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Mochte dem sein wie immer, der Mann, der die Bibliothek des Castillo Ibn Esra betreute, zog den Domherrn beinahe noch mehr an als die herrliche Bibliothek selber. Er schien ihm, dieser Musa, wie er ruhig in seinen Polstern saß, zeitlos wie die Weisheit. Bald schien er ihm kaum älter als er selber, der fünfzig war, bald uralt. Der Glanz der stillen, etwas spöttischen Augen bezauberte ihn und machte ihn befangen, und trotzdem war ihm, als könne er mit diesem Manne freieren Gemütes reden als mit den meisten schlicht-gläubigen Christen.

Er erzählte ihm von der Akademie, deren Leiter er war. Gewiß könne sich dieses sein bescheidenes Institut nicht vergleichen mit ähnlichen der Moslems, aber es werde immerhin von hier aus Weisheit der Araber sowohl wie der heidnischen Alten dem Abendlande vermittelt. »Glaube ja nicht, o weiser Musa«, erklärte er eifrig, »daß ich engherzig sei. Ich habe sogar den Koran ins Lateinische übersetzen lassen. Auch arbeiten an meiner Akademie manche Ungläubige, Juden wie Moslems. Wenn du es erlaubst, dann bringe ich dir einmal den einen oder andern meiner Schüler, daß er der Ehre eines Gespräches mit dir teilhaftig werde.«

»Tu das, hochwürdiger Don Rodrigue«, antwortete freundlich Musa. »Bring mir welche von deinen Schülern. Aber mahne sie zur Vorsicht. Und sei selber vorsichtig!« Und er wies auf einen Satz an der Wand, verwirrenderweise war es wieder ein Satz aus der Heiligen Schrift, dieses Mal aus dem Fünften Buche Mose: »Verflucht sei, wer einen Blinden irreführt.«

Als sich Don Rodrigue endlich von dem Hausherrn verabschiedete, viel später, als er beabsichtigt hatte – er war wirklich ungebührlich lange geblieben –, sagte er scherzend: »Ich sollte dir böse sein, Don Jehuda. Um ein Haar hast du mich verleitet, das Zehnte Gebot zu übertreten. Zwar gelüstet es mich nicht nach deinem Hause, noch nach deinen Maultieren, noch nach deinen Knechten und Mägden. Wohl aber, fürchte ich, gelüstet es mich nach deinen Büchern.« Der Gemeindevorsteher Don Ephraim suchte Jehuda auf, um mit ihm von Angelegenheiten der Aljama zu sprechen. »Wie zu erwarten war«, hub er an, »hat dein Ruhm und Glanz der Gemeinde viel Segen gebracht, aber auch neue Bedrängnis. Der Neid auf deine Größe hat den Haß des Erzbischofs, dieses Frevlers und Esau, geschürt. Don Martín zieht sein verstaubtes Pergament hervor, jene Verordnung des Kardinalskollegiums von vor sechs Jahren, daß nicht nur die Söhne Edoms, sondern auch die Nachkommen Abrahams den Zehnten an die Kirche zu entrichten hätten. Damals hatte der edle Alfakim Ibn Schoschan – das Andenken des Gerechten zum Segen – den Ansturm der Beglatzten abgewehrt. Nun aber glaubt der Frevler seine Zeit gekommen. Sein Schreiben an die Aljama ist voll von Drohungen.«

Don Jehuda wußte, daß es bei der Forderung des Zehnten um sehr viel mehr ging als um das Geld. Siegte die Kirche, dann war das Grundprivileg der Juden gefährdet, dann unterstanden sie nicht mehr unmittelbar dem König, dann hatte sich der Erzbischof dazwischengeschoben. Auch mußte Don Jehuda in seinem Innern zugeben, daß die Besorgnis Don Ephraims, diesmal könnte der Erzbischof sein Ziel erreichen, nicht unbegründet war. Don Martín war ein naher Freund des Königs; sicher lag er ihm in den Ohren, er möge die Sünde der Erhöhung des Juden Ibn Esra dadurch gutmachen, daß er endlich die Judenheit zur Entrichtung des Kirchenzehnten zwinge.

Allein Jehuda äußerte Zuversicht. »Es wird dem Frevler diesmal so wenig gelingen wie früher«, sagte er. Und fuhr fort: »Ist nicht im übrigen alles, was Steuern anlangt, mein Bereich? Erlaube, daß ich das Schreiben des Erzbischofs beantworte.«

Das war nun durchaus nicht nach Don Ephraims Sinn; er wollte keines seiner Geschäfte diesem Jehuda überlassen. »Es sei ferne von mir«, lehnte er höflich ab, »dir noch weitere Bürden aufzuhalsen, mein Herr und Lehrer Jehuda. Ein anderes aber möchte ich dir bescheidentlich im Namen der Aljama nahelegen. Die Pracht deines Hauses, die Fülle des Gutes, mit welchem der Herr dich gesegnet hat, die Glorie, die er dir durch die Gnade des Königs zugewandt hat, ist allen Neidern Israels ein Dorn im Auge und ein währender Stachel im schwarzen Herzen des Erzbischofs. Ich habe deshalb der Aljama neu eingeschärft, sich unauffällig zu halten und die Bösewichter nicht durch Glanz zu reizen. Wolle auch du sie nicht reizen, Don Jehuda.« – »Ich verstehe deine Sorge, mein Herr und Lehrer Don Ephraim«, antwortete Jehuda, »aber ich teile sie nicht. Nach meinen Erfahrungen schreckt der Anblick der Macht ab. Zeigte ich Schwäche oder Kargheit, so würde der Erzbischof nur kühner gegen mich und gegen euch.«

Am folgenden Sabbat ging Don Jehuda in die Synagoge.

Er war erstaunt, wie kahl und nüchtern das Innere selbst dieses ersten Heiligtums der spanischen Judenheit herschaute; Don Ephraim duldete auch hier keinen Prunk. Öffnete sich freilich der Thora-Schrein, die Bundeslade, der Aron Hakodesch, dann leuchteten und glänzten daraus hervor die heiligen Geräte, mit welchen die Rollen der Schrift geschmückt waren, die kostbar bestickten Mäntel, die goldenen, von Geschmeide glitzernden Platten und Kronen.

Don Jehuda wurde aufgerufen, den Wochenabschnitt aus der Schrift zu lesen. Erzählt war da, wie Bileam, ein heidnischer Prophet, auszog, dem Volke Israel zu fluchen, allein Gott zwang ihn, sein Volk zu segnen, und es verkündete der heidnische Prophet: »Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel, wie Täler, die sich breiten, wie Gärten mit vielen Wassern, wie Aloebäume, von Jahve gepflanzt, wie Zedern am Ufer des Flusses. Du frißt die Völker, die Heiden, deine Feinde, du zermalmst die Gebeine deiner Verfolger.«

Jehuda las die Verse in dem vorgeschriebenen uralten Singsang, er las nicht ohne Mühe, sein Akzent mochte dem oder jenem fremdartig klingen, ja, ein wenig lächerlich. Aber keinen lächerte es. Vielmehr hörten sie, die jüdischen Männer und Frauen von Toledo, voll Verehrung zu, und die Ergriffenheit Don Jehudas erhob auch sie. Dieser Mann, den das Schicksal in früher Jugend zum Meschummad gemacht hatte, war freiwillig, war demütig in den Bund Abrahams zurückgekehrt und wird, dieser Mächtige, mithelfen, daß die Segnungen, von denen er las, sich auch an ihnen erfüllten. Nun sich Raquel offen zu ihrem Judentum bekennen durfte, fiel es ihr schwerer, sich als Jüdin zu fühlen, denn vorher. Sie las oft in dem Großen Buch, sie träumte stundenlang versunken und leidenschaftlich von den Geschichten, die darin standen, von den Taten der Väter und Könige und Propheten. Das Gewaltige, Erhabene, Tieffromme, das da berichtet wurde, und auch das Schwache, Kleine, Tiefböse, das nicht unterschlagen war, alles wurde ihr leibhaft, und sie war stolz und glücklich, von solchen Ureltern abzustammen.

Allein mit den Juden, die sie hier in Toledo lebendig umgaben, fühlte sie wenig Verbundenheit, wiewohl sie doch festen, ehrlichen Willens war, zu ihnen zu gehören.

Oft, um ihr Volk besser kennenzulernen, ging sie in die Judenstadt, die Judería.

Auf diesen Gängen ließ sie sich von Don Benjamín Bar Abba begleiten, einem jungen Verwandten des Gemeindevorstands. Der Domherr Rodrigue hatte Benjamín im Castillo Ibn Esra eingeführt; er war einer seiner Gelehrtenschüler, ein Übersetzer aus seiner Akademie.

Don Benjamín war mit all seinem geschärften Verstand und seinem gründlichen Wissen kaum dreiundzwanzig Jahre alt, er hatte etwas Knabenhaftes, Schalkhaftes, Spitzbübisches, das Raquel anzog. Bald war zwischen ihnen gute Kameradschaft. Sie lachten gerne über Dinge, deren Spaßhaftigkeit ein anderer kaum verstanden hätte, und es gab mancherlei, worum Doña Raquel den Vater nicht und nicht einmal Onkel Musa befragte, wohl aber ihren Freund Benjamín.

Er seinesteils erzählte ihr unbefangen von seinen eigensten Dingen. Etwa, daß ihm sein Verwandter, Don Ephraim, der Párnas, nicht gefalle; er sei ihm zu listig, und wenn er selber nicht so arm wäre, hielte er’s in Don Ephraims Hause nicht aus. Doña Raquel hatte noch nie einen Freund gehabt, der arm war. Sie musterte ihn erstaunt und neugierig.