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Die großen, soliden Bauten stammten fast alle noch aus der Zeit der Moslems und waren nur notdürftig instand gehalten und wenig verändert. Doña Raquel war im stillen überzeugt, daß dies alles viel schöner gewesen war, als noch die Moslems es betreuten. Dafür hatte sie ihre Freude an dem bunten Menschengewimmel, welches vom frühen Morgen bis in die Dunkelheit die Stadt füllte, vor allem den Hauptplatz, den Zocodovér, den offenbar uralten Marktplatz. Menschen lärmten, Pferde wieherten, Esel schrien, alles drängte durcheinander, stieß und störte sich, immerzu gab es Stockungen, und die Straßen waren voll Unrat. Allein Raquel vermißte kaum die schöne Ordnung Sevillas, solche Freude hatte sie an dem heftigen Leben Toledos.

Es fiel ihr auf, wie scheu und zurückhaltend hier die islamischen Frauen waren. Alle gingen sie tief verschleiert. In Sevilla hatten die Frauen aus dem Volk bei der Arbeit und wenn sie zu Markte gingen, den behindernden Schleier abgelegt, und in den Häusern der aufgeklärten großen Herren trugen nur die verheirateten Damen Schleier, sehr dünne, kostbare, mehr Schmuck als Verhüllung. Hier aber, offenbar um sich den Blicken der Ungläubigen zu entziehen, trugen alle islamischen Frauen die Schleier lang und dicht und immer.

Die jungen Granden, stolz auf ihre Stadt, erzählten Raquel von der Geschichte Toledos. Gott hatte die Sonne am vierten Schöpfungstage, als er sie schuf, gerade über Toledo gestellt, so daß die Stadt älter war als die übrige Erde. Uralt war die Stadt, dafür gab es viele Beweise. Sie hatte Karthager herrschen sehen, dann sechshundert Jahre lang Römer, dreihundert Jahre gotische Christen, vierhundert Jahre Araber. Jetzt, seit hundert Jahren, seit dem glorreichen Kaiser Alfonso, herrschten hier von neuem die Christen, und nun werden sie hier bleiben bis zum Jüngsten Gericht.

Ihre beste und größte Zeit, erzählten die jungen Granden, hatte die Stadt gesehen unter den christlichen, westgotischen Herren, deren Abkömmlinge sie, die Ritter, waren. Damals war Toledo die reichste, herrlichste Stadt der Welt gewesen. Der König Athanagild hatte seiner Tochter Brunhild zur Ausstattung Schätze mitgegeben im Werte von dreitausend mal tausend Goldmaravedí. Der König Reccared besaß den Tisch des Judenkönigs Salomo, er bestand aus einem einzigen riesigen Smaragd und war mit Gold umrahmt; auch besaß König Reccared einen Wunderspiegel, in welchem man die ganze Welt erblickte. Das alles hatten die Moslems geraubt und zerstört und verschleudert, die Ungläubigen, die Hunde, die Barbaren.

Besonders stolz waren die jungen Herren auf ihre Kirchen. Neugierig, befangen betrachtete Raquel die wuchtigen Bauwerke; sie schauten aus wie Festungen. Raquel stellte sich vor, wie edel sie gewesen sein mochten, da sie noch Moscheen waren, umgeben von Bäumen, Springbrunnen, Säulengängen, Lehrhäusern. Nun war alles kahl und finster.

Im Vorhof der Kirche der heiligen Leocadia fand sie einen Brunnen mit einer besonders schönen Einfassung, die eine arabische Inschrift trug. Stolz darauf, daß sie die altertümlichen kufischen Schriftzeichen lesen konnte, mit dem Finger den eingegrabenen, schon halb verwischten Lettern folgend, entzifferte sie: »Im Namen des Allbarmherzigen Gottes. Der Kalif Abd er Rahmân, der Siegreiche – Gott möge seine Tage verlängern – hat diesen Brunnen errichten lassen in der Moschee der Stadt Toleitola – Gott möge sie beschützen – in der siebzehnten Woche des Jahres 323.« Das war also jetzt vor zweihundertfünfzig Jahren. »Das ist lange her«, sagte Don Estéban Illán, der sie begleitete, und grinste.

Mehrmals erboten sich die jungen Herren, ihr das Innere einer Kirche zu zeigen. In Sevilla war viel die Rede von diesen »Kirchen«, Stätten des Greuels und Götzendienstes, in welche die Barbaren des Nordens die schönen alten Moscheen verwandelt hatten. Es verlangte Raquel sehr, eines dieser Häuser zu sehen, doch gleichzeitig verspürte sie Scheu und lehnte höflich unter einem Vorwand ab. Endlich überwand sie ihr Unbehagen und betrat, geführt von Don Garcerán und Don Estéban, die Kirche San Martín.

Kerzen waren in dem dämmerigen Innern. Duft von Weihrauch war. Und da war das, was zu sehen sie gewünscht und gefürchtet hatte: Bilder, Götzenbilder, das Urverbotene. Denn wenn der westliche Islam das eine oder andere Verbot des Propheten frei ausdeutete, wenn er’s zuließ, daß man Wein trank und daß die Frauen ihr Antlitz ohne Schleier zeigten: unverrückbar fest hielt er an der Vorschrift des Propheten, daß man sich kein Bild Allahs machen dürfe und kein Bild von irgend etwas Lebendigem, Mensch oder Tier; kaum die Form einer Pflanze oder einer Frucht durfte man andeuten. Hier aber standen Menschen herum, geformt aus Stein und aus Holz, und andere Menschen und Tiere waren flach und farbig auf Holzgetäfel gemalt. Das also waren die Götzenbilder, die Greuel Allahs und des Propheten.

Wer immer von Gott mit Vernunft, Gefühl, Gesittung begnadet war, sei er Jude oder Moslem, mußte Abscheu spüren vor solchen Gebilden. Sie waren auch tief widerwärtig, seltsam starr und dennoch lebendig, sonderbar unwirklich, halb tot, leichenhaft wie Fische auf Märkten. Sie wagten es, die Barbaren, es Allah gleichtun zu wollen, sie schufen Menschen nach seinem Bilde und beugten, die Narren, vor diesen steinernen und hölzernen Dingen, die sie selber gemacht hatten, die Knie und gaben ihnen Weihrauch zu riechen. Aber am Tage des Jüngsten Gerichts wird Allah diejenigen, die solche Dinge gemacht haben, auffordern, ihnen Leben einzublasen, und wenn sie’s nicht können, dann wird er sie in die Verdammnis stürzen für ewig.

Trotzdem spürte sich Raquel merkwürdig angezogen. Es berauschte sie, daß man das konnte: einen Menschen festhalten, das vergängliche Fleisch, die flüchtige Miene, die Gebärde, die verschwand, kaum daß sie da war. Daß sterbliche Menschen das vermochten, erfüllte sie mit Stolz und gleichzeitig mit Grauen.

Die Herren, die sie führten, erklärten ihr ehrfürchtig und beflissen die Götzenbilder. Da war ein Mann aus Holz mit einem Mantel und mit einer Gans. Das war der heilige Martín, dem die Kirche geweiht war. Er war Offizier gewesen und ins Feld gegangen, bewaffnet nur mit einem Kreuz, um der ganzen feindlichen Armee standzuhalten. Einmal, da es sehr kalt war, gab er den eigenen Mantel einem Armen, worauf ihm der Himmel einen andern Mantel überwarf. Wieder einmal, als der Kaiser nicht vor ihm aufstand, entzündete sich sein Thron, und das Feuer zwang ihn, dem Heiligen Ehrfurcht zu erweisen. Das alles konnte man sehen, es war auf Holztafeln gemalt. Doña Raquel wirbelte der Kopf, der Mann mußte ein Derwisch gewesen sein.

Auf einem anderen Bilde sah man ein moslemisches Mädchen mit einem Korb voll Rosen, und vor ihr stand verblüfft ein Araber fürstlichen Ansehens und Gewandes. Mit leiser Anzüglichkeit erzählte Don Garcerán, das seien die Prinzessin Casilda und ihr Vater, der König Al-Menon von Toledo. Casilda, von ihrer Aja heimlich im christlichen Glauben erzogen, versorgte unter vielen Gefahren die christlichen Gefangenen, die in den Verliesen des Königs hungerten. Der König wurde von einem Angeber unterrichtet und überraschte sie. Streng fragte er, was sie da im Korb habe. Es war Brot; sie aber antwortete: »Rosen.« Zornig hob er den Deckeclass="underline" siehe, das Brot hatte sich in Rosen verwandelt. Das begriff Raquel. Ähnliches stand auch in ihren arabischen Geschichten. »Ah«, sagte sie, »sie war eine Zauberin.« Don Garcerán wies sie strenge zurecht: »Sie war eine Heilige.«

Don Estéban Illán vertraute ihr an, in den Knauf seines Degens sei ein Knöchelchen des heiligen Ildefonso eingeschmiedet, und diese Reliquie habe ihm zweimal in der Schlacht das Leben gerettet. Wieviel Zauberer diese Christen haben, dachte Doña Raquel, und sie erzählte munter, ein sehr gutes Schutzmittel sei es auch, sich am Tage der Schlacht von einem Mekka-Pilger, am besten einem Derwisch, in den Frühtrank spucken zu lassen. »Viele unserer Krieger tun das«, erklärte sie.