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Don Ephraim jetzt erklärte den ganzen Jammer der Wirtschaft. Der Bergbau war übel heruntergekommen, die Tuchmanufakturen, die Don Jehuda zu solcher Blüte gebracht hatte, waren zerstört oder zerrüttet, die Viehherden weggetrieben, die Schafzucht, vor dem Krieg eine der Haupteinnahmequellen des Landes, gänzlich verwahrlost. Der kastilische Maravedí war entwertet; man mußte sechs kastilische für einen aragonischen Maravedí zahlen. Sollten Landwirtschaft und Gewerbefleiß nicht gänzlich verfallen, dann mußte man mit Steuernachlässen und der Gewährung vieler neuer Rechte nachhelfen. Er ging ins einzelne. Schlug vor, welche Zölle und Abgaben erleichtert, welche gänzlich aufgehoben werden sollten. Nannte Ziffern, immer neue Ziffern.

Wenn Don Jehuda von Ähnlichem sprach, hatte sich Alfonso manchmal auf kurze Zeit fesseln lassen; dann aber hatte ihn Widerwille gegen das trockene, eines Königs unwürdige Geschäft gepackt, und es war vorgekommen, daß er eine solche Unterredung gröblich abbrach. Nun aber, und obgleich Ephraim ohne den Schwung und Glanz des Jehuda redete, nahm Alfonso wachsenden Anteil an den Ziffern, sie woben sich ihm ineinander, er fand Gefallen an der Folgerichtigkeit, mit welcher der Jude rechnete. Alfonso wollte es nicht wahrhaben und war es doch zufrieden. Es nützte nichts, die Augen zu schließen vor der neuen, widerwärtigen Zeit, man mußte sich wohl darein schicken. Andere vor ihm hatten es auch tun müssen, sehr Große und Mächtige, König Heinrich zum Beispiel, und er, Alfonso, hatte teuer bezahlt für seine Blindheit. »Ein Glück ist es, Herr König«, führte jetzt Ephraim aus, »daß du damals Jehuda erlaubt hast, die sechstausend fränkischen Flüchtlinge in deinem Reich anzusiedeln. Aus der Zahl dieser fähigen Männer kannst du viele Sachverständige ersetzen, die gefallen sind oder sonstwie verschwunden. Du mußt es Don Jehuda – das Andenken des Gerechten zum Segen – zugestehen, daß er –«

Der König unterbrach ihn unvermittelt. »Ich habe dich einmal aufgefordert«, sagte er, »meinen Kronschatz zu verwalten. Du hast es abgelehnt. Wahrscheinlich hast du recht daran getan; es gab damals wenig zu verwalten, und ich hab es meinen Ratgebern schwer gemacht. Jetzt ist wohl noch weniger da, aber ich bin mittlerweile klüger geworden, das hast du vielleicht gemerkt. Ich bitte dich ein zweites Mal, mein Alfakim zu werden, oder besser mein Alfakim Mayor.«

Ephraim hatte dieses Angebot erwartet, er hatte es gefürchtet. Er wehrte sich dagegen mit ganzer Seele. Er hatte öffentliche Ämter stets gescheut, er war alt, er wollte in den Tagen, die ihm noch blieben, in seinem Hause am Feuer sitzen, von wenigen gesehen und betreut, und in Ruhe veratmen. All sein Unwille und Haß gegen Don Alfonso stand auf. Der Mann hatte den größten Teil der Dreitausend, welche die Aljama ihm gestellt hatte, in den Tod gejagt, aus hirnloser, ritterlicher Abenteuerlust. Er hatte dem treuen Diener Ibn Esra die Tochter weggenommen und den Sohn und ihn nicht gerettet in seiner Not. Und jetzt wollte er ihn, Ephraim, vor seinen Wagen spannen für den steilen, qualvollen Weg, der vor ihm lag.

Er sagte: »Du ehrst mich hoch. Aber die Verhandlungen in Sevilla waren aufreibend. Die Geschäfte der Aljama warten auf mich, ich bin sehr alt. Erlaß es mir, Herr König.«

Alfonso, knabenhaft schmollend, sagte: »Ich möchte gern einen Juden zum Alfakim haben.« Die Worte kamen ungeschickt, geradezu täppisch, aber es klang in ihnen die Liebenswürdigkeit des früheren Alfonso. Ephraim, mit einem Male, sichtete das Innere des Mannes. Begriff, daß dieser willens war, seinem toten Escrivano Genugtuung zu geben und, sich überwindend, dessen Weg weiterzugehen. Dieser Alfonso rief, und nicht ohne Angst, nach einem neuen Führer. Es wird eine lebenkürzende Aufgabe sein, das Amt zu übernehmen, da fortzufahren, wo Jehuda aufgehört hatte. Aber Ephraim gedachte der glänzenden, dringlichen, spöttischen Augen des Jehuda, er hörte seine schmiegsame, wohltönende Stimme, er gedachte ihrer letzten Zusammenkunft. Einer mußte dasein, die ausgestreckte unsanfte, unreine Hand dieses Christenkönigs zu nehmen und ihn mühevoll weiterzuzerren auf der schmalen, strengen Straße des Friedens.

Ephraim, fröstelnd in seinen vielen Kleidern, sah wirklich sehr alt und gebrechlich aus. Er sagte, und er mußte sich jedes Wort aus der Kehle zwingen: »Da du es befiehlst, Herr König, werde ich versuchen, die Geschäfte deines Landes in Ordnung zu bringen.«

»Ich danke dir«, sagte Don Alfonso.

Zögernd fuhr er fort: »Da ist noch ein anderes, das ich mit dir besprechen möchte, Don Ephraim Bar Abba. Ich habe meinem toten Escrivano nicht immer so großen Dank bezeigt, wie ich es hätte tun sollen und wie ihn mein Großvater seinem Ibn Esra bezeigte. Es drückt mich, daß man die Toten nicht einmal würdig begraben hat, sondern armselig, notdürftig. Mehrmals hab ich daran gedacht, sie auf meine Art zu bestatten und gemäß ihrem Stande. Aber ich habe es besser überlegt, und es scheint mir richtiger, daß ihr meinen toten Escrivano begrabt auf eure Weise und mit euern Ehren, ihn und auch Doña Raquel, seine Tochter, die mir sehr nahestand. Sie gehören zu euch, beide, sie gehörten bis zuletzt zu euch, und ich werde dir dankbar sein, wenn du es mit ihrer Bestattung so hältst, wie sie selber es wünschten.«

Don Ephraim sagte: »Du bist meiner Bitte zuvorgekommen, Herr König. Ich werde für alles Sorge tragen. Wolle mir aber in Gnaden vergönnen, mit der Bestattung noch eine Zeit zu warten, damit die vielen, die Don Jehuda Ibn Esra zu ehren wünschen, davon erfahren.« Bald nach Friedensschluß genas Doña Berengaria eines Knaben. Dieser künftige König von Aragon und Kastilien wurde auf den Namen Fernán getauft. Die Taufe wurde mit höchstem Prunk gefeiert; die fünf christlichen Herrscher der Halbinsel hatten sich in Saragossa versammelt, daran teilzunehmen.

Beim Festbankett saßen Alfonso und Leonor nebeneinander auf erhöhten Stühlen. Doña Leonor war schön, damenhaft liebenswürdig und hochmütig wie stets, und sie tauschte, wie die Courtoisie es verlangte, mit ihrem Manne viele höfliche Worte.

Alfonso durfte sich an diesem Tage als König der Könige fühlen und war sich seines Wertes und seiner Ehre bewußt. Vor einem Jahr war sein Land unter den Waffen der Feinde gewesen, er selber eingeschlossen in seiner Hauptstadt. Wie grimmig hatte er sich damals geschämt, wenn er an Richard von Engelland dachte. Der hatte sich in Wahrheit bewährt als der Miles Christianus, der Schrecken der Moslems, der Melek Rik. Hatte die uneinnehmbare Feste Akko erstürmt, hatte in offener Feldschlacht glorreich gesiegt über das Heer des Sultans Saladin. Wie anders heute. Die ungeheuern Verluste des Kreuzheeres waren so gut wie umsonst gewesen, ein ärmlicher Waffenstillstand war abgeschlossen, die Heilige Stadt war nach wie vor in den Händen der Ungläubigen, Richard selber, entzweit mit seinen Alliierten, saß hilflos in einem österreichischen Gefängnis. Er aber, Alfonso, thronte hier, nach wie vor der mächtigste König der Halbinsel. Und sein Enkel, den sie heute aus der Taufe gehoben haben, dieser kräftige, kleine Fernán, der wird, das war so gut wie gewiß, Aragon und Kastilien vereinigen, und vielleicht wird er sich Kaiser nennen dürfen wie sein Ahn, der Siebente Alfonso.

Allein inmitten dieses Glanzes und dieser Blüte wuchs nur die Wüste in Alfonsos Innerem. Er sah Doña Leonor und sah ihre Ödnis. Er sah seine Tochter Berengaria und sah in ihren Augen, den großen, grünen Augen der Mutter, die wilde Hoffart, den Hunger nach immer mehr Macht und Ansehen. Er war sicher, daß sie ihren Mann für schwach hielt, weil er nach seiner, Alfonsos, Niederlage nicht die Vorherrschaft der Halbinsel an sich gerissen hatte. Er war sicher, daß all ihr Sein und Denken jetzt ihrem kleinen Sohne galt, diesem künftigen Emperador Fernán, und daß sie für ihn selber, ihren Vater, nichts fühlte als Widerstreben, verächtliche Gleichgültigkeit. Er stand ihrem Sohn und ihrem Ehrgeiz im Wege, er hat aus Wollust seine Königspflicht vernachlässigt, er hat das Land, das ihr und ihrem Sohne gehörte, schon einmal fast verloren und wird es vielleicht endgültig verspielen, ehe sich ihr kleiner Fernán die Kaiserkrone aufsetzt.