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Dean sah an Castiel vorbei. Aus einem Büro blickte ein unrasierter Mittdreißiger vollkommen überrascht seine Besucher an. Sein weißes Oxfordhemd war bis zu den Ellenbogen aufgekrempelt und seine Krawatte gelockert. Er hatte sich gerade eine Zigarette anzünden wollen, die er nun überrascht an seiner Unterlippe hängen hatte.

„Die Tür war offen“, sagte Dean.

„Nein, war sie nicht.“

„Sind Sie der Gerichtsmediziner?“

„Wer will das wissen?“

Dean zeigte seinen Dienstausweis.

„Agent Townes, FBI. Das hier ist Agent … Zevon.“ Bevor Castiel etwas erwidern konnte, fuhr Dean fort: „Sheriff Daniels hat uns den Zugangscode gegeben, für den Fall, dass sie zu beschäftigt sind.“

Der Gerichtsmediziner betrachtete Dean, Castiel und die offene Tür hinter ihnen einen langsamen Herzschlag lang. Dann führte er das Feuerzeug an die Zigarette und hielt die Flamme an die Spitze.

„Ich bin Todd Winston. Und ja, ich bin der Gerichtsmediziner.“

Er zog an der Zigarette und blies anschließend eine Rauchwolke aus dem Mundwinkel. „Aber Sheriff Daniels hat Ihnen gewiss nicht den Zugangscode gegeben. Sie ist kein sonderlicher Freund des FBI.“

„Oh, verflixt und zugenäht, Cletus, das schmerzt mich wirklich sehr“, sagte Dean. „Wie wäre es denn, wenn wir aufhören, uns um den Sheriff zu sorgen, und Sie uns stattdessen die Leiche zeigen?“

Leise vor sich hin meckernd führte Winston sie über eine Laderampe und dann den Flur hinunter zu einem kleinen Büro, in das er hineinschlüpfte. Als Dean ihm hinterhersah, fiel ihm auf, dass die Wände vom Boden bis zur Decke mit dicken gebundenen Büchern bedeckt waren, von denen die meisten noch in ihren Schutzumschlägen steckten.

Als Winston wieder herauskam, hielt er einen Schlüsselbund in der Hand. Er führte sie um die Ecke und einen weiteren, noch schmaleren Gang entlang. Dann trat er durch eine Tür in einen Lagerraum, der von der Decke mittels langer Leuchtstoffröhren beleuchtet wurde, die alles in ein kaltes, klärendes Licht tauchten. Während es in den anderen Räumen des Gebäudes angenehm kühl war, herrschte hier Eiseskälte. Dean war nun doch froh darüber, dass er einen Anzug trug.

In der Mitte des Zimmers stand ein Stahltisch mit einem Abfluss darunter. Er war von Kästen mit sterilisierten Instrumenten und Kanistern mit Flüssigkeiten und anderem Zubehör umgeben. Eine halb ausgetrunkene Wasserflasche stand an der Seite.

Dean zögerte. Der altbekannte Geruch von Desinfektionsmitteln und chemischen Konservierungsstoffen kitzelte ihn in der Nase. Winston zog sich währenddessen Gummihandschuhe und einen Kittel an, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Wand am anderen Ende des Raums und legte seine Hand auf einen Knauf. Der Gerichtsmediziner drehte ihn und zog dann mit merklichem Krafteinsatz eine gut zwei Meter lange Schublade heraus. Anschließend entfernte er die Abdeckung aus Edelstahl und zeigte auf den Inhalt des Behälters.

„Ist das Ihr Junge?“, fragte Winston.

Dean sah auf den Toten hinunter. Die Leiche von Dave Wolverton sah blass, nackt und irgendwie platt gedrückt aus. Alles in allem wirkte sie auf ihn noch dürrer und mitleiderregender, als er es erwartet hatte. Trotz all der Bemühungen Wolvertons, sich wie ein Bürgerkriegssoldat zu kleiden und zu handeln, hatte es ironischerweise der Nacktheit und Ruhe bedurft, um seine Verwandlung zu vervollkommnen. Die Stichwunde unterhalb seines Kinns war gereinigt und zugenäht worden. Der typische Y-Schnitt des Gerichtsmediziners war noch frisch, sodass das Fleisch an den Stellen roh und rosa aussah, an denen die Schere durch Wolvertons Brusthöhle geschnitten hatte. Am Brustbein des dürren Mannes und an der fast ausgemergelt zu nennenden Höhlung seines Bauches wuchsen kleine Haarbüschel. Es war eine Leiche, die auch aus dem Zelt eines Feldchirurgen im Jahr 1864 hätte stammen können.

Sieht aus, als wäre er hungrig gestorben, ging es Dean durch den Kopf, und die Zufälligkeit dieses Gedankens überraschte ihn.

Er starrte auf Wolvertons Gesicht, dessen eingefallene Wangen und schlaffen Lippen. Selbst tot und erschlafft hatte das Gesicht noch einen merkwürdig anzüglichen Ausdruck, der Dean nervös machte. Ihm wurde klar, dass er mit dieser Leiche nicht länger in einem Raum sein wollte, als er unbedingt musste.

„Haben Sie bei der Autopsie irgendetwas Merkwürdiges gefunden?“, fragte Dean.

„Nicht wirklich“, sagte Winston.

„Toxikologischer Bericht?“

„Noch nicht da.“ Er zog noch einmal an seiner Zigarette, dann sah er sich nach einem Aschenbecher um. Eine benutzte Kaffeetasse tat es auch.

„Sie machen das nicht selbst?“

Winston schüttelte den Kopf.

„Das Labor des Gerichtsmediziners unten in Waldorp City kümmert sich darum. Habe hier nicht die nötige Ausrüstung.“

„Nun, das wäre doch mal was für den Wunschzettel zu Weihnachten, oder?“ Dean bückte sich, um die Haut an Wolvertons Hals näher zu betrachten, insbesondere die Blutergüsse, die Sam schon auf den Fotos aufgefallen waren. „Was ist das denn?“

„Abschürfungen. Seilbrand.“

„Woher hat er das?“

„Seil“, sagte Winston ohne auch nur einen Anflug von Humor. „Vielleicht eine Art Schnur.“

„Danke!“, sagte Dean. „Dann bin ich ja jetzt schlauer.“

Winston schien der Sarkasmus in Deans Worten völlig zu entgehen.

„Es war nichts um den Hals der Leiche gewickelt, als der Sheriff sie herbrachte. Auch keine Spuren von Fasern in Haut. Und die würde man sehen.“

„Es gibt andere Möglichkeiten die Seele des Menschen zu binden“, sagte Castiel und beugte sich vor, um die Hämatome auf beiden Seiten von Wolvertons Hals zu berühren. „Einige Formen dämonischer Fesselung sind nicht so einfach zu entdecken.“

„Fesselung?“ Winston blickte Dean an. „Wovon zur Hölle redet er?“

„Vergessen Sie’s!“, sagte Dean. „Gibt es eine Liste der Sachen, die Wolverton bei sich hatte, als er starb?“

„Das Büro des Sheriffs ist noch dabei, alles abzutippen.“ Er sah zur Tür. „Mir fällt gerade ein, ich muss noch mal telefonieren.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er hinaus und ließ Dean und Castiel mit der Leiche allein.

„Hm, also, dann können wir das hier ebenso gut mal probieren“, sagte Dean, warf seinem Begleiter einen Blick zu und griff in die Gesäßtasche seiner Hose. Von dort zog er eine Karteikarte hervor und begann das Rituale Romanum vorzulesen.

„Deus, et Pater Domini nostri Jesu Christi, invoco nomen sanctum tuum …“

„Du kannst das immer noch nicht auswendig?“, fragte Castiel absolut ernst.

„Es hat mir gestunken, dass mich alle dauernd verbessert haben, also habe ich es aufgeschrieben“, sagte Dean und las weiter.

„… et celmentiam tuam supplex exposo …“

Ohne Vorwarnung zuckte Wolvertons Leiche ein wenig in ihrer Kiste. Es war ein kaum merklicher Impuls, doch gerade stark genug, dass eine Hand sich erst zusammenkrampfte und dann mit der Handfläche nach oben liegen blieb. Die Finger zitterten und zuckten.

Der Kopf des Toten drehte sich ein Stück zur Seite.

„… ut adversus hunc, et omen immundum spiritum …“

„Da passiert etwas“, sagte Castiel.

Dean hielt inne und sah nach unten.

Etwas Schwarzes trat aus Wolvertons linkem Ohr aus. Zuerst dachte Dean, es wäre eine Art Flüssigkeit, aber dann wurde ihm klar, dass es sich um etwas Lebendiges handelte. Winzige wimpernartige Beinchen – Dutzende von ihnen – zappelten um seinen Körper herum. Dann begann das schwarze Etwas mit einer merkwürdig zielgerichteten Geschwindigkeit wie eine missgestaltete Schabe über Wolvertons bleiche Wange zu huschen. Es sah so aus, als ob es Kurs auf seine Augen nähme.

Dean starrte das Ding an, und es blieb wie angewurzelt stehen.