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Er kam in die Rundhalle des Musa. Hier waren die Polster gewesen, in denen der Freund so oft behaglich zurückgelehnt gesessen hatte, mit ihm schwatzend, und was war aus Musa geworden? Da war das Schreibpult gestanden, von dem aus er so gerne über die Schulter seine klugen, milden, spöttischen Sätze gesprochen hatte. Es war zerhackt; einer mußte sich die Mühe gemacht haben, das feste, edle Holz mit der Axt zu zerhacken. Von den farbigen Buchstaben der Sprüche an den Wänden waren viele zerschlagen und heruntergefallen. Mechanisch starrte er auf den Satz: »Nicht besser ist der Mensch als das Vieh.« Nahm wahr, daß von dem Worte »Habehemah – Das Vieh« die Buchstaben »Bet« und »Mem« ausgeschlagen waren, die drei Buchstaben »He« waren merkwürdigerweise stehengeblieben.

Rodrigue kauerte sich wieder auf den Boden, schloß die Augen. Von außen herein klang das gleichmäßige Plätschern der Fontäne.

Täuschte er sich da, oder schlurften vorsichtige Schritte durch den Garten? Er hörte recht. Und auf einmal war vor ihm ein liebes, häßliches, gescheites, wohlvertrautes Gesicht, über allem Kummer schon wieder leise spöttisch, und: »Es fügt sich trefflich«, sagte die ruhige, marklose Stimme des Musa, »daß nach so vielen lauten Besuchern nur du geblieben bist, mein stiller, hochwürdiger Freund.« Der beglückte Rodrigue war zu erregt, als daß er hätte sprechen können; er nahm die Hand des andern und tätschelte sie. »Ich bin zu spät gekommen«, sagte er schließlich. »Auch wäre ich wohl nicht geschickt genug gewesen, den Aufruhr zu stillen. Aber du lebst!« sagte er; niemals hätte Musa geglaubt, daß die Stimme des andern so warm klingen könnte. Noch immer hielt Rodrigue die Hand des Freundes, sie schauten einander an, lächelten, lachten.

Später fragte der Domherr nach Jehuda. Als Musa ihm mitteilte, er sei bei seiner Tochter in der Galiana, atmete Rodrigue auf. »Im Hause des Königs ist er wohl sicher«, meinte er. »Trotzdem, vorsichtshalber, geh ich noch heute zu Doña Leonor und verlange eine starke Wache für die Galiana. Und jetzt, mein Musa«, sagte er ungewöhnlich befehlerisch, »kommst du mit mir, und bis die Stadt sich beruhigt hat, lebst du in meinem Hause.« – »Ich hätte schon früher zu dir kommen sollen«, erwiderte Musa, »aber ich sagte mir: in dieser Zeit ist ein alter, ketzerischer Moslem kein bequemer Gast.« – »Entschuldige, mein weiser Freund«, entgegnete Rodrigue, »dieses ist die erste törichte Erwägung, die ich dich habe anstellen hören. Gehen wir«, forderte er ihn auf.

Doch Musa bat, noch eine kurze Weile zu verziehen. »Ich muß noch meine Chronik holen und ein paar Bücher«, erklärte er. Voll schlauen Triumphes teilte er dem andern mit, daß er die beiden kostbarsten Handschriften, den Avicenna und jene athenische Handschrift der »Republik« des Plato, in die Judería habe schaffen lassen. Dann schlurfte er hinunter in den Keller und kam zurück, fröhlich grinsend übers ganze Gesicht, unterm Arm das Manuskript seiner Chronik. Diejenigen, die im Castillo gewüstet hatten, zögerten, sich zu zerstreuen. Sie waren enttäuscht, daß man den Verräter und die Hexe nicht hatte mitzerstören können. Sie zogen vor die Judería und verlangten, daß man ihnen Jehuda und Raquel herausgebe, aber verlässige Leute erklärten, die beiden seien nicht in der Judería.

Die Wut, daß sie entschlüpft waren, wuchs. Solange die beiden atmeten, ging Gift und Übel von ihnen aus; es war einfache Pflicht eines jeden guten Christen und Kastiliers, sie aus der Welt zu schaffen. Ihnen selber, den beiden, hatte Gott die Strafe bereits angekündigt. War nicht der Sohn, den die Jüdin dem König Unserm Herrn geboren hatte – man wußte das von dem Gärtner der Galiana, einem gewissen Belardo –, war nicht dieser Sohn auf rätselhafte Art verschwunden? Vermutlich hatte Gott auch ihn weggerafft zur Strafe für die Todsünde. Und hatte nicht die Jüdin schon vor Monaten einen Totenschädel aus dem Tajo gefischt?

Einer sagte, jener gleiche Gärtner Belardo habe verlauten lassen, die Hexe wohne nach wie vor in der Galiana, als ob nichts geschehen sei; ja, sie habe sich auch noch ihren Vater hingeholt. Die meisten wollten an so viel satanische Frechheit nicht glauben. Man könnte vielleicht einmal nachschauen, schlug einer vor. Man war verblüfft, gelockt. Aber man zögerte; das Castillo war das Haus des Juden gewesen, die Galiana war das Haus des Königs. Hingehen in die Galiana könnte man ja einmal, meinten einige; wenn man dort sei, werde man weitersehen. Der Vorschlag gefiel.

Schon machten sich die ersten auf den Weg hinunter zur Brücke. Sie gingen gemächlich, viele schlossen sich an, schon waren es Hunderte, vielleicht tausend.

Langsam in der Hitze, schlendernd, zogen sie über den Hauptplatz, den Zocodovér. Man fragte, was sie vorhätten, sie erzählten, man lachte zustimmend, erheitert. Am großen Haupttor der Stadt fragten die Wächter: »Wohin wollt ihr?« Sie antworteten: »Wir wollen nachschauen, wo sie sind, die Gewissen«; auch die Torwächter lachten. Von den Türmen der großen Brücke herunter fragten die Soldaten, wohin es gehe, und als man ihnen Bescheid gab, lachten auch sie.

So zogen die tausend hinunter in der schweren Hitze. Immer mehr schlossen sich an, sie mochten jetzt wohl an die zweitausend sein.

Der Castro hörte von dem Unternehmen. Mit einigen seiner Begleiter ritt er den Leuten nach, überholte sie, ließ sie wieder vorbei, überholte sie von neuem, ließ sie abermals vorbei. Langsam, nicht sehr deutlich gingen ihm die Gedanken. Ich muß das Eigentum des Königs schützen, erwog er, und: Wenn die Strafe des Herrn auf dem Weg ist, darf sich ihr ein christlicher Ritter nicht entgegenstellen, und: Ich werde handeln nach meinem Auftrag. Ich werde nicht den Verräter und die Hexe schützen und die hunderttausend Juden von Toledo gefährden. Aber das Eigentum des Königs werde ich schützen, beschloß er, das ist Pflicht. Jehuda und Raquel hatten, nachdem Don Benjamín gegangen war, ihr feierlich heiteres Leben weitergeführt. Sie zogen sich sorgfältig an, hielten lange Mahlzeiten, ergingen sich, wenn die Sonne sank, im Garten, pflegten ruhiges Gespräch.

Es war die Amme Sa’ad, die, Schrecken über dem ganzen, dicken Gesicht, als erste die Nachricht brachte, daß die Ungläubigen – Allah verdamme sie – heranzögen, und was solle man tun? Jehuda sagte: »Stille sein und sich fügen in den Ratschluß.«

Sie gingen tiefer ins Haus, in Raquels Raum, ein nicht großes Zimmer mit einer Estrade, wie sie dem Wohnraum einer Dame angemessen war. Jehuda hatte die Brustplatte umgelegt, das Zeichen seines Amtes. Der Raum war dämmerig, und der feuchte Filzbelag der Wand gab ihm Kühle. Hier saßen sie und erwarteten die Anziehenden.

Die waren angelangt vor der weißen Mauer, welche das Besitztum umgab. Im Ausschnitt des Tores zeigte sich ein Türhüter, auf sein Wams eingestickt war das Wappen des Königs, die drei Türme. Die Menge zögerte, wußte nicht, was tun. Alle schauten auf den Castro. Dieser, mit seinem breiten, schweren Schritt, trat vor, sagte: »Wir wollen nachschauen. Das ist es, was wir wollen. Wir wollen das Eigentum des Königs nicht schädigen. Ich habe meine Wache mit, auf daß niemand das Eigentum der Majestät schädigt und daß niemand die Beete des Gartens betritt.« Der Türhüter war unentschlossen. Inzwischen aber waren einige über die nicht hohe Mauer geklettert, sie zogen den Türhüter zur Seite, ohne Gewalt, der Castro ging durch das Tor, ihm nach seine Bewaffneten, ihnen nach die Menge.

Die Leute schoben sich langsam voran, die Gärten bewundernd, über die bekiesten Wege, dem Schlosse zu. Auf einmal war Belardo da. Er trug das Lederkoller, die Lederkappe und die Hellebarde des Großvaters. »Der edle Herr belieben, Doña Raquel sprechen zu wollen?« fragte er beflissen. »Unsere Herrin ist in ihrem Gemach auf der Estrade«, plapperte er. »Ist der edle Herr angemeldet? Soll ich ihn melden?« – »Führ uns zu ihr«, sagte der Castro.