Don Manrique meinte: »Auch die Könige von Engelland und von Navarra sowie die Könige von León, Portugal und Aragon haben den Beschlüssen des Lateranischen Conciliums zum Trotz ihre jüdischen Minister beibehalten. Sie haben sich begnügt, dem Heiligen Vater ihr Bedauern auszusprechen. So tat der König Unser Herr. Er durfte sich überdies berufen auf das Vorbild seiner erlauchten Ahnen. Der Sechste Alfonso, der Kaiser Hispaniens, hatte zwei jüdische Minister, der Siebente Alfonso fünf. Ich sehe nicht, wie Kastilien die vielen Kirchen für die Heiligen hätte bauen können und die vielen Festungen gegen die Moslems ohne die Hilfe der Juden.«
»Erlaube mir ferner, mein hochehrwürdiger Vater«, ergänzte der Domherr, »dich in Ehrfurcht an unsern Freund zu erinnern, den ehrwürdigen Bischof von Valladolid. Auch er konnte seine Steuern nicht hereinbekommen und mußte unsern Jehuda mit der Eintreibung betrauen.«
Dieses Mal konnte Don Martín den Zorn nicht in der Brust bewahren. »Du hast viele Tugenden, Don Rodrigue«, grollte er, »du bist beinahe ein Heiliger, und darum ertrage ich dich. Aber laß mich dir in aller Demut sagen: manchmal grenzt deine Milde und Duldsamkeit ans Unverschämte.«
Der König hörte nicht auf diese Zänkereien. Er saß in sich gekehrt, und nun sagte er heraus, was ihn beschäftigte: »Manches Mal schon habe ich mich gefragt, warum Gott den Ungläubigen so viel Kräfte gab, die er uns versagt hat. Ich denke mir es so: da er sie verdammt hat für die Ewigkeit, gerade darum hat er sie in seiner Gnade für die kurze Spanne, die sie auf Erden verbringen, mit viel Klugheit ausgestattet und mit Glanz der Rede und mit der Gabe, Schätze zu sammeln.«
Die andern schwiegen etwas verlegen. Es war merkwürdig, daß der König so offen innerste Gedanken preisgab, es war eigentlich ungehörig. Aber der König hatte das Recht, königlich unbekümmert herauszusagen, was ihm durch die Seele ging.
Der jugendliche Don Garcerán kehrte zurück zum Gegenstand der Beratung. »Eines, Herr König, könntest du tun«, schlug er vor. »Wenn du schon nicht vorgehst gegen die Castros, so lege doch eine Garnison an ihre Grenze. Lege Kriegsknechte in die Stadt Cuenca.« – »Das ist guter Rat«, stimmte schallend der Erzbischof bei. »Ja, lege Kriegsknechte nach Cuenca, und nicht zu wenige, daß den Castros die Lust vergeht, deine Untertanen zu überfallen.«
Daran hatte Don Alfonso selber schon gedacht. Aber es war ihm lieb, daß die andern es vorschlugen. »Ja, das werde ich tun«, verkündete er. Und: »Dagegen kann nicht einmal unser Jude was einwenden«, meinte er grimmig fröhlich.
Don Manrique fand, es genügten drei Fähnlein, Cuenca gegen die Castros zu sichern. Don Alfonso wandte ein, es könnte durch die Gewalttaten der Castros auch der Emir von Valencia Appetit auf die Stadt bekommen, er werde lieber mehr Soldaten, er werde zweihundert Lanzen nach Cuenca schicken. Der Erzbischof, der als erfahren in der Kriegskunst galt, gab zu bedenken, daß einige der Kriegsknechte immer unterwegs sein müßten, bedrohte Bauernhöfe zu schützen oder reisenden Bürgern Geleit zu geben. »Schicke dreihundert Lanzen, Don Alfonso!« forderte er.
Don Alfonso schickte fünfhundert Lanzen.
Das Kommando dieser Truppen übertrug er seinem Freunde Don Estéban Illán, einem jungen, muntern, kühnen Herrn. Bevor Don Estéban verritt, legte der König ihm ans Herz: »Laß mir keinen neuen Schimpf antun, Don Estéban! Dulde nicht die leiseste Ungebühr! Und wenn die Leute der Castros auf unserm Gebiet ein einziges Huhn stehlen, laß es nicht zu! Verfolge sie bis in ihr Santa María, und nimm ihnen das Huhn wieder ab! Und wenn es zehn Kriegsknechte kostet!« Er gab ihm den Handschuh, das Zeichen ritterlichen Auftrags. Don Estéban küßte ihm die Hand und sagte: »Du sollst dich nicht zu beklagen haben, Don Alfonso.«
Soldaten rückten ein in die kleine Stadt Cuenca und in die Dörfer der Umgebung. Streiften an der schwer übersichtlichen Grenze des Berglandes Albarracín. Aber niemand von den Knechten der Castros ließ sich sehen. Es verging eine Woche, noch eine. Die Soldaten Don Estébans murrten über den langweiligen Dienst, die Leute von Cuenca schimpften über die drückende Anwesenheit der Soldaten.
Jehuda mittlerweile war in Saragossa und verhandelte mit seinem Vetter Don Joseph Ibn Esra. Dieser, ein intelligenter Herr, dicklich, behaglich, umgänglich, skeptisch, ließ merken, daß er Jehudas Beweggründe durchschaute. Doch lag ihm selber an der Erhaltung des Friedens, und er kam ihm freundschaftlich entgegen. Was Jehuda wollte, war, daß Aragon die kastilischen Gefangenen der Castros auslöse und an Don Alfonso zurückgebe; dieser würde dafür von seinem Anspruch auf die Stadt Daroca abstehen. Jehudas Vorschlag schien Don Joseph nicht unbillig, und er glaubte auch, ihn seinem Herrn schmackhaft machen zu können. Freilich durfte man nichts überstürzen. König Raimundez war im Feldlager, voll beschäftigt mit der glücklichen Beendigung des Krieges gegen den Grafen von Toulouse, und Don Joseph mußte die rechte Zeit abwarten, ehe er ihm mit einer so unwichtigen Angelegenheit kommen konnte. Er werde in etwa zwei Wochen zu Don Raimundez ins Feldlager reisen. So lange möge sich Don Jehuda gedulden. Dann möge auch er sich bei Don Raimundez einfinden.
Jehuda nutzte die zwei Wochen. Er fuhr nach Perpignan und brachte ein verwickeltes Geschäft zu einem glücklichen Ende. Er fuhr nach Toulouse, um einen Verwandten zu besuchen, Meïr Ibn Esra, den jüdischen Bailli dieser Stadt. Dann fuhr er zu König Raimundez ins Lager. Don Joseph half ihm treulich, und Don Raimundez hörte ihn gnädig an. Allein der König war ein langsamer, gründlicher Herr, und es dauerte eine weitere volle Woche, ehe er sich entschloß, ja zu sagen.
Jehuda atmete auf. Das übelste von den dummen Hindernissen, die sein Friedenswerk gefährdeten, war beseitigt. Er schickte einen Kurier an Don Alfonso mit der Nachricht, der erfreuliche Vertrag sei unterschrieben und gesiegelt, er selber, Jehuda, werde in wenigen Tagen zurück sein.
Allein diese Botschaft war noch nicht in Toledo angelangt, als Don Alfonso aus Cuenca ein langes, verworrenes Schreiben seines Freundes Estéban Illán erhielt.
Unvorhergesehenes hatte sich ereignet. Bewaffnete Knechte der Castros hatten auf kastilischem Gebiet eine Schafherde rauben wollen. Leute des Don Estéban hatten sie ins Gebiet der Castros hinein verfolgt. Dort waren sie auf eine Schar von Rittern und Knappen gestoßen. Es hatte Schimpfreden gegeben, ein Scharmützel. Dabei war einer der Ritter umgekommen, unglücklicherweise einer der Brüder Castro, der Graf Fernán. Nicht leugnen lasse sich, schrieb Don Estéban, daß Fernán de Castro, als der kastilische Pfeil ihn traf, nicht zum Kampfe gerüstet war, sondern wohl auf einem Jagdausflug begriffen, er habe seinen Lieblingsfalken auf dem Handschuh getragen. Warum der kastilische Kriegsknecht den unbesonnenen Pfeil abgeschossen hatte, lasse sich kaum mehr feststellen; jedenfalls habe er, Estéban, den schuldigen Kriegsknecht sogleich hängen lassen.
Don Alfonso las, und ihm sank das Herz. Schlimmer hätte das Unternehmen nicht ausgehen können. Ein gemeiner Kriegsknecht hatte einen Herrn höchsten Adels, der nicht bewaffnet war, schmählich gemeuchelt in seinem, Alfonsos, Auftrag. Ganz Hispanien wird das ihm, dem König von Kastilien, zum Schimpf anrechnen.
Der andere Castro, Gutierre, hatte jetzt triftigen, ritterlichen Grund, seinen Bruder zu rächen. Er wird sich an Aragon wenden, und König Raimundez, Sieger in der Provence, hatte den willkommenen Vorwand, ihn, Alfonso, den gehaßten Neffen, mit Krieg zu überziehen. Der dumme Krieg mit Aragon, den er nicht gewollt hatte, vor dem jeder ihn gewarnt hatte, jetzt war er da.
Alfonso schämte sich vor Jehuda. Schämte sich vor allen seinen Räten. Vor der ganzen Christenheit. Dabei hatte er nur getan, was jeder andere Ritter an seiner Stelle getan hätte. Es war seine königliche Pflicht gewesen, seine gute Stadt Cuenca zu schützen und Truppen hinzuschicken. Und wenn er dem kühnen Don Estéban Illán den Befehl übertragen hatte, so konnte ihn auch darum niemand schelten. Don Estéban war sein Freund und ein guter Ritter und trug überdies das Knöchelchen des heiligen Ildefonso in sein Schwert geschmiedet. Ach, die gute Reliquie hatte den Satan nicht abgehalten. Denn es war nichts als höllisches Unglück, daß es so gekommen war, es war Tücke des Satans, und niemand trug Schuld, nicht er, nicht Don Estéban, nicht Fernán de Castro, nicht einmal der Jude. Aber alle Christenheit wird ihm die Schuld geben, ihm, Alfonso.