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Sie rannte keuchend über den Hof und in den Stall und führte den Esel heraus. Sie lief wieder in den Stall und holte die Tragkörbe und das Geschirr heraus.

Die Glocke läutete einmal, dann blieb sie still, und Kivrin hielt inne, die Gurte des Traggeschirrs in der Hand, und lauschte, wartete auf die nächsten Glockenschläge. Drei Schläge für eine Frau, dachte sie, dann fiel ihr ein, warum er aufgehört hatte. Ein Schlag für ein Kind. Ach, Rosemund.

Sie stellte die Tragkörbe neben die bereitgelegten Gegenstände und Vorräte, um zu prüfen, wie sie sich am besten gleichmäßig füllen ließen. Sie waren zu klein, um alles aufzunehmen. Sie würde dem Esel die Säcke mit Hafer und Äpfeln auf den Rücken binden müssen. Zuerst mußte sie einen Sack mit Hafer füllen. Sie fand einen im Stall, trug ihn zum Kornspeicher und hob die Körner mit den zusammengelegten Händen aus dem Haferkasten und in den Sack. Dabei verstreute sie mehrere Händevoll auf den gestampften Lehmboden, und als sie die Menge für ausreichend hielt, verknotete sie den Sack mit einem derben Strick, der neben der Box von Agnes’ Pony hing. Der Strick war dort mit einem dicken Knoten angebunden, den sie nicht lösen konnte. Schließlich mußte sie ins Küchenhaus laufen, um ein Messer zu holen und den Strick abzuschneiden.

Sie tat es und teilte ihn in kürzere Stücke, ließ das Messer am Boden liegen und ging hinaus zum Esel. Er war dabei, ein Loch in den Hafersack zu beißen. Sie legte ihm das Traggeschirr auf, zog den breiten Gurt unter dem Bauch fest und band ihm die Säcke mit den kurzen Stricken auf den Rücken. Dann hängte sie die Körbe rechts und links ein, band sie am Traggeschirr fest und füllte sie möglichst gleichmäßig mit den Dingen, die sie mitnehmen wollte. Schließlich führte sie den Esel aus dem Hof und über den Dorfanger zur Kirche.

Pater Roche war nirgendwo in Sicht. Kivrin mußte noch die Decken und die Kerzen holen, aber zuvor wollte sie die Sakramente in den Körben unterbringen. Proviant, Hafer, Decken, Kerzen. Hatte sie noch etwas vergessen?

Pater Roche erschien in der Kirchentür. Er hatte nichts in den Händen.

»Wo sind die Sakramente?« rief sie ihm zu.

Er antwortete nicht, stand ein paar Augenblicke an die Kirchentür gelehnt, starrte zu ihr herüber, und der Ausdruck in seinem Gesicht war der gleiche wie an jenem Tag, als er gekommen war, ihr vom ersten Pestopfer im Dorf zu berichten. Aber sie sind alle gestorben, dachte sie. Es ist keiner mehr übrig.

»Ich muß die Glocke läuten«, sagte er und ging über den Friedhof zum Glockenturm.

»Ihr habt sie bereits geläutet«, sagte sie. »Es ist keine Zeit für das Grabgeläute. Wir müssen aufbrechen.« Mit kältesteifen Fingern band sie den Esel an die Friedhofspforte und eilte ihm nach. Noch vor dem Glockenturm erreichte sie ihn und hielt ihn am Ärmel zurück. »Was ist geschehen?«

Er wandte sich beinahe heftig zur ihr um, und sein Gesichtsausdruck erschreckte sie. Er sah wie ein Halsabschneider, ein Mörder aus. »Ich muß die Vesperglocke läuten«, sagte er und schüttelte ihre Hand ab.

Lieber Gott, nein, dachte Kivrin.

»Es ist erst Mittag«, sagte sie. »Es ist noch nicht Zeit für die Vesper.« Er ist bloß müde, dachte sie. Wir sind beide so müde, daß wir nicht klar denken können. Wieder griff sie nach seinem Ärmel. »Kommt, Pater Roche. Wir müsse gehen, wenn wir bis Dunkelwerden den Wald hinter uns bringen wollen.«

»Es ist schon zu spät«, sagte er, »und ich habe noch nicht geläutet. Frau Imeyne wird zornig sein.«

Lieber Gott, nein, dachte sie wieder. Laß es nicht geschehen.

»Ich werde die Glocke läuten«, sagte sie und trat vor ihn hin, um ihm den Weg zu sperren. »Ihr müßt Euch niederlegen und ausruhen.«

»Es wird dunkel«, sagte er ungeduldig. Er öffnete den Mund, als wollte er sie anschreien, und ein Schwall von Erbrochenem und Blut ergoß sich aus ihm und über Kivrins Wams.

Er blickte bestürzt auf ihre beschmutzte Kleidung.

Alle Heftigkeit war so plötzlich aus seinen Zügen gewichen, wie sie hineingekommen war.

»Kommt, Ihr müßt Euch niederlegen«, sagte sie und dachte, daß sie es niemals bis zum Herrenhaus schaffen würden.

»Bin ich krank?« sagte er, noch immer auf ihr mit blutigem Mageninhalt bedecktes Wams starrend.

»Nein, Ihr seid nur müde, müßt ruhen.«

Sie führte ihn zur Kirche. Er stolperte, und sie dachte: Wenn er fällt, bringe ich ihn nie mehr auf die Beine. Sie half ihm hinein, hielt die schwere Tür mit dem Rücken auf und setzte ihn an der Wand nieder.

»Ich fürchte, die Arbeit hat mich ermüdet«, sagte er und ließ den Kopf gegen den kalten Stein zurücksinken. »Ich würde gern ein wenig schlafen.«

»Ja, schlaft«, sagte Kivrin. Sobald er die Augen geschlossen hatte, lief sie zurück zum Herrenhaus, um Decken und ein Polster für ein Lager zu machen. Als sie mit den Sachen außer Atem zurückkehrte, war er nicht da.

»Pater Roche!« Sie spähte in das dunkle Kirchenschiff. »Wo seid Ihr?«

Niemand antwortete. Sie lief wieder hinaus, das Bettzeug an ihr nasses, mit Brunnenwasser notdürftig gesäubertes Lederwams gedrückt, aber er war weder im Glockenturm noch auf dem Friedhof, und bis zum Haus konnte er es schwerlich geschafft haben. Sie eilte zurück in die Kirche und durch das Kirchenschiff nach vorn, und da war er, kniete vor der Statue der heiligen Katharina.

»Ihr mußt Euch niederlegen«, sagte sie und breitete die Decken am Boden aus.

Er legte sich gehorsam auf das provisorische Lager, und sie schob ihm das Polster unter den Kopf. »Es ist die Pest, nicht wahr?« fragte er, zu ihr aufblickend.

»Nein«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Ihr seid nur sehr müde, das ist alles. Versucht zu schlafen.«

Er drehte sich auf die Seite, weg von ihr, aber schon ein paar Minuten später richtete er sich auf und stieß die Decken von sich. »Ich muß die Vesperglocke läuten«, sagte er anklagend, und Kivrin hatte alle Mühe, ihn am Aufstehen zu hindern. Als er eindämmerte, zündete sie die Talglichter vor der Statue an.

»Tue ihm das nicht an«, murmelte sie wieder und wieder, ohne es zu wissen. »Bitte, lieber Gott, bitte! Tue ihm das nicht an.«

Er öffnete die Augen. »Sicherlich muß Gott solch inständige Gebete erhören«, sagte er und sank in tieferen, ruhigeren Schlaf.

Kivrin lief hinaus, nahm dem Esel die Traglast ab und band ihn los, öffnete den Hafersack und ließ ihn den Kopf hineinstecken. Dann trug sie den Proviant und die Laterne in die Kirche. Pater Roche schlief noch. Sie verließ ihn abermals und rannte über den Dorfanger zum Hof, wo sie einen Eimer frisches Wasser aus dem Brunnen zog.

Er schien noch immer nicht erwacht zu sein, aber als Kivrin einen Streifen Stoff, den sie vom Altartuch gerissen hatte, in kaltem Wasser ausdrückte und ihm auf die Stirn legte, sagte er, ohne die Augen zu öffnen: »Ich fürchtete, daß Ihr fortgegangen wäret.«

Sie wischte ihm das verkrustete Blut vom Kinn. »Ich würde nicht ohne Euch nach Schottland gehen.«

»Nicht nach Schottland«, sagte er. »Zum Himmel.«

Sie aß ein wenig hartes Fladenbrot und Käse aus dem Proviantsack und versuchte zu schlafen, aber es war zu kalt. Im Schein der Talglichter stand ihr der Atem in einer Dampfwolke vor dem Gesicht. Sie ging hinaus, brach den Stangenzaun vor einer der Hütten ab und machte ein Feuer vor dem Lettner, aber es füllte den Kirchenraum bald mit Rauch, obwohl sie die Tür mit einem Stein offenhielt. Pater Roche hustete und mußte wieder erbrechen. Diesmal war beinahe alles Blut. Sie löschte das Feuer und unternahm zwei weitere Gänge zum Gutshof, um alles an Pelzen und Decken herbeizuschaffen, was sie finden konnte, und aus ihnen eine Art Nest zu machen.

Im Laufe der Nacht stieg sein Fieber. Er versuchte sich von den Decken zu befreien und wütete im Fieberwahn gegen ungesehene Feinde, meistens mit Worten, die ihr unverständlich blieben, doch einmal sagte er mit klarer Stimme: »Geh, sei verflucht!« und immer wieder: »Es wird dunkel.«