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»Ja, ich glaube, ich werde mir auch etwas gönnen«, sagte er. »Schließlich ist es ein großer Tag. Ein Glas Brandy, denke ich. ›Her wirt, tragent her nu win! Vrolich suln wir bi dem sin.‹« Er fummelte mit dem Schirmband, dessen Druckknopf immer wieder aufsprang, so daß die Schirmrippen sich immer wieder abspreizten. »Endlich haben wir die Gelegenheit, den Verlust der adjektivischen Beugung und die Verschiebung zum Nominativ Singular aus erster Hand zu beobachten.«

Ein großer Tag, dachte Dunworthy, aber er fühlte sich gegen seinen Willen erleichtert. Die Verschiebung war seine größte Sorge gewesen. Sie war der unberechenbarste Teil einer Absetzoperation, auch wenn Parameterüberprüfungen gemacht wurden.

Die Theorie besagte, daß es der Sicherheits- und Unterbrechungsmechanismus des Netzes selbst sei, die Methode der Zeit, sich vor Paradoxien des Kontinuums zu schützen. Die Verschiebung vorwärts in der Zeit verhinderte vermutlich Kollisionen oder Begegnungen oder Handlungen, welche die Geschichte beeinflussen würden, schleusten den Historiker am kritischen Augenblick vorbei, in dem er eine unbedachte Handlung mit weitreichenden Folgen begehen könnte.

Aber die Netztheorie hatte niemals bestimmen können, welches diese kritischen Augenblicke waren oder wieviel Verschiebung eine gegebene Absetzoperation zur Folge haben würde. Die Parameterüberprüfungen ergaben Wahrscheinlichkeiten, aber Gilchrist hatte keine durchgeführt. Kivrins Absetzen mochte um zwei Wochen oder einen Monat neben dem anvisierten Zeitpunkt liegen. Soviel Gilchrist wußte, konnte sie im April durchgekommen sein, mit ihrem pelzgefütterten Umhang und dem Winterkittel.

Aber Badri hatte von minimaler Verschiebung gesprochen. Das bedeutete, daß Kivrin nicht mehr als ein paar Tage abgekommen war, und so war reichlich Zeit, das Datum herauszufinden und die Rückholung vorzubereiten.

»Mr. Gilchrist?« sagte Mary. »Kann ich Ihnen einen Brandy bringen?«

»Nein danke«, sagte er.

Mary suchte nach einer weiteren zerdrückten Pfundnote und ging zur Theke.

»Ihr Techniker scheint ganz passable Arbeit geleistet zu haben«, sagte Gilchrist, zu Dunworthy gewandt. »Wir würden ihn gern für unsere nächste Absetzoperation ausleihen. Dann werden wir Miss Engle in das Jahr 1355 schicken, um die Auswirkungen des Schwarzen Todes zu beobachten. Zeitgenössische Berichte sind absolut unzuverlässig, besonders auf dem Gebiet der Sterblichkeitsraten. Die angenommene Zahl von fünfzig Millionen Toten ist sicherlich ungenau, und Schätzungen, daß ein Drittel bis die Hälfte der europäischen Bevölkerung von der Seuche dahingerafft wurde, sind offensichtlich übertrieben. Mir liegt daran, daß Miss Engle geschulte Beobachtungen macht.«

»Ist das nicht ziemlich voreilig?« sagte Dunworthy. »Vielleicht sollten Sie erst einmal abwarten, ob es Kivrin gelingt, diese Absetzoperation zu überleben oder wenigstens sicher nach 1320 durchzukommen.«

Gilchrists Gesicht nahm seinen verkniffenen Ausdruck an. »Es kommt mir ein wenig ungerecht vor, daß Sie ständig annehmen, der Fachbereich Mittelalter sei unfähig, eine erfolgreiche Absetzoperation auszuführen«, sagte er. »Ich versichere Ihnen, daß wir sie in jedem Aspekt sorgfältig durchdacht haben. Die Methode von Kivrins Ankunft ist in allen Einzelheiten erforscht und untersucht worden.

Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung beträgt die Frequenz von Reisenden auf der Landstraße von Oxford nach Bath einen alle 1,6 Stunden, und sie läßt erkennen, daß Kivrins Geschichte von einem Überfall mit einer Gewißheit von 92 Prozent als glaubwürdig betrachtet wird. Ein Wanderer in Oxfordshire kann im Winter mit 42,5 Prozent Gewißheit damit rechnen, Opfer eines Raubüberfalls zu werden, im Sommer mit 58,6 Prozent. Das sind natürlich Durchschnittswerte. Die Wahrscheinlichkeit lag in Teilen von Otmoor und Wychwood und auf den kleineren Straßen noch wesentlich darüber.«

Dunworthy wunderte sich, wie in aller Welt diese Wahrscheinlichkeitsrechnungen zustande gekommen waren. Das Doomsday Book führte keine Diebe und Räuber auf, mit der möglichen Ausnahme der königlichen Steuereintreiber, die manchmal mehr nahmen, als der Krone zustand, und die Halsabschneider der damaligen Zeit hatten sicherlich keine Aufzeichnungen über die Zahl derer hinterlassen, die sie beraubt und ermordet hatten, geschweige denn Angaben über Ort und Zeit ihrer Untaten. Beweise für Todesfälle fern der Heimat waren beinahe ausschließlich de facto gewesen: der oder die Betreffende war nicht zurückgekehrt. Und wie viele Leichen Erschlagener hatten in den Wäldern gelegen, unentdeckt und von niemandem bestattet?

»Ich kann Ihnen versichern, daß wir jede nur denkbare Vorsichtsmaßnahme getroffen haben, um Kivrin zu schützen«, sagte Gilchrist.

»Wie Parameterüberprüfungen?« entgegnete Dunworthy. »Und unbemannte Erprobungen und Symmetrietests?«

Mary kam zurück. »Da sehen Sie, Mr. Latimer«, sagte sie und setzte ihm ein Glas Brandy vor. Sie hängte Latimers nassen Regenschirm über die Rückenlehne der Holzbank und setzte sich zu ihm.

»Ich versicherte Mr. Dunworthy gerade, daß jeder Aspekt dieser Absetzoperation auf das gründlichste erforscht und vorbereitet worden ist«, sagte Gilchrist. Er nahm die Plastikfigur eines der Heiligen drei Könige auf, die einen goldenen Kasten trug. »Das messingbeschlagene Kästchen in ihrem Wagen ist eine genaue Nachbildung einer Schmuckschatulle im Ashmolean Museum.« Er stellte die Figur wieder zurück. »Sogar ihr Name wurde sorgfältig recherchiert. Isabel ist der Frauenname, der in den Gerichtsakten und der Regista Regum zwischen 1295 und 1320 am häufigsten aufgeführt ist.«

»Es handelt sich um eine Abwandlung von Elisabeth«, sagte Latimer, als befände er sich in einer seiner Vorlesungen. »Sein verbreiteter Gebrauch in England nach dem 12. Jahrhundert wird auf Isabel von Angoulême zurückgeführt, der Gemahlin König Johanns.«

»Kivrin erzählte mir, sie habe eine tatsächliche Identität bekommen, daß Isabel de Beauvrier eine der Töchter eines Edelmannes aus Yorkshire gewesen sei«, sagte Dunworthy.

»So ist es«, bestätigte Gilchrist. »Gilbert de Beauvrier hatte vier Töchter von ungefähr passendem Alter, aber ihre Vornamen waren in den Verzeichnissen nicht aufgeführt. Das war eine übliche Praxis. Frauen wurden häufig nur mit Nachnamen und Verwandtschaftsverhältnis angegeben, sogar in Kirchenregistern und auf Grabsteinen.«

Mary legte eine hemmende Hand auf Dunworthys Arm. »Warum wählten Sie Yorkshire?« fragte sie schnell. »Das entfernt sie doch ungewöhnlich weit von ihrer Heimat, nicht?«

Sie ist siebenhundert Jahre von der Heimat entfernt, dachte Dunworthy, in einem Jahrhundert, das Frauen nicht einmal soviel Wert beimaß, daß ihre Vornamen angegeben wurden, wenn sie starben.

»Miss Engle schlug das selbst vor«, sagte Gilchrist.

»Sie meinte, ein so entfernter Familiensitz würde sicherstellen, daß kein Versuch unternommen würde, die Familie zu verständigen.«

Oder um sie dorthin zu schaffen, viele Meilen vom Absetzort entfernt. Kivrin hatte es vorgeschlagen. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Sache vorgeschlagen und Steuerlisten und Kirchenregister nach einer Familie durchforscht, die eine Tochter passenden Alters, keine Verbindungen zum Hof hatte und so weit entfernt lebte, daß der Schnee und die unpassierbaren Landstraßen es unmöglich machen würden, einen Boten auszusenden und der Familie zu sagen, daß eine vermißte Tochter gefunden worden sei.

»Die gleiche sorgfältige Aufmerksamkeit haben wir jedem Detail dieses Vorhabens gewidmet«, sagte Gilchrist, »bis hin zum Vorwand ihrer Reise, der Erkrankung ihres Bruders. Wir vergewisserten uns, daß es in diesem Teil von Gloucestershire 1319 eine Grippeepidemie gegeben hatte, obwohl Krankheit während des Mittelalters eine ständige und überall verbreitete Erscheinung war. Genauso leicht hätte er sich die Cholera oder eine Blutvergiftung zuziehen können.«