Jehuda erstattete Bericht. Seine Repositarii, seine Rechtskundigen, waren dabei, die Listen der Steuern und Abgaben zu revidieren und zu ergänzen; er werde in wenigen Wochen genaue Ziffern vorlegen. Einhundertunddreißig Sachverständige waren ins Land gerufen, zumeist aus moslemischen Gebieten, aber auch aus der Provence, aus Italien, ja, selbst aus Engelland, die Landwirtschaft, den Bergbau, das Gewerbe, das Straßennetz zu verbessern. Jehuda führte Einzelheiten an, Ziffern; er sprach frei, aus dem Gedächtnis.
Der König schien nur lässig zuzuhören. Als indes Jehuda zu Ende war, meinte er: »War nicht einmal von neuen, großen Gestüten die Rede, die du mir anlegen wolltest? Davon habe ich in deinem Vortrag nichts gehört. Auch stelltest du in Aussicht, du würdest Goldschmiedewerkstätten errichten, so daß meine Münze Gold würde prägen können. Hast du in dieser Richtung etwas unternommen?«
Jehuda hatte in seinen zahlreichen Memoranden ein einziges Mal die Verbesserung der Pferdezucht, ein einziges Mal die Errichtung von Goldschmiedewerkstätten erwähnt. Er wunderte sich über Don Alfonsos gutes Gedächtnis. »Mit Gottes und mit deiner Hilfe, Herr König«, antwortete er, »wird es vielleicht möglich sein, in hundert Monaten nachzuholen, was in hundert Jahren verabsäumt worden ist. Was in diesen drei Monaten hingestellt wurde, scheint mir kein schlechter Anfang.«
»Es ist einiges geschehen«, gab der König zu. »Aber ich bin nicht geschickt in der Kunst des Wartens. Ich sag es dir offen, Don Jehuda, der Schaden, den du mir bereitest, scheint mir größer als der Nutzen. Vorher haben meine Barone, wenn auch widerwillig und mit Vorbehalt, Beisteuern für Kriegszwecke bezahlt; das waren, berichtet man mir, die Haupteinkünfte meines Schatzes. Jetzt, da du mein Escrivano bist, berufen sie sich auf den langen Frieden, der vor uns gähnt, und zahlen nichts mehr.«
Daß der König das Erreichte so danklos hinnahm und ihm weithergeholte Vorwürfe machte, verdroß Jehuda. Er bedauerte, daß Doña Leonor nach Burgos zurückgekehrt war; ihre helle, heitere Gegenwart hätte das Gespräch freundlicher gewendet. Aber er schluckte den Unmut hinunter und erwiderte mit ehrerbietiger Ironie: »Darin gleichen deine Granden deinen nichtprivilegierten Untertanen. Wenn es ans Zahlen geht, suchen sie alle nach Ausflucht. Aber die Argumente deiner Barone sind brüchig, und meine geübten Repositarii können sie mit guten Gründen widerlegen. Ich werde dich bald in aller Demut bitten, einen Mahnbrief an deine Ricoshombres zu unterzeichnen, der sich auf diese Gründe stützt.«
Sosehr die Unverschämtheit und der Stolz seiner Granden den König erbitterten, es ärgerte ihn, daß der Jude ohne Achtung von ihnen sprach. Es ärgerte ihn, daß er den Juden brauchte. Er bestand: »Du warst es, der mir diese höllischen acht Jahre Waffenstillstand aufgehalftert hat. Jetzt muß ich mir mit Händler- und Schreiberkniffen zu helfen suchen.«
Jehuda bezähmte sich. »Deine Räte«, antwortete er, »haben damals zugegeben, daß ein langer Friede dir ebenso nützt wie dem Emir von Sevilla. Ackerbau und Gewerbe sind verwahrlost. Deine Barone bedrücken Bürger und Bauern. Du brauchst eine Zeit des Friedens, um das zu ändern.«
»Ja«, sagte bitter Alfonso. »Ich muß den Krieg gegen die Ungläubigen andern überlassen, und du betätigst dich und machst Geschäfte.«
»Es geht nicht um Geschäfte, Herr König«, belehrte, immer geduldig, Jehuda seinen Herrn. »Deine Granden sind übermütig geworden, weil du sie im Kriege brauchtest; es geht darum, ihnen beizubringen, daß du der König bist.«
Alfonso trat sehr nahe vor Jehuda hin und schaute ihm mit seinen grauen Augen, von denen ein Schein ausging, ins Gesicht. »Was für krumme Wege hast du dir ausgedacht, mein schlauer Herr Escrivano«, fragte er, »dein Geld mit Zinsen aus meinen Baronen herauszuholen?«
Jehuda wich nicht zurück. »Ich habe viel Kredit, Herr König«, sagte er, »und also viel Zeit. Darum kann ich deiner Majestät große Summen leihen und brauche keine Angst zu haben, auch wenn ich auf die Rückgabe lange warten muß. Auf solchen Erwägungen beruht mein Plan. Wir werden von deinen Granden verlangen, daß sie dein Steuerrecht im Prinzip anerkennen, aber rasche Zahlung werden wir nicht von ihnen verlangen. Wir werden ihnen die Abgaben stunden und nochmals stunden. Dafür werden wir Gegenleistungen fordern, die sie wenig kosten. Wir werden fordern, daß sie ihren Städten und Dörfern Fueros einräumen, Privilegien, die diesen Siedlungen eine gewisse Unabhängigkeit geben. Wir werden erwirken, daß immer mehr Städte und Dörfer nicht mehr deinen Baronen unterstehen, sondern nur dir hörig und verantwortlich sind. Deine Bürger werden Abgaben williger und pünktlicher entrichten als deine Granden, und es werden höhere Abgaben sein. Die Arbeit deiner Bauern und der Gewerbefleiß und Handel deiner Städte sind deine Stärke, Herr König. Vermehre ihre Rechte, und die Gewalt deiner widerspenstigen Granden wird kleiner.«
Alfonso war zu klug, um nicht einzusehen, daß dieser Weg der einzig wirksame war, die unverschämten Barone mürbe zu machen. Man versuchte denn auch in andern christlichen Reichen Spaniens, in Aragon, Navarra, León, Bürger und Bauern gegen die Granden zu unterstützen. Allein man tat es auf sehr behutsame Art. Die Könige gehörten selber zu den Granden, nicht zum Pöbel, sie waren Ritter, sie wollten es nicht einmal vor sich selber wahrhaben, daß sie sich mit dem Pack gegen die Granden verbündeten, und noch nie hatte jemand gewagt, Alfonso dergleichen in nackten Worten vorzuschlagen. Dieser Fremde, der keine Ahnung hatte von Rittertum und edelmännischer Art, wagte es. Er sprach das Gemeine, das zu tun man genötigt war, in gemeinen Worten aus. Alfonso war ihm dankbar und haßte ihn.
»Glaubst du im Ernst«, spottete er, »du kannst durch Papier und Geschwätz einen Nuñez oder einen Arenas dahin bringen, auf Städte und Bauern zu verzichten? Meine Barone sind Ritter, du Überschlauer, keine Händler und Advokaten.«
Wieder verwand Jehuda die Kränkung. »Diese deine Herren Ritter«, antwortete er, »werden lernen, daß Recht, Gesetz und Vertrag etwas ebenso Starkes und Wirkliches sind wie ihre Burgen und Schwerter. Ich bin sicher, daß ich sie das lehren kann, wenn ich auf die freudige Mithilfe deiner Majestät rechnen darf.«
Der König wehrte sich gegen den Eindruck, den Don Jehudas Ruhe und Zuversicht auf ihn machten. Er beharrte störrisch: »Wenn sie auch schließlich irgendeinem Drecknest Marktfreiheit gewähren, Abgaben an mich werden sie nicht leisten, das sag ich dir voraus. Und sie haben recht. Sie haben in Friedenszeiten keine Steuern zu zahlen. So hab ich es geschworen, unterschrieben und gesiegelt, als sie mich zum König machten. Yo el Rey. Und nun wird ja, dank deiner Weisheit, auf lange Jahre kein Krieg sein. Darauf berufen sie sich, darauf stehen sie.«
»Deine Majestät verzeihe«, setzte unerschüttlich Don Jehuda auseinander, »daß ich den König gegen den König verteidige. Deine Barone haben nicht recht, ihr Argument hält nicht stich. Krieg wird, ich hoffe es innig, acht Jahre lang nicht sein, aber dann wird, wie die Welt dich kennt, wieder Krieg sein. Und Kriegshilfe haben die Herren dir zu leisten. Es ist meine Pflicht als dein Escrivano, beizeiten für deinen Krieg vorzusorgen, das heißt, jetzt schon mit seiner Finanzierung zu beginnen. Es widerspräche der Vernunft, wollte ich Kriegsgelder in Hast zusammenkratzen, wenn der Krieg schon da ist. Wir werden nur einen kleinen Jahresbeitrag verlangen, und wir werden ihn fürs erste nur von deinen Städten verlangen. Denen gewähren wir gewisse Freiheiten, und sie werden dir die Waffenhilfe gerne leisten. Deine Barone können nicht so unritterlich sein, dir zu verweigern, was deine Bürger dir gewähren.«
Don Jehuda ließ Alfonso Zeit, das zu überdenken. Dann, sieghaft, fuhr er fort: »Darüber hinaus wirst du, Herr König, deine Granden durch einen Akt höchster, ritterlicher Großherzigkeit zwingen, dir den kleinen Beitrag zu genehmigen.« – »Hast du dir noch nicht genug ausgekocht?« fragte mißtrauisch Don Alfonso. »Es sind«, legte Jehuda dar, »von jenem nicht glücklichen Feldzug her noch immer sehr viele Gefangene in der Hand des Emirs von Sevilla. Deine Barone sind ihrer Verpflichtung, diese Gefangenen auszulösen, nur sehr zögernd nachgekommen.« Don Alfonso rötete sich. Es war Recht und Brauch, daß der Vasall seinen Kriegsknecht, der Baron seinen Vasallen auslöste, wenn der in seinem Dienst in Gefangenschaft geraten war. Die Barone weigerten sich nicht, diese Pflicht anzuerkennen, aber sie kamen ihr dieses Mal mit besonderem Unwillen nach; sie warfen dem König vor, seine Voreiligkeit habe den Feldzug und die Niederlage verschuldet. Am liebsten hätte Don Alfonso stolz erklärt: Ich nehme die Auslösung aller Gefangenen auf mich, ihr Knicker. Doch es ging um eine ungeheure Summe, er konnte sich diese Geste nicht leisten.