Er preßte die Zähne zusammen, die rasenden Worte zurückzuhalten, die ihm die Brust füllten. Hockte nieder, erschöpft. Rodrigue sah bestürzt, wie sich sein Antlitz verändert hatte. Hager grinste es ihn an, scheu, verzerrt, die Backenknochen sprangen stark hervor, die Lippen waren zwei schmale Striche, die Augen schienen kleiner und glitzerten fahrig.
Alfonso, nach einer langen Weile, trachtete sein Gesicht zu glätten. Bat Rodrigue, ihm zu sagen, was er wisse. Es war nicht viel. Eine Menge Volkes, das den Don Jehuda vergeblich im Castillo Ibn Esra gesucht hatte, war in die Galiana gezogen. Wer Doña Raquel getötet hatte, wußte man nicht. Den Don Jehuda hatte der Castro mit eigener Hand erschlagen.
»Der Castro?« stammelte der König. »Der Castro«, antwortete Don Rodrigue. »Er hatte den Auftrag, Bedrohte zu schützen; denn das Volk war wild geworden, und viele waren bedroht. Er hatte Auftrag, lieber den einzelnen preiszugeben, als die Gesamtheit zu gefährden.« Der König dachte lange und mühsam nach. »Von wem hatte der Castro den Auftrag?« fragte er heiser. Don Rodrigue, langsam und klar, antwortete: »Von Doña Leonor.«
Alfonso knurrte wie ein verwundetes Tier. »Die Hunde und Geier fallen über mich her, als wäre ich schon ein Aas«, sagte er. Don Rodrigue erläuterte, sachlich, gerecht, mit fast unmerklicher Ironie: »Maßnahmen waren geboten. Arabische Christen waren umgekommen, auch Juden in der Siedlung vor den Mauern, eine ganze Reihe, an die hundert, heißt es.«
»Verteidige sie nicht!« brach Alfonso aus, wild, sinnlos. »Verteidige Leonor nicht! Verteidige keinen, auch dich selber nicht! Auch du bist schuldig, alle seid ihr schuldig. Vielleicht nicht so wie ich, aber schuldig seid ihr. Und ich werde strafen. Ich werde euch züchtigen. Glaubt ihr, ich sei machtlos, weil ich die Schlacht verloren habe? Noch bin ich der König. Ich werde untersuchen, ich werde richten, ich werde fürchterlich strafen!« Er brach plötzlich ab, stöhnte, fiel zusammen, winkte dem Rodrigue heftig, ihn allein zu lassen. Noch ehe die Stunde um war, befahl er, aufzubrechen. Auch auf dieser letzten Strecke Weges traf er seine Anordnungen aufmerksam und mit Umsicht. Erst als alle seine Abteilungen innerhalb der Mauern waren, ritt er in Toledo ein.
Ritt hinauf in seine Burg. Diener, Kämmerer liefen herbei, erschraken über sein Aussehen, fragten, ob er sich nicht umkleiden, nicht baden wolle, ob sie nicht den Arzt rufen dürften. Er wies sie zurück, unwirsch, gab strengen Befehl, niemand vorzulassen, auch die Königin nicht.
Hockte auf dem Spannbett, noch in Rüstung, verschwitzt und verschmutzt, leidend, in unbequemer Haltung, allein. Brütete. Er verstand den Zusammenhang nicht. Wie war Jehuda in die Galiana gekommen, der Schlaue, der Fuchs, der jede Gefahr auf Meilen witterte? Und warum waren sie nicht hinter die festen Mauern der Judería geflüchtet, die beiden, die sich doch so wildgläubig zu ihrem Judentum bekannten?
Tot waren sie, umgebracht waren sie, soviel war gewiß. Und die sie umgebracht haben, das waren Leonor und der Castro, Leonor mit ihrer Zunge und der Castro mit seiner Faust. Und er hat Raquel nicht einmal Lebwohl gesagt; fremd, blind, böse ist er von ihr fortgerannt. Und nun hat Leonor sie ihm erschlagen und ihm dazu seinen Sohn gestohlen, seinen Sancho, denn nun wird er niemals erfahren, was aus dem Kind geworden ist.
Ein betäubender Zorn faßte ihn. Leonor hat ihn gehaßt von dem Augenblick an, da Gott ihm Raquel geschickt hat. Sie hat ihn in den Krieg gehetzt, damit sie freie Hand habe, Raquel umzubringen. Alle haben ihn gewarnt vor der Schlacht, aber sie, sonst so freigebig mit Warnungen, hat ihre Worte verschluckt, sie hat ihn in seine Niederlage hineinrennen lassen, wissend, nur damit sie die andere umbringen könne. Leonor ist die Hexe, nicht Raquel. Sie ist die rechte Tochter ihrer Mutter, die Enkelin jener Ahnin, welche der Satan aus der Kirche in die Hölle geholt hatte.
Er freute sich seines Zornes, er freute sich, daß seine Wunde ihn schmerzte. Wie er war, in der dickverstaubten Rüstung, ungewaschen, ohne den Verband zu wechseln, lief er durch die Korridore, in die Zimmer Leonors. Drängte die erschreckten Hofdamen zurück. Trat ungestüm in Leonors Zimmer.
Sie saß auf der Estrade, sauber, gepflegt, damenhaft wie stets. Sie stand auf, ging ihm ein paar Schritte entgegen, nicht zu schnell, nicht zu langsam, lächelnd. Er hob die Hand, sie aufzuhalten, und noch bevor sie ihn begrüßen konnte, sagte er leise und wild: »Da bin ich. Nicht sehr lieblich anzusehen. Nicht angenehm zu riechen. Ich stinke nach Krieg, Arbeit, Niederlage. Nichts an mir ist nach den Vorschriften der Courtoisie. Aber du hast dich auch nicht eben nach den Regeln der Courtoisie geführt, scheint mir, Doña Leonor, meine Königin, meine Liebe.« Und plötzlich schrie er los, rasend, ohne Sinn: »Du hast mein Leben kaputt geschlagen, du Verfluchte! Du hast mir keinen Sohn geboren, und der, den du geboren hast, war krank und gezeichnet schon in deinem Leibe. Und als mir die Frau, die ich liebte, einen Sohn gebar, hast du sie umgebracht. Ihr Vater, mein weisester, treuester Ratgeber, hat mit Engelszungen auf mich eingeredet, die rechte Zeit abzuwarten für den Krieg. Aber du hast mich gehetzt. Du hast mir dein Hui und Pfui ins Gesicht geschrien, um mich in den Krieg zu jagen mit deinem Gehöhne. Und dann hast du geschwiegen, du Beredte, zu meinem dummen Plan und hast mich in meine verlorene Schlacht rennen lassen, damit du mir die Liebste erschlagen könnest, die mir Gott gesandt hat. Du hast mich zugrund gerichtet, mich und mein Kastilien. Da stehst du, weiß und lieblich und königlich, aber innen ist alles wüst und krumm. Du bist wie deine Mutter, zerfressen von höllischer Bosheit, du Verderberin!«
Doña Leonor hatte eine Sturzwelle von Zorn erwartet; aber daß Alfonso so ohne Maß rasen werde, so sinnlos aus seinen Tiefen heraus, darauf war sie nicht bereitet. Er war imstande, sie mit diesen seinen schmutzigen, unbehandschuhten Händen anzupacken, zu würgen, ihr den Atem abzudrehen. Aber es ging ihr ins Blut, daß er auf so wüste Art drohte und schimpfte, abgründig gemein, ein rechter »Vilain«. Er war gefährlich, und so wollte sie ihn.
Sie trat zurück, leichten Schrittes, trat hinter sich auf ihre Estrade, setzte sich, musterte ihn mit ihren großen, grünen, prüfenden Augen. »Darf ich dich erinnern«, sagte sie gelassen, »daß wir dir einen Vertrag vorlegten, meine Mutter und ich, in Burgos, einen Vertrag mit deinem Schwiegersohn Don Pedro? In diesem Vertrag hast du dich verpflichtet, nicht in den Krieg einzutreten, bevor die aragonischen Truppen da seien. Wir haben alles getan, dich von deinem übereilten Heldentum zurückzuhalten. Meine Mutter hat dir zugeredet wie einem störrischen Kinde. Niemand hat dich gehetzt, nur du selber. Soll ich dir sagen, was schuld war an dem Zusammenbruch? Du hast glänzen wollen, vor mir, vor deinen Freunden, und besonders vor deiner Jüdin. Darum hast du den Kalifen herausgefordert, gegen unsern Vertrag und gegen allen Sinn und Verstand. Darum hast du diese tollkühne Schlacht geschlagen. Darum hast du unser Land und das ganze christliche Hispanien in den Abgrund geritten.«
Don Alfonso stand vor ihr, unterhalb der Estrade. Er schaute ihr in das weiße Gesicht mit der hohen, klaren Stirn und dem dichten, blonden Haar, und er haßte sie wild um der bösen, folgerichtigen Gedanken willen, die hinter dieser Stirn gingen. »Jetzt begreif ich es«, knirschte er leise, bitter, »warum Heinrich deine Mutter gefangenhielt und sie nicht freigab trotz aller Befehle des Papstes. Glaube du nicht, daß ich schwächer bin als er. Ich kann dich nicht umbringen, weil du eine Frau bist. Aber ungestraft laß ich es nicht, daß du mir meine liebe Liebste getötet hast. Ich werde richten, ich werde fragen und weiterfragen, ich werde deine dünnen, schlauen Weisungen an den Tag bringen und die mörderischen Gedanken dahinter, und mag dann alle Christenheit auf dich deuten als die Mörderin. Und deine blutigen Diener, den Castro und die andern, die laß ich nicht heil davonkommen. Du wirst es erleben, meine Liebe, wie ich sie packe. Auf dem Schinderkarren sollen sie mir zum Zocodovér fahren. Und du wirst zusehen, meine Königin, an meiner Seite, auf der Tribüne, wie sie hängen, deine galanten Ritter, deine Lanzelots.«