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Alfonso hatte viel zugelernt. Er sah in sie hinein, er überblickte ihre innere Landschaft, als wäre sie ein Gelände, auf welchem er eine Schlacht zu schlagen hatte. Mit ihren eigenen Worten hätte er ihr sagen können, was sie dachte und wie sie rechnete. Sie habe – so glaubte sie bestimmt – die andere mit gutem Recht aus dem Weg geschafft, ihm und dem Reich zum Nutzen, und er müsse das einsehen und müsse ihr’s danken. Sie sei jung, sie sei schön, er werde sie in sein Bett zurücknehmen, und Gott werde gnädig sein, und sie werde ihm noch einen Erben gebären. Sicher dachte sie so und wartete darauf, daß er sie auffordern werde, zu bleiben. Aber sie rechnete falsch. Und wenn es gewiß wäre wie das Amen in der Kirche, daß sie ihm einen Sohn gebären wird, er wird die Mörderin Raquels nicht mehr anrühren.

Sie saß aufrecht und doch locker und gelassen. Wartete.

»Ich freue mich deines Entschlusses, Doña Leonor«, antwortete er und lächelte höflich mit seinen schmalen Lippen. »Du erweisest mir und aller Christenheit einen großen Dienst, wenn du nach Burgos gehst und deine erprobte Klugheit nützest, mit den feigen und abtrünnigen Königen zu verhandeln. Auch ich bin froh, unsere Töchter in deiner Hut zu wissen. Ich stelle dir gern ein starkes Geleite zur Verfügung.«

Leonor hörte zu, wog. Seine Leidenschaft für die Jüdin schien fort. Wenn er trotzdem so kalt und nicht ohne Spott zu ihr redete, dann wohl nur, weil er’s für seine Ritterpflicht hielt, sich vor die Tote hinzustellen. Leonor fühlte sich stark genug, mit der Toten um ihn zu kämpfen.

Sie sagte: »Ich höre, du hast keinen Versuch gemacht, den Castro zu halten.« Alfonsos Augen wurden gefährlich hell. Sie war recht dreist, diese da, jenes üble Gespräch wiederaufzunehmen. Aber er bezähmte sich. »Du hast recht gehört«, antwortete er. »Ich dachte nicht daran, einem Menschen lange zuzureden, der mir davonläuft, wenn ich in Bedrängnis bin.« Leonor erwiderte, auch sie mit gleichmütiger Stimme: »Ich glaube, Don Alfonso, du beurteilst den Ritter zu hart. Seine Markgrafschaft ist in der Tat bedroht von dem Emir von Valencia. Ich hatte ihm Lohn in Aussicht gestellt, und du hast ihn lange warten lassen. Er war nicht im Unrecht, wenn er sich in seinem Dank gekürzt fühlte.«

Alfonso wurde sehr blaß, die Backenknochen sprangen ihm noch härter aus dem abgezehrten Gesicht. Aber es gelang ihm, die höfliche Maske zu wahren. »Mit Gottes Hilfe«, sagte er, »werde ich Toledo auch ohne den Castro halten.« – »Es geht nicht darum«, erwiderte Leonor, »du weißt es. Wir müssen verhüten, daß er’s macht wie unsere Vettern von León und Navarra und mit den Moslems zettelt. Oder sich geradezu auf ihre Seite schlägt, wie es der Cid Compeador getan hat, als dein Ahn Alfonso ihn zu kärglich lohnte. Es ist nicht das erstemal, daß wir ihn kränken, und er ist empfindlich. Ihn zu den Moslems zu jagen scheint mir nicht zu unserm Nutzen. Willst du ihm nicht das Castillo überschreiben, Don Alfonso?«

Wieder, und jetzt mit bösem Triumph, spürte Alfonso, was in ihr vorging. Raquel war tot, sie, Leonor, lebte und stand vor ihm, kühl, fürstlich und doch verführerisch, und wollte, daß er der Toten abschwöre, und dann sollte alles sein wie früher. Aber sie täuschte sich, die Tochter der Dame Ellinor. Raquel lebte. »Du wirst mir nicht im Ernst zumuten, Doña Leonor«, sagte er, »daß ich den Verräter auch noch belohne, der mich in der Gefahr verläßt. Ich kaufe mir Routiers, aber keine Ritter. Auch scheint es mir nicht ratsam, meine Juden von Toledo in dieser Zeit der Not zu verstimmen; das aber täte ich, wenn ich den Mörder ihres besten Mannes also ehrte. Meine staatskluge Leonor wird das sicher verstehen.«

In seiner hellen Stimme war nur ein ganz kleiner Hohn. Doch diese kleine Schwingung Hohnes vertrieb Leonor alle Besonnenheit. »Ich habe dem Manne das Castillo versprochen«, sagte sie schrill. »Willst du mich Lügen strafen? Willst du deine Königin bloßstellen, um deinen Juden zu schmeicheln?«

Alfonso, in seinem Innern, jubelte: Hörst du’s, Raquel, wie sie wütet? Aber ich setze mein Siegel nicht unter das, was sie tat. Ich heiße ihren Mord nicht gut. Ich gebe deinem Mörder das Haus nicht. Er sagte: »Ich würde an deiner Stelle von jenem Versprechen lieber nicht reden, Leonor.«

Erst jetzt gab sich Leonor zu, daß sie nichts erreicht hatte durch die Beseitigung Raquels. So wie die Mutter durch die Tötung jener Frau, der Geliebten Heinrichs, nur das eigene Leben zerstört hatte, so war auch sie von der toten Jüdin für immer besiegt. Eisig wehte sie die Angst an, sie werde nun ihr ganzes Leben unfruchtbar und einsam verbringen müssen. Vor ihr dehnte sich die graue Ödnis, von welcher die Mutter gesprochen hatte, die herzzerreibende Acedia, die lange, leere Zeit.

Sie weigerte sich, die grausame Gewißheit anzunehmen. Sie sah den Mann, sie liebte ihn, sie hatte nichts, nur den Mann. Sie mußte sich ihn erhalten. Sie sagte bittend, mit verzweifelter Demut: »Ich erniedrige mich, wie sich noch nie eine Frau meines Geschlechtes erniedrigt hat. Laß mich in Toledo bleiben, Alfonso! Wir wollen nicht mehr von dem Castro reden, aber laß mich bei dir bleiben! Laß uns zusammenbleiben in dieser Not!«

Alfonso erwiderte, und ein jedes Wort fiel klar und kalt von seinen Lippen: »Es hätte keinen Zweck, Leonor. Ich sag es dir, wie es ist: du hast mein Herz verdorren machen, als du sie erschlugst.«

Ein alter, trüber, lateinischer Vers klang in Leonor auf, eine Dichterin aus Graecia hatte ihn gedichtet. »Der Mond ist aufgegangen, auch das Siebengestirn, die Mitternacht ist da, die Stunde verrinnt, ich aber schlafe allein.«

Sie riß sich zusammen. Sie stand sehr aufrecht und sprach: »Du sagst mir das, und es macht mich zu Stein. Und trotzdem: ich habe recht getan, und ich hab es deinethalb getan, und ich täte es nochmals.«

Andern Tages fuhr sie nach Burgos.

Siebtes Kapitel

Als Musa hörte, daß der Domherr die Chronik verbrannt hatte, machte er dem Freund milde Vorwürfe. Er stellte ihm vor, die von den Chronisten aufgezeichnete Weltgeschichte sei das Gedächtnis der Menschheit. Die großen Alten hätten eine Göttin der Geschichtsschreibung verehrt, und Juden, Christen, Moslems nähmen zu Recht an, Gott habe Wohlgefallen an dem Werk der Chronisten.

»Mein Werk war Gott nicht wohlgefällig«, antwortete grimmig der Domherr. »Mir ist die Gabe versagt, den Finger Gottes in den Geschehnissen wahrzunehmen. Ich habe die Ereignisse nicht verstanden; alles, was ich aufzeichnete, war falsch. Ich durfte mein Werk nicht fortsetzen, ich durfte es nicht bestehen lassen. Selber blind, durfte ich die Blinden nicht irreführen. Du hast es leicht, mein Musa«, fuhr er trüb und bitter fort. »Du hast deine Richtlinien, du hast noch nicht eingesehen, daß sie falsch sind, du darfst ruhig weiterschreiben.« Musa versuchte, ihn zu trösten: »Auch du wirst neue Prinzipien finden, mein sehr würdiger und verehrter Freund, welche dir auf einige Jahre richtig scheinen.«

Der alte Gelehrte war jetzt den ganzen Tag unterwegs. Hunger und Seuche herrschten in der belagerten Stadt, immer mehr Kranke verlangten nach seiner Kunst und seiner Kur.

Er selber freilich war sich der Grenzen seiner Kunst bewußt. Die moslemische Heilkunde, setzte er dem Domherrn auseinander, habe seit langer Zeit nichts zugelernt. Seitdem der unduldsame Alghazali alles Wissen, das nicht aus dem Koran stamme, für Ketzerei erklärt habe, sei auch die ärztliche Wissenschaft der Moslems im Abstieg, und die Führung in der Medizin sei nun endgültig auf die Juden übergegangen. »Der Sultan hat recht«, erklärte er, »daß er sich den Juden Mose Ben Maimon als Leibarzt verschrieb. Wir Moslems haben niemand, der sich ihm vergleichen könnte. Unsere Kultur hat eben ihre Blüte hinter sich. Im übrigen«, schloß er, »sind aller ärztlichen Kunst von der Natur Grenzen gesetzt, und viel vermag auch der beste Meister nicht. Es ist, wie Hippokrates gelehrt hat: die Medizin tröstet häufig, lindert manchmal, heilt selten.«