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Sam klappte den Laptop auf und blickte zu Dean hinüber.

„Wo ist Cass?“

Dean zuckte mit den Schultern.

„Erledigt irgendwelche himmlischen Geschäfte, nehme ich an.“ Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, aber das Bier schien ihm nicht zu bekommen. „Schockierende Neuigkeiten: Dave Wolverton war mehr als nur ein einfacher Kellner aus einem beliebigen Flughafenrestaurant. Ich habe über seiner Leiche die Exorzismus-Formel gesprochen, und die Sache wurde ruck, zuck ziemlich hässlich.“

„Was ist passiert?“, fragte Sam.

„Es hat sich herausgestellt, dass Cass“ Zeuge ’ne hübsche kleine Visitenkarte hinterlässt. So ein Ding namens Moa’ah. Das Vieh ist mir das Bein hochgekrabbelt. Cass musste es mit Weihwasser wegbrennen.“

„Moa’ah?“ Sam wandte sich der Tastatur zu. „Wie schreibt sich das?“

„Oh verdammt, weißt du, Sammy, ich habe glatt vergessen, auf sein Namensschild zu schauen.“ Dean nahm einen Schluck Bier. „Mir geht es übrigens gut.“

„Sorry. Ich wollte nur …“

„Vergiss es!“, sagte Dean. „Wir rufen Bobby an und fragen, ob er mal was von dem Vieh gehört hat. Hast du bei der Historischen Gesellschaft etwas herausgefunden?“

„Hm – wenn ich nur ein Signal bekäme – ja!“ Während er seine Mails abrief, erzählte Sam seinem Bruder von der Begegnung mit Tommy und Nate.

„Alte Scheiße!“, sagte Dean. „Nun, wenigstens war dein Typ kein heimlicher Perverser. Es ist schön, bei diesem Job ein bisschen Hilfe zu bekommen.“

Sam nickte zustimmend und öffnete Nates E-Mail. Er lud den Anhang herunter und drehte den Laptop so, dass Dean das Foto des alten Jubal Beauchamp betrachten konnte.

„Das ist unser Mann“, sagte er. „Der ursprüngliche Mann.“

„Und lass mich raten, diese Schlinge um seinen Hals …?“

„… ist nicht einfach irgendeine alte Schlinge.“ Sam drückte eine Taste, vergrößerte das Bild und korrigierte die Auflösung so, dass es wieder scharf wurde. Dann zeigte er auf etwas. „Was ist das?“

„Knoten?“

„Sie scheinen irgendeine spezielle Anordnung zu haben.“ Sam klickte auf einen Link, und ein neues Fenster öffnete sich. Es zeigte das Bild eines alten Stichs mit einem Seil, das zu komplizierten, ineinander verschlungenen Mustern geknotet war. „Hast du schon einmal etwas von der Judasschlinge gehört?“, fragte er.

Dean klatschte mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Ich hab es verdammt noch mal gewusst.“

„Was gewusst?“

„Judas“, antwortete Dean mit gedämpfter Stimme. „Er muss dieser Zeuge sein.“

„Hör dir das an“, sagte Sam. „Der Überlieferung nach kann derjenige, dem es gelingt, die genaue Kombination der Knoten, die Judas verwendet hat, nachzubilden und sie jemandem um den Hals zu legen, einen sehr starken, dämonischen Fluch freisetzen. Der Träger bekommt teuflische Kräfte, die Schlinge schützt ihn vor dem Tod … und bringt ihn irgendwann um den Verstand. Und zwar im gemeingefährlichen Sinn.“

Er zögerte.

„Aber das ist noch nicht alles.“

„Ist das nicht immer so?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Schlinge – was immer sie auch repräsentiert – Teil meines Albtraums war.“

„Es steckt also schon in deinem Kopf“, sagte Dean. „Wie werden wir das wieder los, bevor das Ding anfängt, mit deinem Verstand Seilspringen zu veranstalten? Es ist ja nicht so, dass du noch viel davon zu verschenken hättest.“

„Das habe ich noch nicht herausgefunden.“ Sam klappte den Bildschirm des Laptops gerade so weit zu, das er seinem Bruder in die Augen schauen konnte. „Aber aus der Tatsache, dass du hier mit leeren Händen sitzt, schließe ich, dass du die Schlinge nicht in der Leichenhalle gefunden hast.“

„Nee.“ Dean erhob sein Glas, aus dem das Bier fast gegen seinen Willen verschwunden war. „Der Gerichtsmediziner ist übrigens nur ein Werkzeug. Ein mehr oder weniger nutzloses.“

„Ja, das habe ich mir gedacht“, sagte Sam. „Sollten wir noch mal mit dem Sheriff sprechen?“

Dean winkte ab.

„Vergiss sie, die ist genauso schlimm wie er.“

„Nein, Dean …“

„Ich meine es ernst“, drängte Dean. „Ich habe darüber nachgedacht. Sie hat gesagt: ‚So wie das da.‘ Das heißt, dass sie die Waffen, die Wolverton bei dem Vorfall benutzt hat, nicht in ihrem Büro hatte. Also, wo sind die hin? Und warum will sie uns nicht helfen, obwohl sie weiß, dass wir vom FBI sind? Die stecken wahrscheinlich alle unter einer Decke. Und außerdem …“

„Dean, ich versuche dir gerade zu sagen, dass sie …“

„Scharf ist“, sagte Dean. „Klar. Glaub mir, die würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen. Aber wenn du glaubst, dass sie deshalb bei mir einen Freibrief hat …“

„Nein, ich versuche, dir zu sagen, dass sie … direkt hinter dir steht.“

Ein Anflug von Abscheu huschte über Deans Gesicht. Er drehte sich langsam um und sah, dass Sheriff Daniels neben ihnen stand, nicht mal einen Meter entfernt. Sie hatte das ganze Gespräch mitgehört und starrte Dean und Sam wütend an.

„Haben Sie gerade etwas über Ben Winston gesagt?“, fragte sie. „Bitte, reden Sie nur weiter!“

„Okay.“ Dean nickte stur und unbeugsam. „Wie wäre es damit: Er ist ein Idiot und ein Schleimer. Kennen Sie den Typen überhaupt?“

„Das sollte ich wohl“, sagte Sheriff Daniels. „Er ist mein Schwager.“

„Das hätte ich wissen sollen. Ist in dieser Stadt eigentlich jeder mit jedem verwandt?“

„Nicht nur das“, entgegnete sie. „Wir sind auch allesamt durch Inzucht degenerierte, rassistische Hinterwäldler. Also, worauf wollen Sie hinaus, Agent Van Zandt?“

„Er hat behauptet, der Toxikologiebericht wäre noch nicht gekommen. Es sind inzwischen mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen. Was ist denn da los?“

„Wir sind hier nicht New York oder Los Angeles, Herr Bundesagent“, sagte sie kühl. „Bei uns hier laufen die Uhren einen Tick langsamer.“

„Langsamer, hä? Was Sie nicht sagen.“ Dean blickte quer durch den Raum. Ein Mädchen, das vielleicht gerade mal achtzehn war, tanzte intim mit einem Biker-Typen, der wohl doppelt so alt wie sie selbst war. Er trug ein Mojo-Nixon-T-Shirt und hatte seine Hände auf die Rundungen ihrer Hinterbacken gelegt, während sie sich lasziv an ihn drückte und die Hüften kreisen ließ.

„Scheint aber so, als ob’s manchen gar nicht schnell genug gehen kann.“

„Wie bitte?“, fragte Daniels und drehte sich um, um seinem Blick zu folgen.

„Nichts. Vergessen Sie’s!“

„Nun, ich hätte da ein passendes Stichwort für Sie“, sagte sie und wandte sich erneut Dean zu, um ihn mit einem weiteren feindseligen Blick zu durchbohren. „‚Richten‘. Wie in: ‚Richte nicht, auf dass du selbst nicht gerichtet wirst!‘“ Daniels lächelte, was aber keineswegs zu einem überzeugenden Ausdruck von Gastfreundschaft geriet. „Genießen Sie Ihren Aufenthalt!“

Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und ging.

Sam und Dean hatten die Bar verlassen und waren bereits auf dem Weg zum Impala, als hinter ihnen eine Stimme ertönte. Sie drehten sich um und sahen einen jungen Rebellensoldaten in voller Montur ins Licht der Straßenlaternen treten und auf sie zukommen. Der Unbekannte sah aus, als ob er in einer Bar noch unter das Jugendschutzgesetz fallen würde – blass und dünn, mit hohen, hervortretenden Wangenknochen. Was die Mangelernährung von Bürgerkriegssoldaten anging, wirkte er fast zu authentisch. Er sah Wolvertons Leiche ziemlich ähnlich. Einen Augenblick lang fragte sich Dean, ob er vielleicht gerade einem Geist gegenüberstand, dem Wiedergänger eines toten Konföderierten. Dann sah er, dass der Graurock einen iPod bei sich hatte.