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Benjamín übte die jüdischen Bräuche, doch nur, um Don Ephraim nicht zu mißfallen, er legte kein Gewicht auf sie. Wohl aber bewunderte er arabische Weisheit, und er sprach gerne von den großen alten, verschollenen Völkern, besonders von den Griechen, Joniern, wie er sie nannte; einen dieser Jonier, einen gewissen Aristoteles, stellte er Unserm Lehrer Mose geradezu gleich. Bei alledem war er stolz darauf, zu den Juden zu gehören; denn sie waren das Volk des Buches und hatten das Buch treu durch die Jahrtausende bewahrt.

Dieser Benjamín war Raquels Führer in der Judería. Mehr als zwanzigtausend Juden lebten in Toledo, und nochmals fünftausend außerhalb der Mauern, und wiewohl durch kein Gesetz gezwungen, wohnten die meisten in ihrem eigenen Stadtviertel, das wiederum durch Mauern und befestigte Tore beschützt war.

Die Juden saßen, erzählte Benjamín, seit urdenklichen Zeiten in Toledo; ja, die Stadt leitete ihren Namen her von dem hebräischen Worte Toledot, Geschlechterfolge. Die ersten waren hierhergekommen als Abgesandte des Königs Salomo, um von den Barbaren Tribut zu erheben. Die meiste Zeit ging es ihnen gut. Aber unter den christlichen Westgoten hatten sie wüste Verfolgungen zu erleiden. Am grimmigsten verfolgte sie einer ihres eigenen Stammes, ein gewisser Julian, der zu den Christen überlief und von diesen zum Erzbischof gemacht wurde. Immer schärfere Vorschriften erließ er gegen seine früheren Brüder, und zuletzt erwirkte er ein Gesetz, dem zufolge, wer nicht zum Christentum übertrat, in die Sklaverei verkauft werden sollte. Da riefen denn die Juden die Araber übers Meer und halfen ihnen, das Land zu erobern. Die Araber legten jüdische Garnisonen in die Städte und gaben ihnen jüdische Kommandanten. »Stell dir vor, Doña Raquel«, forderte Benjamín sie auf, »wie das gewesen sein muß, als die Unterdrückten plötzlich die Herren wurden und die früheren Unterdrücker die Sklaven.«

Begeistert erzählte Benjamín von den Büchern der Dichtung und Weisheit, welche in den folgenden Jahrhunderten unter der Herrschaft der Moslems die sephardischen Juden geschaffen hatten. Aus dem Gedächtnis sprach er ihr vor glühende Verse des Salomo Ibn Gabirol und des Jehuda Halevi. Er erzählte ihr von den mathematischen, astronomischen, philosophischen Werken des Abraham Bar Chija. »Was immer in diesem Lande Sepharad groß ist, sei es im Geiste oder sei es im Stein«, sagte er überzeugt, »daran haben Juden mitgebaut.«

Einmal sprach ihm Raquel von der Verwirrung, in welche der Anblick der Götzenbilder in der Kirche San Martín sie gestürzt hatte. Er hörte zu. Stand unschlüssig. Dann, verschmitzt, zog er ein kleines Buch heraus und zeigte es ihr, geheimnisvoll. Es waren aber in diesem Buch, er nannte es sein Merkbuch, Zeichnungen, Abbildungen von Menschen. Manchmal waren sie bösartig spaßhaft, zuweilen verwandelten sich die Gesichter der Menschen geradezu in Tiergesichter. Doña Raquel war erstaunt, angeschauert, amüsiert. Welch unerhörter Frevel! Dieser Don Benjamín machte nicht nur Abbilder allgemeiner Art, wie es jene Götzenbilder in den Kirchen waren, er formte deutliche, erkennbare Menschen. Ja, er wollte es Gott gleichtun, er änderte sie nach seinem frechen Willen, verzerrte ihre Seele. Öffnete sich die Erde nicht, den Frevler zu verschlingen? Und sie selber, Raquel, nahm sie nicht teil an dem Frevel, indem sie diese Zeichnungen beschaute? Aber sie konnte sich nicht helfen, sie schaute weiter. Da war das Abbild eines Tieres, eines Fuchses, wie es schien, aber es war gar kein Fuchs, aus dem listigen Gesicht schauten die frommen Augen Don Ephraims. Und Raquel inmitten all ihres Grauens und ihrer Zweifel mußte lachen.

Am engsten verknüpft fühlte sie sich mit Benjamín, wenn dieser ihr Geschichten erzählte, merkwürdige Begebenheiten, die großen jüdischen Männern Toledos zugestoßen waren.

Da war die Geschichte des Rabbi Chanan Ben Rabua. Der hatte eine wunderbare Wasseruhr konstruiert. Sie bestand aus zwei Brunnen, zwei Zisternen, die mit solcher Kunst und Berechnung angelegt waren, daß sich die eine bei zunehmendem Monde langsam mit Wasser füllte und die andere leerte, mit abnehmendem Monde aber umgekehrt, so also, daß man ihnen den Tag des Monats, ja, die Stunde des Tages ablesen konnte. Neidische Nebenbuhler bezichtigten Rabbi Chanan der Zauberei. »Wissen macht immer verdächtig«, erläuterte altklug Don Benjamín – und der Alkalde zog Rabbi Chanan gefänglich ein. Da indes leerten sich und füllten sich die Zisternen nicht mehr, wie sie sollten. Man nahm an, der Rabbi habe, bevor man ihn gefangensetzte, die kunstreiche Wasseruhr, an der er dreimal sieben Jahre gearbeitet hatte, beschädigt, und man wollte ihn zwingen, sie zu reparieren. Er aber verdarb sie vollends. Da verbrannten sie ihn. »Der Turm, in dem er lag«, schloß Don Benjamín, »steht noch heute. Auch jene Zisternen kannst du noch sehen, in der Huerta del Rey, bei dem verfallenen Lustschloß La Galiana.«

Des Abends erzählte Raquel der Amme Sa’ad von dem armen, kunstreichen, gelehrten Rabbi Chanan, den die bösen Menschen gefoltert hatten um seiner Kunst und Wissenschaft willen. Sie erzählte anschaulich von der Wasseruhr und dem Gefängnis und von dem Feuertod des Rabbis. Die Amme Sa’ad aber sagte: »Es sind böse Menschen hier in Toledo. Ich wollte, Rechja, mein Lämmchen, wir gingen zurück in die Stadt Sevilla, möge Allah sie behüten.«

Drittes Kapitel

Die Brüder Fernán und Gutierre de Castro ließen es nicht bei leeren Drohungen bewenden gegen den Mann, der einen Beschnittenen in ihr Castillo gesetzt hatte. Sie stießen mit bewaffneter Macht in den Bereich Don Alfonsos vor, einmal sogar bis in die Stadt Cuenca. Sie überfielen reisende Bürger und führten sie als Gefangene in ihre Burgen. Sie raubten kastilischen Bauern die Viehherden. Mit der Beute zogen sie sich zurück in ihr schwer zugängliches Bergland Albarracín.

Don Alfonso wütete. Seitdem er denken konnte, hatte er die Castros gehaßt. Als er mit drei Jahren König geworden war, hatte ein Castro für ihn regiert, er hatte den Knaben streng und schlecht behandelt, und Alfonso hatte gejubelt, als endlich Manrique de Lara die Castros stürzte. Allein die Castros blieben mächtig in ihrer Gaugrafschaft, und sie hatten viele Anhänger unter den Granden Kastiliens.

Ihre neuerlichen frechen Gewalttaten reizten Alfonso aufs Blut. So ging das nicht weiter. Er wird ihre Burgen berennen und zerstören, er wird die beiden kahl scheren und ins Kloster stecken; nein, die Köpfe abschlagen wird er ihnen.

In seinem Innern wußte er, daß eine solche kriegerische Expedition gefährliche Zerwürfnisse mit seinem Oheim bringen mußte, dem König von Aragon.

Von jeher nämlich hatte Aragon sowohl wie Kastilien Anspruch erhoben auf die Oberhoheit über die Grafschaft der Castros, das Bergland Albarracín, das zwischen Kastilien und Aragon gelegen war. Nach dem Tode des letzten regierenden Grafen indes hatten seine Söhne, die Brüder Fernán und Gutierre de Castro, sich geweigert, irgendwelche Oberhoheit anzuerkennen. Wenn jetzt er, Alfonso, in ihr Land einfällt, dann werden sie sich an Aragon um Schutz wenden, und sein Oheim Raimundez, der König von Aragon, wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sie als Vasallen anzunehmen und sie gegen seinen, Alfonsos, Angriff zu verteidigen. Das bedeutete Krieg mit Aragon.

Allein Alfonso verscheuchte diese Bedenken, noch bevor sie recht zu Gedanken wurden. Er wird gegen die Castros marschieren! Er wird Jehuda berufen. Der muß ihm das Geld schaffen.

Jehuda, auf dem Weg zur Königsburg, war hellen Mutes. Er wußte nicht, was Don Alfonso, den er lange nicht gesehen hatte, von ihm wollte, und er freute sich darauf, ihm Vortrag zu halten; er konnte von Erfolgen berichten, ja, den handgreiflichen Beweis eines Erfolges führte er mit sich, ein kleines Etwas, das Don Alfonso Spaß und Freude machen würde.

Er stand vor dem König und berichtete. Mehrere Ricoshombres, neun, um genau zu sein, die mit ihren Zahlungen im Verzug waren, hatten mit Unterschrift und Siegel bestätigt, daß sie bei weiterer Versäumnis jeden Herrschaftsanspruch an gewisse Städte verlieren sollten, zugunsten des Königs. Jehuda konnte ferner berichten von elf neuen Mustergütern, von einer Versuchsanstalt für Seidenzucht in der Nähe von Talavera, von neuen, großen Werkstätten hier in Toledo und in Burgos, auch in Avila, Segovia, Valladolid.