Wie Frau Imeyne«, sagte er, und es klang beinahe froh.

Er wollte ihn nicht außerhalb des geweihten Bezirks begraben, dachte Kivrin, obwohl er nach der Kirchenlehre dazu verpflichtet war.

Sie half ihm den Leichnam des Verwalters auszustrecken, obwohl er bereits steif war. Sie versuchten nicht, ihn zu bewegen oder in eine Decke zu hüllen. Pater Roche legte ihm ein dunkles Tuch übers Gesicht, und abwechselnd schaufelten sie die Erde auf ihn. Die gefrorenen Brocken, die zuletzt auf den flachen Grabhügel fielen, klapperten wie Steine.

Pater Roche ging nicht in die Sakristei, um sein Chorhemd überzuziehen oder das Missale zu holen. Er stellte sich zuerst an das Grab des Jungen, dann an das des Verwalters und sprach die Totengebete. Kivrin, die mit gefalteten Händen neben ihm stand, dachte über das tragische Schicksal dieses Mannes nach, der seine Frau und sieben Kinder begraben und fast alle, die er kannte, um sich her hatte sterben sehen. Er hatte gespürt, daß er krank war, und wenn er in sein offenes Grab gekrochen war, um lieber zu erfrieren als auf den elenden Pesttod zu warten, dann war es kein Zeichen von Geistesverwirrung. Er hatte Besseres verdient als ein Grab, sei es ein geweihtes oder ein Selbstmördergrab.

Wir können jetzt nach Schottland gehen, dachte sie bei sich. Rosemund kann auf dem Esel reiten, und Pater Roche und ich können die Decken und den Proviant tragen. Sie blickte zum Himmel auf. Inzwischen war es Tag geworden, die Wolkendecke sah leichter aus, als könnte sie im Laufe des Vormittags aufreißen. Wenn sie sich frühzeitig auf den Weg machten, konnten sie um die Mittagszeit den Wald hinter sich haben und die Straße von Oxford nach Bath erreichen. Und gegen Abend würden sie schon auf der Straße nach York sein.

»Agnus dei, qui tollis peccata mundi«, sagte Pater Roche, »dona eis requiem.«

Wir müssen Hafer für den Esel mitnehmen, dachte sie. Und die Axt, um Feuerholz zu schlagen. Und Decken.

Er beendete seine Gebete. »Dominus vobiscum, et cum spiritu tuo«, sagte er. »Requiescat in pace. Amen.« Er wandte sich um und ging langsam hinüber zum Glockenturm, um die Totenglocke zu läuten.

Befeuert von ihrem Plan, machte Kivrin sich auf den Rückweg zum Herrenhaus. Sie konnte halb zusammengepackt haben, bis Pater Roche das Grabgeläute beendete, und dann konnte sie ihm ihren Plan erklären, und er konnte den Esel beladen, und schon wären sie auf und davon. Sie rannte über den Hof und ins Haus, beschäftigt mit der Überlegung, welche Dinge unbedingt mitgenommen werden müßten.

Rosemund schlief noch. Das war gut. Es hatte keinen Sinn, sie zu wecken, bevor sie reisefertig wären. Sie huschte auf Zehenspitzen an ihr vorbei, nahm Imeynes Arzneikasten und leerte ihn aus. Sie stellte ihn zum Feuer, um für die Reise Holzkohlenglut hineinzutun, und wollte hinaus zur Küche, als sie den Strohsack rascheln hörte.

»Ich wachte auf, und du warst nicht da«, sagte Rosemund. Sie saß auf ihrem Lager. »Ich hatte Angst, du seiest fortgegangen.«

»Wir werden alle zusammen gehen, Rosemund«, sagte Kivrin. »Wir werden nach Schottland gehen.« Sie kam zu ihr und kauerte nieder. »Du mußt für die Reise ausruhen. Ich werde gleich zurück sein.«

»Wohin gehst du?«

»Nur in die Küche. Bist du hungrig? Ich werde dir etwas Haferbrei bringen. Nun leg dich wieder hin und schlaf noch ein wenig.«

»Ich mag nicht allein sein«, sagte Rosemund. »Kannst du nicht ein bißchen bei mir bleiben?«

Lieber Himmel, dachte Kivrin, dafür habe ich jetzt keine Zeit! »Ich gehe nur ins Küchenhaus. Und Pater Roche ist da. Kannst du ihn nicht hören? Er läutet die Glocke. Ich bleibe nur ein kleines Weilchen aus. Einverstanden?« Sie lächelte ihr aufmunternd zu, und Rosemund nickte zögernd.

Sie rannte beinahe hinaus. Das Sterbegeläute hallte langsam und gleichmäßig durch den stillen Morgen. Beeil dich, dachte sie, wir haben nicht viel Zeit. Sie durchsuchte das Küchenhaus und legte die Vorräte auf den Tisch. Es war noch ein runder Käse da, und viele Fladenbrote, die sie wie Teller stapelte und in einen leinenen Sack tat. Sie steckte den Käse mit hinein und trug ihn hinaus.

Rosemund stand in der Haustür und hielt sich am Pfosten. »Kann ich nicht bei dir im Küchenhaus sitzen?« fragte sie. Sie hatte ihren Überrock und ihre Schuhe angezogen, fröstelte aber in der kalten Luft.

Kivrin lief zu ihr. »Es ist zu kalt, und in der Küche brennt noch kein Feuer«, sagte sie. »Und du mußt ausruhen.«

»Wenn du fort bist, habe ich Angst, daß du nicht zurückkommen wirst.«

»Ich bin ja hier«, sagte Kivrin, aber sie lief hinein und holte Rosemunds Umhang und ein paar Pelze.

»Du kannst hier auf der Türschwelle sitzen und mir beim Packen zusehen«, sagte sie. Sie legte ihr den Umhang um die Schultern, drückte sie mit sanfter Gewalt auf die Stufe nieder und legte die Pelze wie ein Nest um sie. »Ist es gut so?«

Das Geschenk Sir Bloets steckte noch am Umhang. Rosemund fummelte mit der Nadel, und Kivrin sah ihre dünnen Hände zittern. »Gehen wir nach Courcy?« fragte sie.

Kivrin schüttelte den Kopf. Sie steckte ihr die Brosche fest. »Wir gehen nach Schottland. Dort werden wir vor der Pest sicher sein.«

»Meinst du, daß mein Vater an der Pest gestorben ist?«

Kivrin zögerte.

»Meine Mutter sagte, er sei nur aufgehalten worden oder unfähig zu kommen. Sie sagte, vielleicht seien meine Brüder krank geworden, und er würde kommen, sobald sie sich erholt hätten.«

»Das kann sein«, sagte Kivrin und wickelte einen Pelz um die Füße des Mädchens. »Wir werden ihm einen Brief zurücklassen, so daß er wissen wird, wohin wir gegangen sind.«