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Er nahm die Goldmünze, wog sie, beschaute sie. Hellte sich auf. »Ich verspreche nichts«, sagte er. »Aber ich werde mir überlegen, was du gesagt hast.«

Jehuda sah, daß er mehr nicht erreichen konnte. Er nahm Urlaub und fuhr nach Aragon. Der Domherr Rodrigue sprach auch trotz der Abwesenheit Jehudas häufig im Castillo Ibn Esra vor. Er suchte die Gesellschaft des alten Musa.

Da saßen die beiden in der kleinen Vorhalle, schauten hinaus in die Stille des Gartens, hörten auf den leisen, immer gleichmäßigen, immer wechselnden Fall der springenden Wasser und pflogen sachten Gespräches. Die Wände entlang, rot, blau und golden leuchtend, liefen die Friese mit den Weisheitssprüchen. Die krausen Lettern der neueren arabischen Schrift, ineinander verschlungen, umwunden von blumenartigen Ornamenten, verzogen zu Arabesken, bildeten ein buntes Gewebe, das die Wände wie ein Teppich bedeckte. Aus dem launischen Geschnörkel hoben sich ab altarabische, »kufische«, kantige Schriftzeichen und blockige hebräische, formten sich zu Sprüchen, lösten sich auf, mischten sich in andere, kehrten wieder, seltsam ruhelos, verwirrend.

Rodrigue, durch das Dickicht der Ornamente und Arabesken, folgte jenem hebräischen Spruch, den ihm damals, bei seinem ersten Besuch, Musa übersetzt hatte: »Das Schicksal der Menschenkinder und das Schicksal des Viehes ist das gleiche … Ihre Seele ist die gleiche … Wer weiß, ob die Seele der Menschenkinder hinaufgeht und die Seele des Viehes hinunter unter die Erde?« Schon damals hatte es den Domherrn beunruhigt, daß diese Verse, wie Musa sie las, anders klangen als in der ihm vertrauten lateinischen Fassung. Nun nahm er sich ein Herz und wollte mit Musa darüber diskutieren. Aber dieser warnte freundlich: »Du solltest dich mit so gefährlichen Betrachtungen nicht abgeben, mein hochwürdiger Freund. Du weißt, daß, als Hieronymus die Bibel übersetzte, der Heilige Geist selber ihn inspiriert hat, so also, daß die Worte, welche Gott mit Mose in lateinischer Sprache tauscht, nicht minder göttlich sind als die hebräischen. Trachte nicht, allzu weise zu sein, hochwürdiger Don Rodrigue. Der Hund des Zweifels schläft leise. Er könnte aufwachen und deine Überzeugung anbellen, und du wärest verloren. Ohnedies schon nennen viele deiner Berufsbrüder in andern christlichen Ländern unser Toledo die Stadt der Schwarzen Magie, und unsere krausen arabischen und hebräischen Zeichen scheinen ihnen Gekritzel des Satans. Sie werden dich noch einen Ketzer heißen, wenn du so neugierig bist.«

Trotzdem kamen die stillen Augen Don Rodrigues von den verwirrenden Inschriften nicht los. Aber mehr noch als sie beunruhigte den Domherrn der Mann, der sie hatte anbringen lassen. Der alte Musa – das hatte Don Rodrigue bald erkannt – war gottlos durch und durch, glaubte nicht einmal an seinen Allah und Mohammed und war trotzdem, dieser Heide, gütig, duldsam, liebenswert. Und überdies und vor allem ein wahrer Gelehrter. Er, Rodrigue, hatte studiert, was die christliche Wissenschaft einem beibringen konnte, das Trivium und das Quadrivium, Grammatik, Dialektik und Rhetorik, Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie, dazu alle erlaubte arabische Weisheit und jegliche Gottesgelahrtheit; aber Musa wußte viel mehr, er wußte alles, und über alles hatte er nachgedacht, und es blieb eine der schönsten Gottesgaben, sich mit diesem Gottlosen zu unterhalten.

»Ein Ketzer – ich?« antwortete er denn jetzt mit freundlicher Schwermut auf die Warnung des andern. »Ich fürchte, du bist der Ketzer, mein lieber, weiser Musa. Und nicht nur ein Ketzer bist du, fürchte ich, sondern ganz und gar ein Heide, der nicht einmal die Wahrheiten seines eigenen Glaubens glaubt.« – »Das fürchtest du?« fragte der alte, häßliche Gelehrte, und er richtete die starken Augen durchdringend auf das stille Gesicht des Rodrigue. »Ich fürchte es«, entgegnete dieser, »weil ich dir freund bin und weil es mir leid ist, daß du in der Hölle brennen wirst.« – »Würde ich nicht«, erkundigte sich Musa, »schon weil ich Moslem bin, in der Hölle brennen?« – »Nicht unbedingt, lieber Musa«, belehrte ihn Rodrigue. »Und bestimmt nicht so heiß.«

Musa, nach einer kleinen Weile, sagte nachdenklich und zweideutig: »Ich mache wenig Unterschied zwischen den drei Propheten, damit magst du recht haben. Mir gilt Mose soviel wie Christus und dieser soviel wie Mohammed.« – »So was darf ich gar nicht hören«, sagte der Domherr und rückte ein wenig ab. »Ich müßte gegen dich vorgehen.« Musa lenkte höflich ein: »Dann will ich nichts gesagt haben.«

Wenn Musa so diskutierte, stand er wohl zuweilen auf, trat an sein Schreibpult und kritzelte im Sprechen Kreise und Arabesken. Rodrigue sah neidisch und vorwurfsvoll zu, wie der andere das kostbare Papier so eitel verschwendete.

Gerne las der Domherr dem Musa aus seiner Chronik vor, um sich Ergänzungen und Berichtigungen zu holen. In dieser Chronik war viel die Rede von den toten Heiligen. Sie hatten, in den Lüften mitkämpfend, die Ungläubigen oftmals geschlagen; auch ihre Reliquien, in die Schlacht mitgeführt, hatten den Christen manchen Sieg erstritten. Musa merkte an, diese heiligen Reste seien Zeugen wohl auch mancher christlichen Niederlage gewesen; doch tat er’s milde und sachlich und fand es verständlich, daß Rodrigue davon nichts berichtete. Überhaupt hörte er dem Domherrn einfühlsam zu und bestärkte ihn im Glauben an die Wichtigkeit seines Werkes.

Wenn dann freilich Musa aus seiner eigenen »Geschichte der Moslems in Spanien« vorlas, dann schien dem armen, glücklichen Rodrigue, was er selber schrieb, verzweifelt primitiv. Heiß und kalt wurde ihm beim Anhören dieses eigenartigen, kühnen Geschichtswerkes. »Staaten«, hieß es da, »sind keine göttlichen Institutionen, sie entstehen aus den naturhaften Kräften des Lebens. Gesellschaftlicher Zusammenschluß ist notwendig zur Erhaltung menschlicher Art und Kultur, staatliche Macht ist notwendig, damit nicht die Menschen einander alle umbringen, denn sie sind von Natur böse. Die Kraft, die einen Staat zum einheitlichen Gebilde formt, ist die Asabidscha, die innere Verbundenheit durch Willen, Geschichte und Blut. Staaten, Völker, Kulturen haben wie alle erschaffenen Dinge ihre von der Natur bestimmte Lebensdauer, sie durchlaufen gleich den Einzelwesen fünf Altersphasen: Entstehen, Aufstieg, Blüte, Niedergang, Vergehen. Immer wieder wandelt sich Zivilisation in Verweichlichung, Freiheit in Zweifelsucht, und Staaten, Völkerschaften, Kulturen lösen einander ab nach strengen, ewig gleichen Gesetzen, ständig unbeständig wie wandernde Sanddünen.«

»Wenn ich dich recht verstehe, mein Freund Musa«, bedachte einmal im Anschluß an eine solche Lesung Don Rodrigue, »dann glaubst du an keinen Gott, sondern nur an das Kadar, an das Schicksal.« – »Gott ist das Schicksal«, erwiderte Musa. »Das ist die Summe der Erkenntnis sowohl des Großen Buches der Juden wie des Korans.« Sein Auge folgte, und so tat Rodrigues, einem Spruchband, auf dem der Prediger Salomo verkündigte: »Alles, was geschieht unter dem Himmel, hat seine vorbestimmte Stunde; Geborenwerden und Sterben, Pflanzen und Jäten, Töten und Heilen, Klagen und Tanzen, Lieben und Hassen, Krieg und Friede. Welchen Gewinn also hat der Rechner und Geschäftige mit all seinen Mühen?« Und als Musa wahrnahm, daß der Domherr den Satz aufgefaßt hatte, fuhr er fort: »Und in der einundachtzigsten Sure des Korans, in der von der Verendung, spricht der Prophet: ›Was ich verkünde, ist eine Mahnung für euch, die ihr den rechten Weg gehen wollt. Aber ihr werdet das nicht wollen können, wenn nicht Gott es will, der Allmächtige.‹ Du siehst, mein hochwürdiger Freund, sowohl Salomo wie Mohammed kommen zu der Erkenntnis: Gott und das Schicksal sind identisch, oder, philosophisch ausgedrückt: Gott ist die Summe aller Zufälle.«

Wenn Don Rodrigue dergleichen hörte, wurde er beklommen und beschloß, nicht mehr in das Castillo Ibn Esra zu gehen. Aber zwei Tage später saß er wieder in der offenen Halle unter den verwirrenden Inschriften. Manchmal brachte er sogar welche von seinen Schülern mit, am häufigsten den jungen Benjamín.