Don Ephraim stand schweigend, in ehrerbietiger Haltung, furchtlosen Gesichtes, doch in seinem Innern ängstlich gespannt. Seine Augen folgten dem König, er sah, wie es in dessen Gesicht arbeitete.
Plötzlich blieb Alfonso vor ihm stehen, sehr nahe, und sagte, herausfordernd, böse: »Höre! Da du so warm für den Frieden eintrittst, würdest du als mein Unterhändler nach Sevilla gehen?«
Ephraim hatte von dem unberechenbaren Mann viel erwartet im guten oder im bösen, doch nicht dieses Angebot. Er verbarg nicht seine Überraschung, er wich, gegen allen höfischen Anstand, ein wenig zurück und hob abwehrend die alte Hand. Bevor er indes sprechen konnte, beschwor ihn Alfonso, nun unerwartet freundlich: »Bitte, sag nicht gleich nein. Setze dich und überlege!«
Sie saßen einander gegenüber. Ephraim rieb sich mit den Fingern der einen Hand die Fläche der andern. All sein Leben hindurch hat er’s vermieden, aufzufallen. Wie hat er sich bemüht, dem Jehuda vor glänzenden Ämtern abzuraten, und nun soll er selber diese Gesandtschaft übernehmen, auf die alle Augen gerichtet sind. Und was immer er erwirkt, das dumme, undankbare Toledo wird Verrat schreien, und wenn der König ihn bestätigt, dann werden ihm tausend Neider erstehen. Andernteils kann er, wenn er jetzt einen dauernden Frieden zurückbringt, dem Land und der Judenheit einen Dienst leisten wie selten einer vor ihm. Der sonst so kühle Rechner war erregt, verwirrt. Sein ganzes Wesen sträubte sich gegen diese Gesandtschaft. Das Nein zog ihn mächtig an, aber er dachte an Jehuda und hielt das Ja für seine Pflicht.
»Der Kalif liebt nicht die Juden«, gab er schließlich zu bedenken. »Er liebt auch die Christen nicht sehr«, antwortete Alfonso.
Ephraim sagte: »Die Verhandlungen werden umständlich sein, und ich bin alt und kränklich.«
Der König überwand sich und erwiderte: »Es ist nicht wegen deines Alters und nicht wegen deiner Kränklichkeit, daß du mir nein sagst. Du fürchtest, ich sei zu hartnäckig und zu stolz. Ich bin es nicht. Ich habe eingesehen, daß ein Mann, der so geschlagen wurde wie ich, nicht lange fackeln und feilschen kann. Ich werde dich nicht behindern, ich werde dir weite Vollmachten mitgeben. Ich bin bereit, eine hohe Kriegsentschädigung an den Emir von Sevilla zu zahlen und auch eine jährliche Abgabe an den Kalifen. Einen Tribut«, schloß er grimmig.
Don Ephraim, vorsichtig, unverbindlich, antwortete: »Ich glaube, dein Unterhändler könnte in diesen Fragen ein Einverständnis erzielen. Aber laß mich wissen, Herr König, wie denkst du über jenen andern, wichtigsten Punkt: die Dauer des Waffenstillstands? Ich glaube nicht, daß sich der Kalif mit einem Frieden von weniger als zwölf Jahren begnügte. Würdest du einen solchen Vertrag unterzeichnen? Und bist du willens, ihn zu halten?«
Wieder wollte Alfonso aufbrausen. Der Jude tat, als wäre er sein Beichtvater. Doch wiederum zügelte des Königs Vernunft seinen Groll. Als er damals die Worte, in octo annos, auf acht Jahre, in den Vertrag mit Sevilla hatte aufnehmen lassen, waren sie ihm von Anfang an nichts anderes gewesen als Tinte auf Pergament. Aber diese drei Worte hatten den Kalifen ins Land gerufen, sie hatten seine Calatrava-Ritter erschlagen. Don Ephraim hatte recht, ihn zu erinnern, daß, wenn er jetzt einen Frieden auf zwölf Jahre schließt, er wirklich zwölf lange Jahre wird stillhalten müssen.
»Ich sehe«, sagte er leise und bitter, »du hast dir die Interessen des Kalifen lange überlegt.« Ephraim hatte einen schlimmeren Ausbruch befürchtet; er antwortete erleichtert: »So tat wohl ein jeder, dem die öffentlichen Dinge am Herzen liegen.«
Alfonso schwieg vor sich hin, brütend. Ephraim redete ihm zu: »Ein langer Friede wird dir nützlicher sein als den Moslems. Du kannst, und wenn du’s noch so heiß wünschest, einen großen Krieg so bald nicht führen. Du brauchst Zeit, das ganze, arg verwüstete christliche Hispanien braucht Zeit, sich zu erholen.«
Alfonso sagte: »Zwölf Jahre. Du verlangst vieles, alter Mann.«
Ephraim erwiderte empfindlich, fast schroff: »Ich bitte dich, Herr König, schick mich nicht nach Sevilla.«
Alfonso sagte: »Ich gebe dir die zwölf Jahre.«
Er erhob sich, lief wieder auf und ab. »Ich wünsche«, sagte er, »daß du so bald wie möglich nach Sevilla gehst. Laß mich wissen, welche Vollmachten du brauchst, und wähle deine Begleiter.« – »Da du es befiehlst«, sagte Ephraim, »will ich an der Delegation teilnehmen, aber nur als ihr Finanzberater oder ihr Sekretär. An die Spitze der Gesandtschaft geruhe einen deiner Granden zu stellen. Wenn nicht, werden die Moslems von Anfang an verstimmt sein.« Alfonso erwiderte: »Es sollen zwei meiner Barone in der Gesandtschaft sein oder auch drei. Aber Vollmacht haben sollst nur du.« Ephraim neigte sich tief. »Ich will mit Gottes Hilfe versuchen«, sagte er, »dir einen nicht zu schlechten Frieden heimzubringen«, und er schickte sich an, Urlaub zu nehmen.
Doch Don Alfonso entließ ihn noch nicht. Er sagte, zögernd: »Da ist noch eine andere Sache, Don Ephraim, in der ich um deinen Rat bitte. Die Hinterlassenschaft meines toten Freundes und Escrivanos Don Jehuda muß sehr beträchtlich sein. Ich glaube nicht, daß es Verwandte gibt, die mit Fug darauf Anspruch machen können. Oder weißt du von solchen?« Don Ephraim, nun wieder sehr auf der Hut, entgegnete: »Da wäre in Saragossa Don Joseph Ibn Esra, ein Vetter des Don Jehuda – das Andenken des Gerechten zum Segen. Nach unserem Gesetz und Brauch hätte er Anspruch auf ein Zehntel des Erbes. Ich würde deiner Majestät raten, Don Joseph diesen Anteil zu überlassen. Er wird dir gute Dienste leisten bei dem schwierigen Geschäft, die Außenstände einzutreiben, die Don Jehuda überall in der Welt hatte.« Alfonso sagte: »Es soll geschehen, wie du vorschlägst. Ich habe auch daran gedacht, einen Teil des Nachlasses der Aljama von Toledo zur Verfügung zu stellen.« – »Du bist sehr großmütig, Herr König«, sagte Don Ephraim. »Ist dir bewußt, daß es sich um sehr hohe Summen handelt? Nächst dem Erzbischof von Toledo war Don Jehuda der reichste Mann deines Landes.«
Der König sagte, nicht ohne Befangenheit: »Was sonst an Vermögen vorhanden ist, will ich von den Beamten meines Kronschatzes verwalten lassen, bis sich der Haupterbe gefunden hat, der Sohn Doña Raquels. Es liegen übrigens«, schloß er ohne rechten Zusammenhang, »Dokumente bereit, die diesem Sohne Doña Raquels alle Rechte und Titel der Grafschaft Olmedo übertragen. Don Jehuda selber hat sie noch ausfertigen lassen.« Ephraim erwiderte trocken: »Es ist dein gutes Recht, Herr König, aus der Hinterlassenschaft Don Jehudas für deinen Kronschatz einzuziehen, was immer dir beliebt, und niemand kann dich darum tadeln.«
Alfonso, mit Anlauf, ein wenig heiser, sagte: »Mein toter Freund Jehuda war oft mit dir zusammen, und wahrscheinlich weißt du vieles. Ich will nicht in dich dringen, alter Mann, und dich fragen, wieviel du weißt. Aber der Gedanke, daß mein Sohn unter euch herumgeht und ich kenne ihn nicht, bedrückt mich. Das mußt du verstehen. Willst du mir nicht helfen?«
Er sprach bittend, er sprach zart, das schmeichelte dem Ephraim und beängstigte ihn. Es war eine gefährliche Aufgabe, die sein toter Freundfeind ihm aufgeladen hatte. Er sagte: »Niemand weiß, Herr König, und niemand kann mehr erforschen, ob Don Jehuda Ibn Esra mit dem Verschwinden seines Enkels zu tun hatte. Wenn es so war, dann hat er in einer so heikeln Angelegenheit sicherlich nicht mehr als einen Helfer zugezogen, und einen verlässigen, verschwiegenen.«