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Badri blickte stirnrunzelnd in den Bildschirm, zog ein Meßgerät aus der Tasche und ging zu dem Fuhrwerk.

»Badri!« rief Dunworthy.

Badri gab durch nichts zu erkennen, daß er ihn gehört hatte. Er ging um die Kisten und Körbe herum und blickte auf sein Meßgerät. Er verschob eine der Kisten etwas nach links.

»Er kann Sie nicht hören«, sagte Mary.

»Badri!« rief er. »Ich muß mit Ihnen reden.«

Mary war aufgestanden. »Er kann Sie nicht hören, James«, sagte sie. »Die Trennwand ist schalldicht.«

Badri sagte etwas zu Latimer, der immer noch den messingbeschlagenen Kasten hielt. Latimer schaute verwirrt drein. Badri nahm ihm den kleinen Kasten aus den Händen und legte ihn auf die Kreidemarkierung.

Dunworthy hielt Ausschau nach einem Mikrofon. Er konnte keines sehen. »Wie war es Ihnen möglich, Gilchrists Ansprache zu hören?« fragte er Mary.

»Gilchrist drückte auf der anderen Seite auf einen Kopf«, sagte sie und deutete zu einer Schalttafel an der Wand neben dem Netz.

Badri hatte sich wieder an die Konsole gesetzt und sprach ins Mikrofon. Die Netzabschirmungen begannen sich herabzusenken. Badri sagte wieder etwas, und sie wurden in die frühere Position aufgezogen.

»Ich sagte Badri, er solle alles nachprüfen, das Netz, die Berechnungen des Lehrlings, alles«, sagte er, »und das Absetzen sofort unterbrechen, sollte er irgendwelche Fehler finden, ganz gleich, was Gilchrist sagen würde.«

»Aber Gilchrist würde niemals Kivrins Sicherheit gefährden«, protestierte Mary. »Er sagte mir, er habe alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen…«

»Alle Sicherheitsvorkehrungen! Er hat keine Aufklärungstests oder Parameterprüfungen durchgeführt. Im 20. Jahrhundert machten wir zwei Jahre lang unbemannte Aufklärungstests, bevor wir jemanden absetzten. Er hat nichts dergleichen getan. Badri sagte ihm, er solle das Absetzen verschieben, bis er wenigstens einen unbemannten Test gemacht hätte; statt dessen verlegte er den Termin um zwei Tage vor. Der Mann ist völlig unfähig.«

»Aber er erklärte, warum das Absetzen heute erfolgen müsse«, sagte Mary. »In seiner Ansprache erläuterte er, daß die Zeitgenossen um 1300 nicht auf Daten achteten, außer auf Aussaat- und Erntezeiten und Kirchenfeiertage. Er sagte, die Konzentration der Feiertage sei um Weihnachten am größten, und darum habe der Fachbereich Mittelalter entschieden, Kivrin jetzt zu entsenden. So könne sie die Adventfeiertage nutzen, um ihre zeitliche Position zu bestimmen und sicherzustellen, daß sie am 28. Dezember wieder am Absetzort sein würde.«

»Daß er sie jetzt schickt, hat nichts mit Advent oder Feiertagen zu tun«, sagte er, ohne Badri aus den Augen zu lassen. Er tippte wieder mit einem Finger auf der Tastatur herum und runzelte die Stirn. »Er könnte sie nächste Woche schicken und Dreikönig als Rückholtermin festsetzen. Er könnte sechs Monate lang unbemannte Tests machen und sie dann mit Zeitverkürzung schicken. Aber Gilchrist setzt sie jetzt ab, weil Basingame in Ferien ist und ihn nicht an seinem Vorhaben hindern kann.«

»Ach du liebe Zeit«, sagte Mary. »Ich dachte mir auch, daß er die Dinge überstürzt. Als ich ihm sagte, wie lange ich Kivrin im Krankenhaus brauchte, versuchte er es mir auszureden. Ich mußte ihm erklären, daß ihre Schutzimpfungen Zeit benötigen, um wirksam zu werden.«

»Ein Rückholtermin am 28. Dezember«, sagte Dunworthy mit Bitterkeit. »Wissen Sie, was für ein Feiertag das ist? Das Fest der Unschuldigen Kinder, die Herodes abschlachten ließ. Was angesichts der Umstände, wie dieses Absetzen gehandhabt wird, durchaus passend sein mag.«

»Warum können Sie es nicht verhindern?« sagte Mary. »Sie können Kivrin die Teilnahme verbieten, nicht wahr? Sie sind ihr Studienleiter.«

»Nein, bin ich nicht«, sagte er. »Sie studiert am Brasenose College. Latimer ist ihr Studienleiter.« Er winkte in die Richtung, wo Latimer den messingbeschlagenen Kasten wieder aufhob und hineinspähte. »Sie kam zum Balliol College und bat mich, sie inoffiziell zu unterrichten.«

Er starrte stirnrunzelnd durch das dünne Glas der Trennscheibe. »Ich sagte ihr gleich, daß sie nicht gehen könne.«

Kivrin war schon als Studienanfängerin zu ihm gekommen. »Ich möchte ins Mittelalter gehen«, hatte sie gesagt. Sie war nicht mal einsfünfzig groß, und ihr blondes Haar war in Zöpfe geflochten. Sie hatte nicht alt genug ausgesehen, um allein die Straße zu überqueren.

»Das geht nicht«, hatte er gesagt, sein erster Fehler. Er hätte sie zum Fachbereich Mittelalter zurückschicken und ihr sagen sollen, daß sie die Sache mit ihrem Studienleiter besprechen solle. »Das Mittelalter ist geschlossen. Es hat eine Einstufung von zehn.«

»Eine Unterdrückungszehn«, sagte Kivrin, »die es nicht verdient, sagt Mr. Gilchrist. Er sagt, daß diese Einstufung einer Jahr-für-Jahr-Analyse niemals standhalten würde. Sie beruhe auf der Sterblichkeitsrate der Zeitgenossen, die hauptsächlich auf schlechte Ernährung und fehlende medizinische Versorgung zurückzuführen sei. Die Einstufung würde für einen Historiker, der gegen Krankheiten geimpft ist, nicht annähernd so hoch sein. Mr. Gilchrist beabsichtigt die Geschichtswissenschaftliche Fakultät um eine Neubewertung der Einstufung und die Öffnung eines Teils des 14. Jahrhunderts zu ersuchen.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Fakultät ein Jahrhundert öffnet, das nicht nur den Schwarzen Tod und die Cholera hatte, sondern auch den Hundertjährigen Krieg«, sagte Dunworthy.

»Aber es könnte sein, und wenn es geschieht, möchte ich gehen.«

»Es ist unmöglich«, sagte er. »Selbst wenn es geöffnet würde, könnte der Fachbereich Mittelalter keine Frau entsenden. Eine unbegleitete Frau war im 14. Jahrhundert unerhört. Nur Frauen der untersten Schicht gingen allein, und sie waren Freiwild für jeden Mann und jedes Tier, denen sie begegneten. Frauen des Adels und sogar des aufkommenden Bürgertums wurden ständig von ihren Vätern oder Ehemännern oder ihren Dienern begleitet, gewöhnlich von allen dreien, und selbst wenn Sie keine Frau wären, Sie sind eine Studentin. Das 14. Jahrhundert ist viel zu gefährlich, als daß der Fachbereich daran denken könnte, einen Studenten zu schicken. Er würde einen erfahrenen Historiker absetzen.«

»Es ist nicht gefährlicher als das 20. Jahrhundert«, sagte Kivrin. »Senfgas und Bombenteppiche und Autounfälle. Wenigstens wird niemand eine Bombe auf mich fallen lassen. Und wer ist ein erfahrener Historiker für das Mittelalter? Niemand hat praktische Erfahrungen an Ort und Stelle gesammelt, und Ihre auf das 20. Jahrhundert spezialisierten Historiker hier im Balliol College wissen überhaupt nichts vom Mittelalter. Niemand weiß etwas. Es gibt kaum verläßliche Aufzeichnungen außer Kirchenbüchern und Steuerlisten, und kein Mensch weiß wirklich, wie das Leben der Menschen war. Darum möchte ich gehen. Ich möchte in Erfahrung bringen, wie sie waren und wie sie lebten. Wollen Sie mir nicht bitte dabei helfen?«

Schließlich sagte er: »Ich fürchte, Sie werden mit dem Fachbereich Mittelalter darüber sprechen müssen«, aber es war zu spät.

»Das habe ich bereits getan«, sagte sie. »Dort wissen sie auch nichts über das Mittelalter. Ich meine, nichts Praktisches. Mr. Latimer lehrt mich Mittelenglisch, aber das ist nichts als pronominale Beugungen und Lautverschiebungen. Er hat mir nicht beigebracht, etwas zu sagen. Aber ich muß die Sprache und die Gebräuche wissen«, sagte sie und beugte sich über Dunworthys Schreibtisch. »Ich muß über das Geld und die Tischsitten und so weiter Bescheid wissen. Wußten Sie, daß sie keine Teller verwendeten? Sie hatten flache Brotfladen, die Manchets genannt wurden, und wenn sie das Fleisch davon gegessen hatten, brachen sie sie in Stücke und aßen sie. Ich brauche jemanden, der mir solche Dinge beibringt, damit ich keine Fehler mache.«