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Erinnerung und Erkenntnis überstürzten Alfonso in jäher, ungeheurer Flutung. Der zürnende Priester hatte recht: es war seine Schuld. »Warum sind sie nicht in die Judería gegangen?« hatte höhnisch Leonor ihn gefragt, hatte er selber sich gefragt. Er hatte es nicht mehr gewußt, daß er Raquel jene Weisung gegeben hatte, er hatte es ganz und gar vergessen. Nun stand es vor ihm auf, scharf und klar. Zweimal hatte er ihr die Weisung gegeben, leichthin, beiläufig. Er hatte vieles und sehr Übermütiges geschwatzt in jener letzten Nacht, sie aber hatte all sein Geschwatz und Geprahle ernst genommen, auch seine beiläufige Weisung, sie hatte sie tief in sich einsinken lassen. Und daran war sie gestorben. Er aber hatte ihr nicht einmal Lebwohl gesagt, er war fortgeritten, ausgefüllt von seinem frivolen Heldentum, er hatte sie vergessen und war in seine dumme Schlacht gerannt. Und darüber waren seine Calatrava-Ritter untergegangen, und ihr Bruder Alazar war gefallen, und sein halbes Reich war verlorengegangen, und sie selber und ihr Vater waren umgekommen.

Und nun hatte er sich bereitet, eine neue, dumme Schlacht zu schlagen!

Er starrte töricht ins Leere. Aber er sah. Sah jenes Gesicht, das vor ihm aufgestiegen war bei dem vernachlässigten Grab in der Galiana, das stumme, beredte Gesicht Raquels.

Seine Versunkenheit wurde zerrissen von der Stimme Rodrigues. »Überhebe dich nicht länger, Don Alfonso«, sagte er. »Mach dir nicht vor, daß du Gott näher am Herzen lägest als die andern. Nicht deinethalben hat Gott den Rückzug des Kalifen bewirkt. Du bist nur ein Instrument, dessen Er sich bedient. Halte dich nicht für die Mitte der Welt, Don Alfonso. Du bist nicht Kastilien. Du bist einer von den tausend mal tausend Bewohnern Kastiliens. Lerne Demut.«

Alfonso schaute vor sich hin, abwesend, aber er hörte. Er sagte: »Ich will deine Worte gut bedenken, mein Freund Rodrigue. Ich will tun nach deinen Worten.« Er ließ dem Kalifen erklären, er sei willens, in Friedensverhandlungen einzutreten. Allein der Kalif war der Sieger, er stellte viele Bedingungen, bevor er Verhandlungen auch nur begann. Er verlangte unter anderm, daß Alfonso Delegierte nach Sevilla sende; alle Welt sollte wissen, daß Alfonso, der den Waffenstillstand mit Sevilla gebrochen und den Krieg heraufbeschworen hatte, nun als Besiegter zu dem Überfallenen kam, ihn um Frieden zu bitten. Alfonso widersetzte sich lang und heftig. Der Kalif bestand. Alfonso fügte sich.

Wer aber sollte als Unterhändler nach Sevilla gehen? Wer besaß die Umsicht, Schnelle, Schmiegsamkeit und List, wer die Haltung und innere Würde für das heikle und demütigende Amt? Manrique war zu alt; den Priester Rodrigue zu den Ungläubigen zu schicken ging nicht an.

Rodrigue schlug vor, Don Ephraim Bar Abba, den Vorsteher der Aljama, mit der Sendung zu betrauen.

Alfonso selber hatte das schon erwogen. Ephraim hatte sich in schwierigen Geschäften als kluger Mann bewährt; auch konnte er, der Jude, bestimmt besser als ein Grande und Ritter die Erniedrigungen auf sich nehmen, denen der Gesandte Kastiliens in Sevilla ausgesetzt sein mochte. Aber Alfonso dachte nur mit Unbehagen an Ephraim. Er hatte es all die Zeit her vermieden, mit ihm zusammenzukommen, wiewohl mancherlei Geschäfte eine Aussprache erfordert hätten. Von den dreitausend Mann, welche die Aljama ihm gestellt hatte, waren die meisten umgekommen. Werden die Juden ihm das nicht nachtragen? Und werden sie ihm den Untergang ihres Ibn Esra nicht nachtragen?

Nun Rodrigue den Ephraim vorgeschlagen hatte, sprach ihm der König von diesen Spürungen. Langsam redete er sich in Zorn, und nun ließ er seinen geheimsten Argwohn laut werden. »Alle«, grollte er, »sind sie verknüpft, diese Juden. Bestimmt hat sich Jehuda mit dem Ephraim verschworen. Ganz sicher wissen sie, wo mein Sohn ist, mein lieber Sancho. Und wenn sie ihn mir nicht in Güte herausgeben, dann werde ich sie zwingen. Schließlich bin ich der König, und die Juden sind mein Eigentum. Ich kann mit ihnen machen, was ich will, das hat mir Jehuda selber erklärt. Ich dulde nicht, daß sie sich rächen an meinem Kinde.«

Rodrigue, bestürzt über diesen Ausbruch, drang nicht länger auf die Bestallung Don Ephraims.

Alfonso indes spürte eine wachsende Lockung, Ephraim zu sehen und mit ihm zu reden. Dabei wußte er nicht, ob er von ihm verlangen werde, daß er ihm seinen Sohn herausgebe, oder ihn bitten, sein Gesandter zu sein. Er berief ihn zu sich.

»Es ist dir bekannt, Don Ephraim«, begann er, »daß der Kalif über den Frieden verhandeln will.« Und da sich Ephraim nur schweigend verneigte, forderte er ihn sogleich heraus: »Wahrscheinlich weißt du mehr als ich und kennst bereits seine Bedingungen.«

Don Ephraim stand vor ihm, dünn, alt, gebrechlich. Es war beunruhigend, daß Don Alfonso ihn seit der Niederlage von Alarcos und der Ermordung Jehudas nicht hatte kommen lassen, und es war sehr wohl möglich, daß sich des Königs Schuldgefühl in neuen Gewalttätigkeiten gegen die Juden entlud. Ephraim mußte vorsichtig sein.

»Wir haben«, antwortete er, »Dankgottesdienste abgehalten, als der Feind von Toledo abzog, und Gott gebeten, weiteren Segen auf dein Haupt herabzuschicken.«

Don Alfonso fuhr fort, ihn zu hänseln: »Findest du es nicht ungerecht, daß der Himmel mir wieder so große Gnade zeigt? Ihr werdet ja wohl mir die Schuld zuschreiben an dem Untergang eurer Männer und an der Ermordung eures Ibn Esra.«

»Wir haben gelitten und gebetet«, antwortete Don Ephraim.

Alfonso fragte geradezu: »Was also weißt du von den Friedensbedingungen?« Ephraim erwiderte: »Genaues wissen wir so wenig wie du. Der Kalif, vermuten wir, wird alles Gebiet südlich des Guadiana behalten wollen. Sicher wird er für seinen Schatz eine reichliche Jahresabgabe verlangen und für den Emir von Sevilla eine hohe Kriegsentschädigung. Auch wird er wohl für den neuen Friedensvertrag eine sehr lange Dauer fordern.«

Alfonso, sehr finster, sagte: »Soll ich nicht doch, ehe ich dergleichen annehme, den Krieg weiterführen? Oder findet ihr solche Bedingungen angemessen?« fragte er hämisch.

Ephraim zögerte mit der Antwort. Wenn er jetzt für Vertrag und Frieden sprach, dann konnte es geschehen, daß der König seine ohnmächtige Wut an der Aljama ausließ und an ihm selber. Es lockte ihn, auszuweichen, etwas ehrerbietig Nichtssagendes zu erwidern. Das aber wird Alfonso als Zustimmung auffassen, er wartete ja nur auf die leiseste Aufmunterung, und er wird seinen sinnlosen Krieg fortsetzen. Und Gott wird kein zweites Wunder tun, Toledo wird verloren sein, und mit Toledo die Aljama. Der tote Jehuda, in ähnlichen Zweifeln und ähnlicher Beklommenheit, hatte es oft und abermals gewagt, diesem Christenkönig zum Frieden und zur Vernunft zu raten. Ein Jahrhundert lang hatten jüdische Ratgeber ihre kastilischen Könige zur Vernunft gemahnt.

»Wenn du die offene Meinung eines alten Mannes hören willst, Herr König«, sagte er schließlich mit seiner morschen Stimme, »dann rat ich dir: mach Frieden. Du hast diesen Krieg verloren. Wenn du ihn weiterführst, werden eher die Moslems an die Pyrenäen vorstoßen als du ans südliche Meer. Welche Bedingungen immer der Kalif stellt, solang er sich mit einer Grenze südlich von Toledo bescheidet, mach Frieden.«

Alfonso ging auf und ab, in den Augen jenen gefährlichen hellen Schein, die Stirne tief verfurcht. Was der Jude da sagte, war eine Frechheit. Er wird ihn greifen lassen und in sein unterstes Verlies sperren, bis ihm die Frechheit vergeht und er ihm seinen Sancho herausgibt. Und er wird, was er noch an Mann und Roß besitzt, zusammenraffen, er wird die Moslems überraschend angreifen und ihre Linien durchstoßen. Er wußte, solches Geplane war sinnlos, er mußte um den Frieden verhandeln, und zwar durch diesen Ephraim. Aber nein, nein, nun gerade nicht! Er wird es dem Rodrigue und diesem Juden zeigen, daß Don Alfonso noch lebt. Aber er war ein geschlagener Alfonso, und der Jude hatte recht, und er war kein Narr und Verbrecher, und er wird nach Sevilla schicken und um Frieden betteln. Er lief auf und ab, heftigen Schrittes, eine kurze Minute lang, eine endlose Minute lang, und wechselte dreimal den Entschluß.