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Rosemund schüttelte den Kopf. »Wenn er noch lebte, wäre er gekommen.«

Kivrin seufzte. »Ich weiß es nicht, aber er kann durch vielerlei Dinge aufgehalten worden sein. Nun muß ich Proviant für uns zusammensuchen.«

Rosemund nickte, und Kivrin ging hinüber zum Küchenhaus. Drinnen lehnte ein Sack Zwiebeln an der Wand und ein zweiter mit Äpfeln. Sie waren schon runzlig, und die meisten hatten braune Flecken, aber Kivrin schleppte den Sack hinaus. Sie brauchten nicht gekocht zu werden, und bis zum Frühling würden sie alle Vitamine nötig haben.

»Möchtest du einen Apfel?« fragte sie Rosemund.

Das Mädchen bejahte, und Kivrin suchte im Sack herum, bis sie einen rötlich-grünen fand, der noch fest und frisch aussah. Sie rieb ihn gewohnheitsmäßig an ihrem ledernen Wams und brachte ihn Rosemund, lächelnd bei der Erinnerung, wie gut ihr ein Apfel geschmeckt haben würde, als sie krank gewesen war.

Aber nach dem ersten Biß schien Rosemund das Interesse zu verlieren. Sie lehnte sich an den Türpfosten und blickte still zum Himmel auf, lauschte den gleichmäßigen Glockentönen.

Kivrin trug den Sack mit den Äpfeln zurück ins Küchenhaus. Er war zu schwer, um alle mitzunehmen; sie mußte diejenigen heraussuchen, die mitzunehmen lohnte. Die Frage war, wieviel der Esel tragen konnte. Sie mußten auch Hafer für ihn mitnehmen, denn das dürre Gras unter dem Schnee würde nicht genügen, um ihn bei Kräften zu halten.

»Deine Leute sind nie gekommen, dich zu suchen«, bemerkte Rosemund.

Kivrin blickte zu ihr hinüber. Sie saß immer noch auf der Stufe vor der Tür, den angebissenen Apfel in der Hand.

Sie sind gekommen, dachte Kivrin, aber ich war nicht da. »Nein.«

»Glaubst du, die Pest hat sie getötet?«

»Wer weiß«, sagte Kivrin, und sie dachte, daß es immerhin ein Trost sei, sie nicht irgendwo tot oder hilflos vermuten zu müssen. Wenigstens wußte sie, daß sie wohlauf und in Sicherheit waren.

»Wenn ich zu Sir Bloet gehe, werde ich ihm sagen, wie du uns geholfen hast«, sagte Rosemund. »Ich werde ihn ersuchen, daß ich dich und Pater Roche bei mir behalten darf.«

Sie hob stolz den Kopf. »Ich habe ein Recht auf meine eigene Begleitung und einen Hauskaplan.«

»Danke«, sagte Kivrin.

Als sie die Äpfel sortiert hatte, war der Sack nur noch halb so schwer. Sie stellte ihn neben den mit Käse und Brot. Die Glocke verstummte, ihr letzter Ton hing noch lange in der kalten, stillen Luft. Sie nahm den Eimer und ließ ihn in den Brunnen. Es wurde Zeit, daß sie Haferbrei kochte und einige der aussortierten Äpfel hineinschnitt. Das würde eine gute und kräftigende Grundlage für den Reisetag abgeben.

Rosemunds Apfel rollte über das leicht abschüssige Kopfsteinpflaster zur Mitte des Hofes und blieb unweit vom Brunnentrog liegen. Kivrin bückte sich und hob ihn auf. Er zeigte nur einen kleinen Biß, weiß im Rot der Schale. Kivrin wischte ihn am Wams sauber. »Magst du deinen Apfel nicht?« fragte sie und wandte sich um.

Ihre Hand war noch offen, als hätte sie sich vorbeugen und ihn fangen wollen, als er ihren Fingern entfallen war. »Ach, Rosemund«, sagte Kivrin.

ABSCHRIFT AUS DEM DOOMSDAY BOOK
(079110–079239)

Pater Roche und ich gehen nach Schottland. Es hat keinen Sinn, Ihnen das zu sagen, da Sie niemals hören werden, was dieses Aufnahmegerät aufgezeichnet hat, aber vielleicht wird eines Tages jemand im Moor darauf stoßen, oder Mrs. Montoya wird eine Ausgrabung im Norden Schottlands vornehmen, wenn sie mit Skendgate fertig ist, und wenn das geschieht, soll die Nachwelt wissen, was mit uns geschehen ist.

Ich weiß, daß Flucht die schlechteste Antwort ist, aber ich muß Pater Roche von hier fortbringen. Das ganze Herrenhaus ist kontaminiert mit dem Bettzeug und den Kleidern der Pestkranken, und die Ratten sind überall. Ich sah eine in der Kirche, als ich in die Sakristei ging, um Pater Roches Chorhemd und Stola für Rosemunds Begräbnis zu holen. Und selbst wenn er sich nicht an diesen Dingen infiziert, ist die Seuche überall um uns, und ich werde ihn niemals überzeugen können, daß er bleiben soll. Er wird gehen und anderswo helfen wollen.

Wir werden die Landstraßen meiden und die Dörfer umgehen. Unser Proviant reicht für eine Woche, und dann werden wir weit genug im Norden sein, daß wir irgendwo in einer Stadt Lebensmittel kaufen können. Der Sekretär hatte einen Lederbeutel mit Silbermünzen bei sich. Und seien Sie unbesorgt, es wird uns an nichts fehlen. Wie Mr. Gilchrist sagen würde: »Ich habe alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen.«

32

Apokalyptisch war sicherlich die passende Bezeichnung für die bloße Vorstellung, er könne Kivrin retten, dachte Dunworthy. Als Colin ihn in sein Krankenzimmer zurückgeleitet hatte, war er erschöpft, seine Temperatur wieder gestiegen. Colin mußte ihm ins Bett helfen. »Ruhen Sie sich aus«, sagte er. »Sie dürfen keinen Rückfall haben, wenn Sie Kivrin retten wollen.«

»Ich muß mit Badri reden«, sagte er. »Und mit Finch.«

»Ich werde mich um alles kümmern«, sagte Colin und lief hinaus.

Er würde für sich und Badri eine Beurlaubung erreichen müssen, und für den Fall, daß Kivrin krank war, brauchte er medizinische Unterstützung. Er brauchte auch eine Schutzimpfung gegen Pest. Er fragte sich, wie lange sie benötigte, um wirksam zu werden. Mary hatte Kivrin geimpft, als sie zur Implantation ihres Aufnahmegerätes im Krankenhaus gewesen war, also zwei Wochen vor der Absetzoperation. Aber vielleicht trat die Immunität schon früher ein.

Die Schwester kam, seine Temperatur zu kontrollieren. »Ich habe jetzt Dienstschluß«, sagte sie.

»Wann kann ich entlassen werden?« fragte er.

»Entlassen?« Sie sah ihn überrascht an. »Anscheinend fühlen Sie sich wirklich besser.«

»So ist es«, sagte er. »Wann?«

Sie legte die Stirn in Falten. »Das müssen Sie den Arzt fragen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man ein bißchen im Korridor hin und her gehen kann, oder ob man bereit ist, nach Hause zu gehen.« Sie regulierte den Tropf. »Sie müssen jede Überanstrengung vermeiden.«

Damit ging sie hinaus, und ein paar Minuten später kam Colin mit Finch und dem Buch herein, das Dunworthy ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. »Ich dachte, Sie würden das vielleicht brauchen, für die Kostümierung und alles.« Er legte es Dunworthy auf die Decke. »Ich gehe schnell Badri holen.« Er rannte hinaus.

»Sie sehen schon viel besser aus, Sir«, meinte Finch. »Das freut mich wirklich. Ich fürchte, Sie werden im College dringend gebraucht. Es ist Mrs. Gaddson. Sie hat Balliol wegen fahrlässiger Gesundheitsgefährdung angezeigt und will sich außerdem beim Dekan beschweren, daß ihr Sohn während der Weihnachtsferien Petrarca lesen mußte und als Pfleger dienstverpflichtet wurde. Die Doppelbelastung habe seine Gesundheit ruiniert.«

»Sagen Sie ihr, daß ich ihr dazu viel Glück wünsche; sie wird in beiden Fällen die verdiente Abfuhr bekommen«, sagte Dunworthy. »Sie müssen für mich herausbringen, wie lang die Frist zwischen einer Schutzimpfung gegen die Pest und dem Eintreten der Immunisierung ist, und dann müssen Sie mir das Laboratorium für eine Absetzoperation vorbereiten.«

»Wir nutzen es gegenwärtig als Lageraum«, sagte Finch. »Endlich sind mehrere Lieferungen aus London eingetroffen, allerdings war kein Toilettenpapier dabei, obwohl ich in meiner Anforderung eigens darauf hingewiesen hatte…«

»Schaffen Sie die Vorräte in einen der freigewordenen Räume oder in den Korridor«, sagte Dunworthy. »Ich möchte, daß das Netz so bald wie möglich einsatzbereit ist.«

Colin öffnete die Tür mit dem Ellbogen und schob Badri mit Hilfe seines anderen Armes und eines Knies herein. »Ich mußte ihn an der Stationsschwester vorbeimogeln«, sagte er atemlos. Er schob den Rollstuhl zum Bett.