»Ich möchte…«, sagte er und brach ab, als er Badri ansah. Die Sache war unmöglich. Badri war nicht in einer Verfassung, Koordinaten zu berechnen und das Netz zu handhaben. Er sah erschöpft aus, als ob die bloße Fahrt mit dem Rollstuhl ihn mitgenommen hätte, und seine Finger fummelten nervös an der Tasche seines Bademantels, wie sie letztes Mal an seinem Gürtel gezogen und gedreht hatten.
»Wir werden zwei Probeläufe für Messungen und einen Zugang brauchen«, sagte Badri. Seine Stimme klang so erschöpft wie er aussah, aber die Verzweiflung war nicht mehr herauszuhören. »Und wir werden Genehmigungen für die Absetzoperation und das Rückholmanöver brauchen.«
»Was ist mit den Protestlern, die vor dem Brasenose College aufgezogen waren?« fragte Dunworthy. »Sind sie noch da und werden sie versuchen, die Operation zu verhindern?«
»Nein«, sagte Colin. »Die Protestaktionen sind jetzt beim Amt für Denkmalschutz. Seit bekannt geworden ist, daß der Erreger bei der Ausgrabung des Friedhofs freigeworden ist, verlangen sie die Schließung der Ausgrabungsstätte.«
Gut, dachte Dunworthy. Montoya wird zu sehr damit beschäftigt sein, ihren Friedhof gegen Plakatträger und Protestler zu verteidigen, um sich einzumischen. Zu beschäftigt mit der Suche nach Kivrins Aufnahmegerät.
»Was werden Sie noch brauchen?« fragte er Badri.
»Die eingespeicherten Daten von Brasenose zum Vergleich, und eine Parallelschaltung.« Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und überflog es. »Und einen Fernanschluß, damit ich Parameterprüfungen vornehmen kann.«
Er gab die Liste Dunworthy, der sie an Finch weiterreichte. »Wir brauchen auch medizinische Versorgung für Kivrin«, sagte Dunworthy. »Und ich möchte einen Telefonanschluß in diesem Zimmer.«
Finch las stirnrunzelnd die Liste.
»Erzählen Sie mir nicht, wir hätten dies oder jenes nicht«, sagte Dunworthy, bevor der andere protestieren konnte. »Leihen oder stehlen Sie, was wir nicht haben.«
Er wandte sich zu Badri. »Werden Sie sonst noch etwas brauchen?«
»Meine Entlassung aus dem Krankenhaus«, sagte Badri. »Ich fürchte, die wird das größte Hindernis sein.«
»Wer ist Ihr Arzt?«
»Dr. Gates«, sagte Badri, »aber…«
»Wir müssen ihm die Situation erklären«, sagte Dunworthy. »Ihm klarmachen, daß es ein Notfall ist.«
Badri schüttelte den Kopf. »Wir können ihm auf keinen Fall die gleiche Begründung geben, mit der ich ihn während Ihrer Krankheit überredete, mich zu entlassen, damit ich das Netz öffnen könne. Er meinte damals, ich sei nicht gesund genug, ließ es aber zu, und dann hatte ich den Rückfall…«
Dunworthy betrachtete ihn sorgenvoll. »Sind Sie sicher, daß Sie in der Lage sein werden, das Netz zu bedienen? Vielleicht kann ich nun, da die Epidemie unter Kontrolle ist, Andrews bekommen.«
»Es ist nicht genug Zeit«, sagte Badri. »Und es war meine Schuld. Ich möchte die Operation durchführen. Vielleicht kann Mr. Finch einen anderen Arzt finden, der meine Entlassung verantwortet.«
»Ja«, sagte Dunworthy. »Und sagen Sie meinem Stationsarzt, daß ich ihn sprechen muß.« Er griff zu Colins Buch. »Und noch etwas, Mr. Finch. Ich brauche ein Kostüm.« Er blätterte auf der Suche nach einer Illustration mittelalterlicher Kleidung herum. »Keine Klettverschlüsse, keine Reißverschlüsse, keine Knöpfe.« Endlich fand er eine Abbildung, die Boccaccio zeigte, und hielt sie Finch hin. »Rufen Sie am besten beim Theater an, ob sie in der Requisitenkammer etwas Passendes haben.«
»Ich werde mein Möglichstes tun, Sir«, sagte Finch und betrachtete runzelnd und zweifelnd die Illustration.
Die Tür flog auf, und die Schwester kam entrüstet hereingestürmt. »Mr. Dunworthy, das ist völlig unverantwortlich«, sagte sie in einem Ton, der geeignet war, einen Herzinfarkt auszulösen. »Wenn Sie schon nicht bereit sind, auf Ihre eigene Gesundheit achtzugeben, dann sollten Sie wenigstens nicht die der anderen Patienten gefährden.« Sie fixierte Finch mit einem durchbohrenden Blick. »Mr. Dunworthy wird keine Besuche mehr empfangen.«
Ihr zorniger Blick schwenkte zu Colin, dann nahm sie die Handgriffe des Rollstuhls und schwang ihn so scharf herum, daß Badris Kopf zurückgerissen wurde. »Was können Sie sich bloß gedacht haben, Mr. Chaudhuri? Sie haben bereits einen Rückfall erlitten. Ich werde nicht zulassen, daß es noch einmal dazu kommt.« Und sie schob ihn hinaus.
»Ich sagte ja, daß wir ihn nie hinausbringen würden«, meinte Colin.
Sie stieß die Tür wieder auf. »Keine Besucher!« sagte sie zu Colin.
»Ich komme wieder«, flüsterte Colin und schlüpfte an ihr vorbei.
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht, solange ich hier etwas zu sagen habe.«
Anscheinend hatte sie etwas zu sagen. Colin kehrte erst zurück, nachdem sie Dienstschluß hatte und nach Haus gegangen war, und dann nur, um Badri eine Fernbedienung zu bringen und Dunworthy über die Pestschutzimpfung zu unterrichten. Finch hatte das Gesundheitsamt angerufen. Nach der Schutzimpfung waren zwei Wochen erforderlich, bis die volle Immunität erreicht war, und sieben Tage für einen teilweisen Schutz. »Und Mr. Finch möchte wissen, ob Sie nicht auch gegen Cholera und Typhus geimpft werden sollten.«
»Es ist nicht genug Zeit«, sagte er. Es war auch nicht genug Zeit für eine Pestimpfung. Kivrin war bereits über drei Wochen dort, und jeder Tag verminderte ihre Überlebenschancen. Und er war der Entlassung nicht nähergekommen.
Als Colin gegangen war, läutete er der Schwester — es war die Praktikantin — und sagte ihr, er wolle den Stationsarzt sprechen. »Ich bin reif für die Entlassung«, sagte er.
Sie lachte.
»Ich bin völlig wiederhergestellt«, versicherte er ihr. »Heute vormittag bin ich zehn Minuten im Korridor herumgelaufen.«
Sie schüttelte den blonden Kopf. »Rückfälle sind bei diesem Virus ungewöhnlich häufig vorgekommen. Ich kann das Risiko einfach nicht verantworten.« Sie lächelte ihm zu. »Wohin müssen Sie denn so dringend? Gefällt es Ihnen nicht bei uns? Wer oder was immer solche Anziehungskraft auf Sie ausübt, kann sicherlich noch eine Woche ohne Sie überleben.«
»Es ist Semesterbeginn«, sagte er, und das entsprach der Wahrheit. »Bitte sagen Sie meinem behandelnden Arzt, daß ich ihn sprechen möchte.«
»Dr. Warden wird Ihnen nur sagen, was ich Ihnen gesagt habe«, sagte sie, doch anscheinend gab sie die Bitte weiter, denn am späten Nachmittag kam er zu ihm.
Offensichtlich hatte man ihn aus dem Ruhestand geholt, um die krankheitsbedingten Personalausfälle während der Epidemie auszugleichen. Er erzählte Dunworthy eine lange Geschichte über die medizinischen Verhältnisse während der Epidemie und verkündete dann mit brüchiger Stimme: »Zu meiner Zeit behielten wir die Patienten im Krankenhaus, bis sie ganz wiederhergestellt waren.«
Dunworthy versuchte nicht, mit ihm zu argumentieren. Er wartete, bis der Arzt und die alte Aushilfsschwester im gestärkten Kittel, Erinnerungen an den Hundertjährigen Krieg austauschend, den Korridor hinuntergehinkt und außer Sicht waren, dann schnallte er seinen tragbaren Tropf an und ging zur öffentlichen Telefonzelle bei der Notaufnahme, um sich von Finch über den Stand der Dinge unterrichten zu lassen.
»Die Schwester erlaubt kein Telefon in Ihrem Zimmer«, sagte Finch, »aber ich habe gute Nachricht, was die Pest betrifft. Ein paar Injektionen Tetracyclin können zusammen mit Gammaglobulin und T-Zellen-Verstärkung eine vorübergehende Immunität erzeugen. In diesem Fall ist der Schutz schon nach zwölf Stunden gewährleistet.«
»Gut«, sagte Dunworthy. »Besorgen Sie mir einen Arzt, der mir diese Injektionen gibt und meine Entlassung aus der Klinik autorisiert. Einen jungen Arzt. Und schicken Sie Colin herüber. Ist das Netz fertig?«
»Beinahe, Sir. Ich habe die erforderlichen Genehmigungen erhalten und eine Fernschaltung ausfindig gemacht. Ich wollte sie gerade holen.«